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Gesundheit: „Sie können wieder jagen und sammeln“

Der Kölner Ethnologe Michael Bollig über die Buschleute, die in die Kalahari zurückkehren dürfen

Die Buschmänner in Botsuana dürfen nach einer Entscheidung des obersten Gerichtshofs in ihre Stammesgebiete in der Kalahari zurückkehren, nachdem sie 2002 von dort vertrieben worden waren. Was bedeutet dieses Urteil für die San?

Es geht um zwei Gruppen, die in der Kalahari in Botsuana traditionell sehr breit gesiedelt haben. Anfang der 60er Jahre machte sich die Regierung von Botsuana Gedanken, wie ihre Lebensweise geschützt werden könnte. Damals wurde das Central Kalahari Game Reserve geschaffen. Das Urteil bedeutet ein größeres Selbstbestimmungsrecht für die San, mehr kulturelle Autonomie.

Wie waren die Lebensbedingungen im Kalahari-Naturreservat? Kinder hätten dort keine Chance zum Schulbesuch, das Volk könne sich dort nicht entwickeln, wurde als Grund für ihre Vertreibung und Ansiedlung in der Nähe großer Farmen genannt. Sind das vorgeschobene Gründe?

Es gibt Gerüchte, die San seien wegen Diamantvorkommen in der Kalahari vertrieben worden. Aber eine Population von gerade einmal 1100 Menschen im Reservat hätte den Abbau nicht grundlegend gestört. Es ging offenbar um die prinzipielle Entscheidung, wie man mit Menschen in Nationalparks umgeht. Überall dort in Afrika, wo große Flächen unter Naturschutz gestellt wurden, mussten schon in der Vergangenheit Menschen zwangsumgesiedelt werden. Die Buschleute jagen ja die Tiere, die geschützt werden sollen. Im Nationalpark gab es tatsächlich keine Schulen. Feste Strukturen würden der Idee eines Naturreservats zuwiderlaufen.

Welche Folgen hatte die Umsiedlung?

Die San haben im Park dezentral gelebt, jeweils nur einige Familien zusammen. 2002 wurden sie alle in einem Dorf am Rande der Kalahari angesiedelt – ein großer Fehler. Die Konflikte innerhalb der Gruppe nahmen zu, Tuberkulose breitete sich aus. Dass die Gemeinschaft dort erstmals über Krankenstation und eine Schule verfügte, ist durchaus positiv. Aber eine Schule zu bauen, löst nicht die Misere. Es gibt für die meisten San in Botsuana keine muttersprachlichen Schulbücher. Die San stehen am untersten Rand der Gesellschaft. Was ihnen in erster Linie fehlt, sind verbriefte Landrechte – als stabilere Basis für Entwicklung.

Heute sollen nur einige Dutzend Buschmänner als Jäger und Sammler leben. Reichen ihre Erfahrungen aus, damit eine größere Zahl von Menschen zu ihrer ursprünglichen Lebensweise zurückkehren könnte?

So groß ist der Luxus in der Siedlung nicht. Die San werden aber auch nicht durchgehend zu einem archaischen Lebensstil zurückkehren. Auch vor 2002 haben sie nicht nur gejagt, sondern hatten kleine Viehherden und Gärten. Und die Männer werden wie vorher für einige Zeit als Lohnarbeiter aus dem Reservat gehen und mit Versorgungsgütern zurückkommen. Sie haben jetzt eine Option mehr, können auch wieder jagen und sammeln.

Buschleute leben auch in Namibia, Angola oder Südafrika. Wie sind sie integriert?

Die Lage ist von Land zu Land sehr verschieden. In Südafrika sind die San eine verschwindend kleine Minderheit, aber sie verschaffen sich über Nichtregierungsorganisationen sehr effektiv Gehör. In Namibia leben bis zu 60.000 San; dort gibt es inzwischen einen Parlamentsabgeordneten, und erste San haben ein Studium aufgenommen. Andererseits ist die Situation in Namibia prekär, weil dort in einigen Regionen das Landrecht der San stark bedroht ist. Andere ethnische Gruppen ziehen mit ihrem Vieh in die Territorien der San. Jäger und Sammler brauchen riesige Räume – und die werden ihren nicht zugestanden. In Angola haben sie nur sehr wenige Rechte und sind in Sekundarschulen kaum vertreten.

Die Regierung von Botsuana wirft der Menschenrechtsgruppe „Survival International“, die sich für die Rechte der Busch leute einsetzt, vor, sie auf ihre Rolle als „edle Wilde“ zu reduzieren.

Das sind nicht nur Vorwürfe der botsuanischen Regierung. Auch andere Organisationen beurteilen die Arbeit von „Survival International“ kritisch. Diese Organisation stellt die Rolle der San als indigene Jäger und Sammler sehr stark heraus, will die Rechte einer Steinzeitgesellschaft erhalten. Das beschneidet in der Tat die Entwicklungsmöglichkeiten der San. Es muss darum gehen, ihnen Optionen zu eröffnen, ihren Rechtsanspruch auf Lebensräume zu verankern und gesellschaftliche Partizipation zu sichern. Und da stimmt mich das Urteil in Botsuana optimistisch.

Die Khoisan gelten als egalitäre Gesellschaft, die kein politisches Führungssystem hat, keine formale Rechtsprechung kennt. Was ist von diesen Regeln des Zusammenlebens geblieben?

In der modernen Gesellschaft erweist sich das egalitäre politische System als problematisch. Junge Leute, die Führungspositionen in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einnehmen, haben es schwer, sich zu etablieren. Ihnen wird vorgeworfen, autoritär zu sein.Tatsächlich fehlt ihnen eine Kultur der politischen Führung, die man braucht, wenn es darum geht, die Interessen einer Minderheit in einem Nationalstaat zu vertreten. Interessant ist allerdings die Geschlechteregalität bei den San; Männer können Frauen nur begrenzt kontrollieren.

Die Sprache der San besteht aus Klicklauten. Ist ihr Überleben gesichert?

Der Gründer des Kölner Afrikanistik-Instituts, Oswald Köhler, war seit den 60er Jahren Spezialist für Khoisan-Sprachen. Er hat eine Grammatik geschrieben und in der Folgezeit ist in Köln eine Reihe von Lehrbüchern entstanden, die auch heute noch in den Schulen der San benutzt werden. Es gibt allerdings unter der Vielzahl der Sprachen einige, zu denen es noch keine Lehrwerke gibt. In Afrika bemühen sich einige NGOs, auch mit westlicher Hilfe, zu diesen Sprachen zu arbeiten.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Michael Bollig (45) ist Ethnologe an der Uni Köln. Sein regionaler Forschungsschwerpunkt liegt im südlichen und östlichen Afrika. Buschleute besuchte er zuletzt vor drei Wochen.

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