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Gesundheit: Rügen: Die Wassergüte auf der Ostseeinsel kann niemand rügen

Welle auf Welle bricht sich unter weißen Klippen am Strand, wirbelt Steine und Hühnergötter durcheinander, die unter den Kreidefelsen auf Rügen liegen. Hühnergötter, so nennen die Einheimischen die Feuersteine, in die Brandung und Witterung runde Löcher gewaschen haben, die an Hühnereier erinnern.

Welle auf Welle bricht sich unter weißen Klippen am Strand, wirbelt Steine und Hühnergötter durcheinander, die unter den Kreidefelsen auf Rügen liegen. Hühnergötter, so nennen die Einheimischen die Feuersteine, in die Brandung und Witterung runde Löcher gewaschen haben, die an Hühnereier erinnern. Solche Steine sollen die Hühner zur verstärkten Eierproduktion anspornen, munkelt der Volksglaube. Deshalb sammeln manche Bauern sie heute noch am Strand. Da von den Kreidefelsen laufend Nachschub in die Tiefe stürzt, herrscht daran kein Mangel, die Nationalparkverwaltung duldet diese Nutzung daher.

Diese pragmatische Vorgehensweise ist typisch für den Nationalpark Jasmund, der vor zehn Jahren von der scheidenden DDR-Regierung noch unmittelbar vor der Wiedervereinigung gegründet wurde. Die einmalige Natur soll geschützt werden - aber die Menschen sollen auch etwas von der Natur haben. Immerhin kommen rund eine Million Besucher im Jahr, die einen hübschen Batzen Geld in den Säckel von Gemeindeverwaltungen, Zimmervermietern und Restaurantbesitzern rieseln lassen.

Damit die Besucher den Nationalpark auch gut erleben können, baut die Verwaltung Wanderwege, steile Treppen führen die teils mehr als hundert Meter hohen Klippen hinunter. Das Holz für Geländer und Stufen liefert das Reservat selbst, schmunzelt Gerd Klötzer, der die Nationalparkwacht leitet. Denn noch fallen einzelne Nadelbäume im Wald, die einst hierher gepflanzt wurden, obwohl doch eigentlich die Buche typisch für den Standort ist. Diese Fäll-Aktionen widersprechen zwar dem Nationalparkprinzip "Natur Natur sein lassen". "Aber," verteidigt Gert Klötzer die Idee hinter dieser Nutzung, "wir helfen so dem Wald, möglichst rasch wieder seinen natürlichen Zustand zu erreichen."

Das Moor hat seine Schuldigkeit getan

Unter mächtigen Buchen hüpfen glasklare Bäche über rundgewaschene Steine, springen über steile Kreideklippen als Wasserfälle in die Tiefe. "Das Wasser wirkt nicht nur sehr sauber, es hat tatsächlich Spitzenqualität". Alfred Schumm, der Projektleiter im Ostsee-Büro des World Wide Fund for Nature (WWF) in Stralsund beweist seine Aussage mit einem Stein, den er aus dem sprudelnden Wasser klaubt. An seiner Unterseite wimmeln jede Mengen Insektenlarven und Egel, die nur in Wasser der höchsten Güteklasse gedeihen.

"Den intakten Mooren verdanken diese Bäche ihre hohe Gewässergüte", sagt Schumm: Wie ein Schwamm saugen die Moore das Wasser von starken Niederschlägen auf und verhindern so Überschwemmungen flussabwärts. Gleichzeitig nehmen die Moorpflanzen Stickstoffverbindungen auf, die aus der Luft zu Boden geschwemmt werden. Sauberes Wasser verlässt den Naturfilter, und darin hält sich sogar noch der Alpenstrudelwurm, hat die Nationalparkverwaltung jüngst entdeckt. Seit der letzten Eiszeit ist dieser Winzling überall ausgestorben, nur in den Alpen und auf Rügen überlebt er noch in sauberem Wasser.

Haus für Besucherinfos im Bau

Solche Zusammenhänge ahnen die meisten Besucher kaum, die Jahr für Jahr durch den Nationalpark strömen. Deshalb engagiert sich der WWF auch beim Bau des Nationalparkhauses, das für drei Millionen Mark direkt an der Haupttouristen-Attraktion Königsstuhl entsteht. Dort soll jedem interessierten Besucher die Natur mit ihren Seeadlern und Orchideen, den Eiben und Baumfalken gezeigt werden. Sechshunderttausend Mark investiert der WWF in das Projekt, der Rest kommt aus Mitteln der Europäischen Union, des Bundesamtes für Naturschutz, des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt Sassnitz am Rande des Reservates.

Die Natur scheint heil im Nationalpark Jasmund und auf Rügen. Sicher, in den vergangenen zehn Jahren wurde viel für die Natur erreicht, sagen die WWF-Projektleiter. Aber vieles liegt auch noch im Argen, manches scheint sich gar noch zu verschlechtern. "Völlig überdüngt ist der Greifswalder Bodden", bestätigt Reinhard Lampe, der als Professor der Greifswalder Universität das Leben dort genau erforscht. Altlasten seien das, Nährstoffe aus der Landwirtschaft und aus menschlichen Exkrementen flossen bis vor kurzem ungefiltert in die flachen Buchten an der Ostsee, die von den Einheimischen "Bodden" genannt werden, weil man durch das klare Wasser einst bis zu ihrem Grund schauen konnte.

Damit ist es längst vorbei, nur an die flachsten Stellen reicht das durchscheinende Sonnenlicht noch, um dort Algen und Seegras wachsen zu lassen - gerade einmal 15 Prozent des Greifswalder Boddens zeigen dichte Vegetation. Damit jedoch ist die Grundlage der gesamten Nahrungskette zerstört, Fische und anderes Getier müssen hungern, der Bodden wandelt sich vom Paradies zur Wüste.

Im Norden beeinflusst der Bodden damit zumindest das Biosphärenreservat im Südosten Rügens direkt, das gemeinsam mit dem Nationalpark Jasmund vor zehn Jahren entstanden ist. Immerhin scheint sich die Situation langsam zu bessern, seit Klärwerke die Nährstoffe an Land zurückhalten. Doch es droht bereits neue Gefahr, diesmal aus dem Industriegelände Lubmin, das im Osten an den Greifswalder Bodden grenzt. Zwar wurden die dortigen Kernreaktoren unmittelbar nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten abgeschaltet. Derweil aber brüten Industrie-Unternehmen über neue Nutzungsmöglichkeiten des angrenzenden Geländes, das von Naturschutzgebieten ersten Ranges nicht nur gesäumt wird, sondern genau genommen nur so von ihnen wimmelt.

Schwedische Firmen wollen dort Gaskraftwerke bauen, die in Skandinavien keine Genehmigung mehr bekämen, vor allem weil sie ihr Kühlwasser aus dem Bodden holen und warmes Wasser einleiten. Der PDS-Umweltminister des Landes Wolfgang Methling preist diese Anlagen dagegen als moderne Alternative, die in Lubmin getestet werden soll.

Völlig obsolet wird der entstehende Industriepark Lubmin durch eine Holzverarbeitungsindustrie, die außerhalb des Kraftwerksgeländes mitten in einem Vogelschutzgebiet geplant ist. Eigens dafür müsste ein Hafen gebaut werden, dessen reger Schiffsverkehr den wichtigsten Zugvogelrastplatz entlang der Ostsee beeinträchtigen würde.

Dabei gibt es in den Häfen von Rostock und Mukran, von Wolgast und Wismar nicht nur ausreichend freie Kapazitäten und Gewerbeflächen im Hinterland, sondern auch ebenso viele Arbeitslose wie in der Lubminer Gegend, betont Alfred Schumm vom WWF. Weshalb Umweltminister Methling trotzdem auf solchen Projekten beharrt, versteht so recht niemand. Aber vielleicht wird er ja vom Europäischen Gerichtshof eines Besseren belehrt, bei dem bereits Klagen gegen die Pläne anhängig sind. Noch aber muss die Situation um die Reservate auf Rügen zehn Jahre nach ihrer Gründung mit einiger Vorsicht gewertet werden.

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