zum Hauptinhalt

Gesundheit: Schatzkiste auf hoher See

Leben in der Bronzezeit: Die Ladung eines Lastenseglers lässt eine versunkene Welt wieder auferstehen

Abends gab es Bier an Bord. Der ägyptische Handelsherr trank gesittet im Sitzen, mit Hilfe eines Trinkrohres mit rechtwinkligem Knick – ganz so wie moderne Plastiktrinkhalme. Den trüben Bodensatz der Bier-Amphore hielt ein Sieb am unteren Ende des Bleiröhrchens fern.

Bier war im zweiten Jahrtausend v. Chr., neben Brot, Grundnahrungsmittel in den Ländern rund ums östliche Mittelmeer. Trinken mit geknicktem Rohr aber zeugte schon von gehobener Lebensart. Dass sie ein elf Zentimeter langes, unscheinbares, völlig korrodiertes Bleibruchstück als Fragment eines frühen Trinkrohrs identifizieren konnten, begeisterte die Archäologen. Geborgen wurde der Alltagsgegenstand aus einem antiken Wrack vor der türkischen Südküste bei Uluburun. An der felsigen Landzunge war das Schiff vor etwa 3300 Jahren havariert und gesunken.

Das „Schiff von Uluburun“ avancierte während seiner zehnjährigen Bergung zum Kronzeugen für den internationalen Handel in der späten Bronzezeit. Denn der antike Trinkhalm war nur eine Winzigkeit unter den Funden. Insgesamt bargen die Archäologen aus dem ehemals 15 Meter langen und fünf Meter breiten antiken Lastensegler: zehn Tonnen Kupfer und eine Tonne Zinn, Pistazienharz und mykenische Keramik, Bernstein und Öllampen, Elfenbein und Schwerter, Straußeneier und die Überreste von Öl und Oliven. Altmetall aus zerhacktem Gold- und Silberschmuck diente offenbar als Zahlungsmittel für unterwegs. Ein Skarabäus trägt die Kartusche der Nofretete: Auf seiner Unterseite ist der Name der Königin in ägyptischen Hieroglyphen eingeprägt. Kobaltblaue und türkisfarbene Glasbarren gehörten damals zu den ganz großen Kostbarkeiten. Das Ebenholz kam aus Afrika, die Gewürze aus Mesopotamien.

Nie zuvor haben Archäologen einen so reichhaltigen Unterwasserfund gemacht. Nach 22 500 Tauchgängen in zehn Jahren ist das Wrack „ausgegraben“, die wissenschaftliche Auswertung dauert an. Die Schätze aus dem Schiff von Uluburun sind bis zum 16. Juli 2006 im Deutschen Bergbau-Museum in Bochum in einer aufwändigen und gut gestalteten Ausstellung zu bewundern. Die Schau und der schwere Begleitband malen ein detailliertes Bild, ja geradzu ein Panoramagemälde, von der Welt im dritten Jahrtausend.

Vier Großmächte bestimmten Handel und Wandel im östlichen Mittelmeerraum: die Ägypter, das mykenische Griechenland, die anatolischen Hethiter und – im Vorderen Orient – abwechselnd die Babylonier, das Reich Mitanni und die Assyrer. Der Umbruch von der Kupfer- zur Bronzezeit war in dieser Periode zwischen 1500 und 1200 v. Chr. verkraftet, die technologischen Neuerungen und gesellschaftlichen Umwälzungen hatten eine relativ stabile Ordnung in den Nahen Osten gebracht. Mit heutigen Begriffen könnte man von einer „Globalisierung“ im Alten Orient sprechen.

Die schloss einen regen, weiträumigen Handel ein, aber auch Auseinandersetzungen um Ressourcen und deren Kontrolle. Eine gesicherte Rohstoffversorgung war schon damals eine Machtfrage. Vor allem der Umschlag von Rohstoffen und die Gier nach Luxusgegenständen trieben die Handelskreisläufe an. Kupfer und Zinn waren die Grundstoffe für die allgegenwärtige Bronze. Ebenholz war begehrt für repräsentative Palastmöbel. Pistazienharz diente als Räucherstoff und Weinveredler. Bernstein, Lapislazuli und Straußeneier waren allein schon aufgrund ihrer Seltenheit prestigebehaftet.

Der Transfer von Gütern und Gedanken lief sowohl über Land wie übers Wasser. Die Meeresroute wurde zum einen wohl von privaten Hafen-Springern bedient, die Stückgut aller Art je nach Bedarf transportierten. Der Fernhandel aber, teuer und gefährlich, lag vermutlich fest in den Händen der Paläste und königlichen Verwaltungen. Da wurden auch nicht beliebige Waren, sondern Kostbarkeiten von Fürstensitzen zu königlichen Residenzen verschifft – als Tribut, Geschenk, Brautpreis oder Lastenausgleich.

Etliche persönliche Utensilien auf dem Schiff von Uluburun lassen die Archäologen vermuten, dass zwei hochrangige mykenische Personen an Bord waren, die vielleicht die kostbare Fracht von einem Hafen in der Levante – etwa Ugarit oder Byblos – zu einem Palast in der Ägäis – etwa Mykene oder Tyrins – begleiteten. Sicher scheint, dass der Seehandel in einem Kreisverkehr verlief: Die nahöstliche, kanaanitische Küste hinauf, westwärts über Zypern entlang der kleinasiatischen Südküste bis in die Ägäis und den Peleponnes; von dort über Kreta zurück nach Ägypten und die Levante.

Von Griechenland gab es weiter führende, aber wohl noch nicht ständig etablierte Seehandelsrouten ins Schwarze Meer, in die Adria und weiter gen Westen nach Sardinien. Die Güter für diesen Kreislauf, auch die auf dem Schiff von Uluburun, kamen aus Ägypten (Gold, Elfenbein, Ebenholz) und aus dem Vorderen Orient (Amphoren, Wein, Öl, Glas). Zypern lieferte Kupfer und Keramik. Das für die Bronzeherstellung unerlässliche Zinn kam aus Anatolien oder Afghanistan, von wo auch der heiß begehrte Lapislazuli stammte. Und der Bernstein hatte seinen Ursprung tatsächlich im Baltikum.

Die Welt war für rund 300 Jahre im Lot. Dann kamen ab 1200 v. Chr. aus dem Irgendwo die so genannten Seevölker und überrannten die alten Kulturen: Die mykenischen Paläste gingen unter, das großmächtige Hethiterreich kollabierte, Ägypten konnte sich nur knapp einer Invasion erwehren, das globalisierte Handelsnetz wurde zerrissen. Eine tiefe kulturelle und wirtschaftliche Rezession lähmte den gesamten östlichen Mittelmeerraum.

Vor etwa 3300 Jahren sank vor der türkischen Südküste ein Handelsschiff. Die Ladung – Rohstoffe wie Kupfer, Zinn, Ebenholz und Elfenbein, Prestigeobjekte wie geschnitzte Kosmetikboxen oder Perlen aus Fayence und Bernstein und Alltagsgegenstände – stammt aus den damaligen Hochkulturen des Vorderen Orients.

1984 beginnt die Ausgrabung des Wracks. Sie dauert zehn Jahre. Schnell aber wird den Mitarbeitern des Instituts für Unterwasserarchäologie der A&M University Texas klar: Der Fund ist ein einzigartiger Beitrag zum spätbronzezeitlichen Handel. Bis zur Bergung des Schiffes erschlossen sich die Handelsbeziehungen dieser Zeit nur anhand schriftlicher Quellen sowie aus der ägyptischen Grabmalerei.

Bis 16. Juli 2006 ist das Schiff von Uluburun im Bochumer Bergbau-Museum (Informationen unter: www.bergbaumuseum.de) zu sehen – und damit erstmals außerhalb der Türkei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false