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Gesundheit: Seele in Ordnung

Warum Rhythmus, Regelmaß und Gewohnheiten uns nützen

„Schlagen Sie mir einen besseren Begriff vor – ich nehme ihn sofort!“ Die Diplom-Gesundheitspädagogin Anna Paul weiß, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben mit dem Namen des Fachgebiets, das sie an der Abteilung für Naturheilkunde der Kliniken Essen-Mitte leitet: „Ordnungstherapie“ – das klingt geradezu preußisch-militärisch. Nach einem sanften Heilverfahren hört es sich jedenfalls nicht an.

Erfinder der Ordnungstherapie war Sebastian Kneipp. Er sagte: „Erst als ich daran ging, Ordnung in die Seelen meiner Patienten zu bringen, hatte ich vollen Erfolg.“ Worum geht es dabei? Um Regelmaß. Darum, mit Gewohnheiten den Alltag zu strukturieren. Denn Gewohnheiten, so lautet die Maxime der Ordnungstherapie, mögen vielleicht langweilig klingen. Aber sie sind gesund. Heutige Studien scheinen das zu unterstreichen.

Im „Essener Modell“ behandelt Anna Paul zum Beispiel Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Zehn Wochen lang nehmen Patienten mit „Colitis ulcerosa“ an einem 60-stündigen Übungsprogramm teil. Neben Ernährung und Bewegung gehören Elemente der Verhaltenstherapie dazu. Ein Ziel der Behandlung, die vorwiegend in Gruppen stattfindet, ist die „kognitive Umstrukturierung“ der Patienten. Sie sollen „Selbstüberwachungstechniken“ erlernen, mit denen sie dem drohenden Stress frühzeitig Paroli bieten können, aber auch alltagstaugliche Entspannungsverfahren. „Re- Rhythmisierung“ des Lebens heißt einer der Schlüsselbegriffe. „Wir wollen den Patienten helfen, ihren natürlichen, biologischen Rhythmus mit dem Rhythmus ihres Alltagslebens in Einklang zu bringen“, sagt Paul.

Das Projekt wird vom Land Nordrhein-Westfalen mit fünf Millionen Euro gefördert. Pate stand nicht allein Pfarrer Kneipp, sondern auch die „Mind-Body- Medicine“, die an der Harvard Medical School im amerikanischen Boston seit 20 Jahren fest etabliert ist. Der Essener Chefarzt Gustav Dobos definiert die Ordnungstherapie als „gesundheitsorientierte Lebensstil-Strukturierung“. In einer Pilotstudie konnte gezeigt werden, dass das zehnwöchige Programm den Teilnehmern nützt: Sowohl das subjektive Befinden als auch Stuhluntersuchungen zeigten deutliche Besserung. Allerdings war es nur eine kleine Untersuchung mit 30 Patienten, die sich aktiv um die Teilnahme bemüht hatten und nicht schwer krank waren. Doch die Forschung soll weiter gehen, schließlich will man eine nachweislich wirksame Therapie anbieten.

Neben dem Wasser, der Bewegung, der Ernährung und den Heilpflanzen ist die Ordnung in der Lebensgestaltung das fünfte Wirkprinzip, auf dem Pfarrer Kneipps Heilkunde beruht. Ordnungstherapie gilt noch heute als einer der Grundpfeiler der Naturheilkunde. Auch der Schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner (1867-1939), der Nachwelt eher als Schöpfer eines Müsli-Rezepts in Erinnerung, machte die Befolgung elementarer Lebensordnungs-Gesetze zu einem wichtigen Element seiner leib-seelischen Therapie.

Die Idee geht schon auf die alten Griechen zurück, für die Gesundheit auch eine Frage der „Diaita“ darstellte. Was wesentlich mehr bedeutete als Diät, nämlich Leben, Lebensweise (und nur am Rande: Kostform oder Lebensunterhalt). Zur empfehlenswerten Lebensweise gehören demnach Licht, Luft, Wasser, Bewegung, Ruhe, maßvolles Essen und Trinken, Wachen und Schlafen.

Dass ein regelmäßig verlaufendes Leben voller fester Gewohnheiten gesund hält, wurde auch in modernen Studien immer wieder festgestellt. Es scheint sogar für maßvolle Genüsse wie das abendliche Gläschen Rotwein zu gelten. Wie der Mediziner Knut Kröger im „Deutschen Ärzteblatt“ berichtet: Um etwas „über Jahre hinweg in kleinen Mengen regelmäßig zu sich zu nehmen“, müsse man in „geordneten Bahnen“ leben. „Menschen mit dieser Lebensweise, egal, ob sie sich aktiv dafür entschieden haben oder ob sie diese Lebensweise zufällig führen, werden alt. Das gilt zum Beispiel auch für Teetrinker oder Kirchgänger oder die mit 101 Jahren verstorbene Königinmutter, die regelmäßig ein Glas Gin zum Abend trank.“

Adelheid Müller-Lissner

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