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Gesundheit: Sehnsucht nach dem Alltag

So richtig streiken wollen nur noch die Aktivisten: Ein Stimmungsbild aus den drei großen Universitäten

DIE UNI-PROTESTE VOR DEM ENDE?

J. M. Wiarda Und Sandra Löhr

Im Foyer der Humboldt-Universität steht ein Totenlicht auf dem Tisch am Infopool, wo sonst Studenten im Minutentakt neue Aktionen ankündigen. „Wir begraben die Bildung“ steht darauf, aber korrekterweise müsste es heißen: „Wir begraben den Streik.“ Wo vor den Ferien das Herz des Streiks schlug und dutzende Studenten mit immer neuen Ideen umherwuselten, herrscht gähnende Leere: Keiner gibt Informationen weiter, niemand fragt nach. Der Stand, wo die Aktivisten Passierscheine für das Hauptgebäude ausgeben: weggeräumt. Streikposten, die lernwilligen Kommilitonen den Weg ins Hauptgebäude versperren: Fehlanzeige.

„Protesttag Nummer eins: Was ihr tun könnt“, erklären Handzettel, die an den Eingängen verteilt werden. Doch die wollen vor allem eins: lernen. Zwar beschloss die Vollversammlung am Montag, an immerhin vier Tagen pro Woche weiter zu protestieren und die wichtigen Gebäude wie gehabt zu besetzen. Davon ist einen Tag später wenig zu spüren. In das Hauptgebäude Unter den Linden, das die Streikenden vor den Weihnachtsferien fünf Wochen abriegelten, strömen zur Mittagszeit lernwillige Studenten und drängeln sich vor den Hörsälen. Auch in anderen Gebäuden findet der Lehrbetrieb statt, als ob es den Streik nie gegeben hätte.

Nur im Seminargebäude am Hegelplatz halten besonders Aktive das Streikfähnchen oben. Sie veranstalten dort noch immer Kurse der so genannten Offenen Uni, in der Studenten eigene Kurse anbieten. Komplett absperren können sie das Gebäude allerdings auch nicht mehr: Durch den Hintereingang schlüpfen immer wieder unbemerkt lernwillige Kommilitonen.

Das Klima für die streikwilligen Studenten verschärft sich. Das spüren auch die Aktivisten, die mit ihrer Mahnwache vor dem Roten Rathaus ausharren: Die Polizei forderte sie auf, ihr Zeltdach abzubauen. Jens Hülsmann wollte mit dem Dauer-Camping über Weihnachten „den Streik am Leben halten“. Deswegen ist er enttäuscht von dem Beschluss der Vollversammlung. Aufhören will er aber nicht: „Wir machen weiter, egal ob wir streiken oder Aktionstage haben.“

Schlaffes Plakat an der TU

An der Technischen und der Freien Universität stehen die entscheidenden Vollversammlungen am heutigen Mittwoch bevor. Das K von „Streik“ hängt schlaff am Mathegebäude der Technischen Universität hinunter. Rot ist es und verdreht, doch mit einer Ecke hält es sich noch an der Fassade. Auch wenn Florian es von seinem Infostand im Hauptgebäude der TU auf der anderen Straßenseite nicht sehen kann, gibt es doch ziemlich exakt Auskunft über seine Stimmungslage: Florian ist verunsichert. Florian ist frustriert. Florian ist kämpferisch. Die Studenten strömen durch die düsteren Flure der TU wie lange nicht mehr, doch an seinem Tisch mit dem Streikmaterial bleibt kaum mal einer stehen, und wenn doch, dann muss er immer wieder die gleiche Frage beantworten: „Streikt ihr überhaupt noch?“

Das kann Florian, Energie- und Verfahrenstechniker im ersten Semester, schon die Laune verderben, und dabei möchte er gerne daran glauben, dass es auch nach der Vollversammlung am heutigen Mittwoch mit dem Streik an der TU weitergeht. Bis dahin tröstet sich der 19-Jährige mit dem Erfolg, den die streikenden Studenten kurz vor Weihnachten erzielt haben: „Immerhin haben wir das Kuratorium der TU so weit gebracht, dass es gegen die Einsparungen gestimmt hat.“

Auch auf dem zentralen Campus der Freien Universität in Dahlem erwecken die gut gefüllten Seminarräume und Hörsäle und die langen Schlangen vor der Mensa und der Cafeteria im Hauptgebäude den Eindruck, als wollten die Studierenden nach dem Weihnachtsurlaub endlich wieder zum gewohnten studentischen Alltag zurückkehren. Nur in einzelnen Instituten wie dem Lateinamerika-Institut finden weiterhin keine oder nur alternative Lehrveranstaltungen statt.

„Den anderen ein Signal geben“

„Ich will auf gar keinen Fall, dass das ganze Semester als Streiksemester gilt, ich brauche meine Scheine. Ich fände es besser, wir würden die Aktionen auf einen Tag in der Woche beschränken“, sagt Nadine, die im ersten Semester Erziehungswissenschaften studiert. „Wir müssen im Prinzip wieder ganz von vorne anfangen, die Leute zu mobilisieren", sagt Jennifer Felber vom Streikkomitee. „Um so wichtiger ist es, dass wir bei der Vollversammlung eine Fortführung beschließen, um auch ein Signal für die anderen Unis zu geben.“ Und wenn nicht? Für Juliane, die Nordamerikastudien und Linguistik im 9. Semester studiert, hätte sich der Ausstand dennoch gelohnt: „Wir haben immerhin gezeigt, dass wir nicht alles mit uns machen lassen.“

Wird nun ganz Berlin langsam aber sicher zu einer befriedeten Zone eifrigen Studierens? Nein. Während die Kunststudenten in Weißensee gestern den Streik abbrachen, beschlossen die beiden künstlerischen Hochschulen Hanns Eisler und Ernst Busch bei Vollversammlungen: Streik bis Ende Januar.

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