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Gesundheit: Sich das Trauma von der Seele reden

Psychologen betreuen Menschen nach Katastrophen und Unfällen. Aber nicht immer ist Therapie sinnvoll

„Psychologen halfen den Opfern und ihren Angehörigen noch vor Ort.“ Ob Busunglück, Entführung in der Sahara, Amoklauf in Schulen oder Naturkatastrophen: Der Satz aus den Nachrichten ist uns geläufig. Das Wortungetüm „Posttraumatische Belastungsstörung“ („Posttraumatic Stress Disorder“, PTSD) geht spätestens seit dem 11. September vielen locker über die Lippen. Seit fast 20 Jahren beschäftigen Psychologen und Psychiater sich mit den Belastungen, die solche Ereignisse mit sich bringen. In den USA waren der Vietnamkrieg und die Erfahrungen der Holocaust-Überlebenden ein wichtiger Anstoß dafür.

Inzwischen ist aber auch ein leises Murren nicht mehr so leicht zu überhören: Brauchen wir so viel Professionalisierung für die Bewältigung des Schreckens wirklich? Trotzig macht der New Yorker Psychologe George Bonanno in den USA gar mit der These Furore, Vergessen und Verdrängen könne heilsamer sein als das ewige Reden über die schrecklichen Erlebnisse.

„Rückzug kann zunächst wirklich richtig sein, damit später eine angemessene, individuelle Verarbeitung in kleinen Portionen möglich wird“, bestätigt der Psychologe Norbert Gurris von der Katholischen Hochschule Berlin, der lange Zeit am Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer arbeitete. Die „übermäßige Psychiatrisierung am Ort des Geschehens“ zum Beispiel hält er nicht für den richtigen Weg. „Dort brauchen die Menschen zunächst ganz basale Hilfe.“

Inzwischen ist die Notfallhilfe für die Seele in der Zunft zum Streitthema geworden. Bei der 8. Europäischen Konferenz über Traumatischen Stress, die in der letzten Woche in Berlin stattfand, stand auch die „Debriefing-Kontroverse“ auf der Tagesordnung. Debriefing (von engl. to debrief, „sich informieren lassen“) ist eine Methode zur psychologischen Soforthilfe, die nicht nur von Psychologen, sondern inzwischen häufig auch von geschulten Feuerwehrleuten oder Polizisten angewandt wird. Der „Debriefer“ führt schon kurze Zeit nach dem Ereignis einen strukturierten Dialog mit Einzelnen oder Gruppen. Durch das frühe, „präventive“ Eingreifen soll verhindert werden, dass später eine postraumatische Belastungsstörung entsteht.

Die Psychologin Bettina Bäumker von der Uni Köln hat die wissenschaftlichen Studien unter die Lupe genommen, die es derzeit zu diesem Verfahren gibt. Von 34 Arbeiten erfüllten nur sieben wissenschaftliche Ansprüche. Fünf von ihnen zeigten keine oder sogar negative Effekte, nur zwei konnten die Wirksamkeit der Methode bestätigen.

Auch die amerikanischen Erfinder des strengen fünfstufigen Debriefing-Programms sind inzwischen von dieser Sofortmaßnahme am Unfallort abgerückt. „Das alte Format müsste aus dem Verkehr gezogen werden“, sagt der Psychotrauma-Forscher Andreas Maercker von der Uni Zürich. Auf keinen Fall dürften alle Opfer und Angehörigen nach einer Katastrophe zwangsweise zum strukturierten Gruppengespräch gebeten werden. Bei einigen von ihnen könnte das die Spontanheilung sogar behindern.

Die Mehrheit der Menschen, die eine traumatische Erfahrung gemacht haben, brauchen nämlich keine therapeutische Hilfe. „Zwei Drittel schaffen es spontan“, sagt Maercker. Diese Mehrheit meint offenbar sein New Yorker Kollege Bonanno, der sich in seinen Forschungen zudem nicht dem Trauma, sondern der „ganz normalen“ Trauer widmet. Psychotraumatologen dagegen sollten sich der Minderheit zuwenden, die das Trauma krank macht. Wer zu ihr gehört, ist oft erst Monate nach dem Unglück erkennbar: Es sind Menschen, die in ihren Grundfesten erschüttert sind, bei denen sich der Schreck „eingebrannt“ hat, die wie erstarrt und stumpf wirken oder von ihrem Thema nicht loskommen.

Was kann Psychotherapie hier bewirken? Der Mediziner und Psychologe Maercker hat noch an der Technischen Universität Dresden ein Forschungsvorhaben begonnen, mit dem ihr neurobiologischer Effekt nachgewiesen werden soll. Dafür wurden Opfer von Verkehrsunfällen, die mindestens ein halbes Jahr später noch an einem PTSD litten, nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt. Die eine begann sofort mit einer kognitiven Therapie, in der die Teilnehmer sich dem traumatisierenden Ereignis in der Phantasie wieder aussetzten. Wer der Kontrollgruppe zugeteilt wurde, kam statt dessen zunächst auf eine Warteliste.

Alle Teilnehmer wurden zu Beginn ausführlich psychologisch untersucht. Zugleich wurden aber auch per EEG Hirnströme abgeleitet. „Bei den Unfallopfern zeigte sich in der rechten Hirnhälfte die für PTSD typische Überaktivität“, sagte Maercker. Die Studienteilnehmer, die noch auf die Behandlung warteten, zeigten dieses Muster auch sechs Monate später, bei der Behandlungsgruppe hatte es sich inzwischen deutlich normalisiert. Maercker schränkt jedoch ein: „Für endgültige Schlüsse ist es zu früh, denn die Studie läuft noch.“ Voreilige Schlussfolgerungen verbieten sich schon deshalb, weil es nicht zulässig ist, alle Arten von Traumata, vom Verkehrsunfall bis zu Vergewaltigung, Folter und Vertreibung, in einen Topf zu werfen.

Zudem hegen Kritiker Zweifel, dass sich von Studien aus Industrienationen auf die segensreiche Wirkung der Therapie in allen Krisenherden dieser Welt schließen lasse. Verallgemeinern wir hier nicht unzulässig ein europäisch-nordamerikanisches Weltbild? Sieht Bewältigung von Schreck, Verletzung und Demütigung nicht in anderen Kulturen anders aus?

Auch dieser Frage nimmt sich die Forschung inzwischen an. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt, hat eine Arbeitsgruppe der Uni Konstanz um den Psychologen Frank Neuner die Effekte einer intensiven Psychotherapie in einem Flüchtlingslager in Nord-Uganda gemessen. Die Forscher konnten 43 Flüchtlinge für die Mitarbeit gewinnen, die alle die Kriterien für ein PTSD erfüllten.

Sie wurden in drei Gruppen unterteilt: Die Teilnehmer der ersten Gruppe bekamen vier Stunden unterstützende Psychotherapie, die einer zweiten eine Stunde „Psychoedukation“. Die dritte Gruppe setzte sich in einer intensiven narrativen Therapie den belastenden Erfahrungen erzählend nochmals aus. Dafür arbeiteten die deutschen Psychologen mit Dolmetschern zusammen. Alle Teilnehmer wurden vor der Therapie, unmittelbar danach, vier Monate und ein Jahr später verschiedenen Tests unterzogen.

Während in den Kontrollgruppen jeweils weit über 70 Prozent der Flüchtlinge noch die Kriterien für PTSD erfüllten, waren das in der intensiv therapierten Gruppe nur 28 Prozent. Zudem hatten ein Jahr später weit über die Hälfte von ihnen das Lager verlassen, während das kaum einem Teilnehmer der weniger intensiven Verfahren gelungen war. Bemerkenswert erscheint den Konstanzer Psychologen nicht zuletzt die große Bereitschaft dieser Flüchtlinge aus dem Sudan, an der Therapiestudie teilzunehmen.

Adelheid Müller-Lissner

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