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Gesundheit: Risikofaktor Pille: Streit um Gefäßrisiko durch Pille der dritten Generation

Die Einnahme von Antibabypillen, die die Wirkstoffe Gestoden oder Desogestrel enthalten, erhöht wahrscheinlich das Risiko, einen Verschluss einer Beinvene oder eine Lungenembolie zu erleiden. Im Vergleich mit anderen niedrig dosierten Pillen, die das Gestagen Levonorgestrel enthalten, ist dieses Risiko um etwa das Doppelte erhöht.

Die Einnahme von Antibabypillen, die die Wirkstoffe Gestoden oder Desogestrel enthalten, erhöht wahrscheinlich das Risiko, einen Verschluss einer Beinvene oder eine Lungenembolie zu erleiden. Im Vergleich mit anderen niedrig dosierten Pillen, die das Gestagen Levonorgestrel enthalten, ist dieses Risiko um etwa das Doppelte erhöht.

Das jedenfalls ist die Kernaussage einer neuen Studie, die jetzt im "British Medical Journal" (Band 321, Seite 1190-1195) erschien. Sie könnte dazu beitragen, dass die Frage der "Pillen der dritten Generation" neu aufgerollt wird. Denn im Kommentar in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift wird die Studie aus Boston als "wichtigste Veröffentlichung, die bisher zu diesem leidigen Thema erschien" bezeichnet.

Leidig ist das Thema schon deshalb, weil die Debatte sich über Jahre hinzieht, und immer wieder gegensätzliche Schlagzeilen hervorruft. So ist ausgerechnet in demselbem Journal erst vor wenigen Monaten eine Arbeit veröffentlicht worden, die zu ganz anderen Schlussfolgerungen kam, und das weitgehend auf der gleichen Datenbasis.

Eine Gruppe von Epidemiologen aus dem englischen Guildford hatte sich damals für ihre bevölkerungsbezogene Studie einen Pillen-Knick der besonderen Art zunutze gemacht: Im Jahr 1995 war aufgrund mehrerer Studien der Verdacht aufgekommen, dass die modernen Mikropillen (in Deutschland unter anderem Femovan, Lovelle, Marvelon und Minulet) die Gefahr von Gefäßverschlüssen erhöhen könnten. In verschiedenen Ländern wurden daraufhin Auflagen und Empfehlungen für die Verordnung dieser Pillensorten ausgesprochen.

Voreilige Entwarnung

In Deutschland verbot das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Verordnung an junge Frauen, die zuvor noch kein orales Kontrazeptivum eingenommen hatten. Zudem sollten vor jeder Verschreibung die familiären Risikofaktoren sorgsam ermittelt werden. Auch in England ging der Marktanteil der Pillen der "dritten Generation" nach der Diskussion über die Risiken drastisch zurück. Trotzdem konnten die Forscher keinen gleichzeitigen Rückgang der Gefäßverschlüsse bei Frauen feststellen, die die Pille nahmen, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Sie schlossen daraus, dass die Gefahr überschätzt worden sei.

Die Mediziner und Statistiker aus Boston kommen bei der detaillierten Analyse der Daten jedoch nun zu anderen Schlüssen: Sowohl vor, als auch nach 1995 kamen ihren Berechnungen zufolge deutlich mehr Thrombosen und Embolien bei denjenigen Frauen vor, die die Pillen der "dritten Generation" eingenommen hatten. Ihrer Ansicht nach haben die britischen Wissenschaftler, die in ihrer Studie Entwarnung gaben, einige Besonderheiten der Entwicklung nach 1995 nicht beachtet. So betraf der Rückgang der Verordnungen vorwiegend junge Frauen. Sie aber haben ohnehin ein geringeres Risiko, einen Gefäßverschluss zu erleiden, so dass ihr Wechsel von einer Pillensorte zur anderen in der Gesamtstatistik nicht zu Buche schlägt.

Vorsichtiger bei Raucherinnen

Trotzdem ergaben die neuen Berechnungen, dass nach 1996 weniger Fälle von Thrombosen und Embolien auftraten, als bei unverändertem Verschreibungsverhalten der Ärzte zu erwarten gewesen wären. Dazu dürfte ihrer Ansicht nach beigetragen haben, dass die Mediziner bei der Verordnung der strittigen Präparate an besonders gefährdete Raucherinnen und übergewichtige Frauen vorsichtiger wurden. Bei einem direkten Einzelfall-Vergleich derjenigen Frauen, die einen Gefäßverschluss erlitten hatten, mit Pilleneinnehmerinnen des gleichen Alters ergab sich sogar, dass die Drittgenerationspillen das - insgesamt geringe - Risiko für venöse Verschlüsse um mehr als das Zweifache erhöhen.

Dabei wurde allerdings nicht nach möglichen Unterschieden zwischen zwei Arten von Drittgenerationspillen gefahndet, die aufgrund ihrer hormonellen Zusammensetzung naheliegen. Trotz weiteren Klärungsbedarfs macht die neue Studie aber "zunächst besorgt und nachdenklich", wie Horst Lübbert, Gynäkologe und Hormonspezialist am Klinikum Benjamin Franklin, gestern gegenüber dem Tagesspiegel sagte.

Die Pillen mit den Gestagenen Gestogen und Desogestrel, die inzwischen in Deutschland wieder häufig verordnet werden, stehen andererseits auch in dem Ruf, weniger in den Stoffwechsel einzugreifen, das Herzinfarkt-Risiko zu verringern, und weniger "vermännlichende" Teileffekte zu zeigen. Ein Ende des wissenschaftlichen Streits um die "dritte Generation" ist deshalb bislang nicht abzusehen.

Adelheid Müller-Lissner

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