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Sport: Dem Schmerz auf den Fersen

40,000 Läufer haben sich zum Berlin-Marathon am Wochenende angemeldet. Doch wenn die Füße schon vor dem Start wehtun, wird der Sport zur Qual. Eine Leidensgeschichte.

Anna-Lena M.* war verzweifelt: Es war schon zwei Jahre her, dass sie den letzten Marathon gelaufen war. Besser gesagt: dass sie überhaupt in nennenswertem Umfang gelaufen war. Denn jeder Schritt bereitete ihr höllische Schmerzen. Sollte es mit 25 Jahren schon aus sein mit der Karriere als Läuferin?

Sie war inzwischen von einem Arzt zum anderen gehumpelt. Und jeder hatte versucht, das Stechen unter ihrer Fußsohle, das sich beim Auftreten zuverlässig einstellte, irgendwie wegzubekommen. Erfolglos.

Noch dazu hielt sich das Verständnis ihrer Mitmenschen in Grenzen. Denn viele sehen im Marathonlaufen eine sinnlose Quälerei. Kein Wunder, sagen sie, wenn einer Verrückten, die 42 Kilometer in persönlicher Bestzeit laufen will, danach so ziemlich alles wehtut. Vor allem die Füße.

Bei Anna-Lena M. vermuteten die Ärzte, dass ein Fersensporn auf die Fußsohle drückte. Ein häufiges Problem, bei dem eine Verkalkung am Fersenbein wächst, die man als knöchernen Dorn im Röntgenbild erkennt. „Doch viele Leute haben damit keine Beschwerden, während andere Menschen Schmerzen haben, bei denen man aber keinen solchen Sporn erkennen kann“, erklärt der Orthopäde Jürgen Wied, der sich in der Gemeinschaftspraxis Orthós am Wittenbergplatz auf Fußprobleme spezialisiert hat. Er spricht deshalb nicht gern vom Fersensporn, sondern lieber fachlich korrekt von einer Plantarfasziitis, einer Entzündung des Ansatzes der Fußsohlensehne, die vom Fersenbein bis zum Zehengrundgelenk führt. Schmerzhaft wird das oft erst, wenn sich ein flüssigkeitsgefüllter Schleimbeutel entzündet.

Wenn die Ferse wehtut, sitzt die Ursache des Übels überhaupt oft in einem entzündeten Schleimbeutel. Dieses Fußgewebe ist eine Art flaches Kissen, das dazu dient, die Reibung bei der Bewegung von Muskeln und Gelenken zu verringern. Wenn sich diese natürlichen Polster allerdings entzünden und anschwellen oder auf Dauer verdicken, verursachen sie Schmerzen. Das kann man zwar operieren und den verkalkten Bereich aus der Sehne herausnehmen, doch die meisten „Fersensporne“ verschwinden mit der Zeit von allein. Außerdem helfen Einlagen und Spritzen gegen den Schmerz, und in vielen Fällen hilft auch die Stoßwellentherapie. Dafür werden sehr energiereiche mechanische Wellen auf die Verkalkung gerichtet. Ziel ist es, die Entzündung zu lindern, indem man das Einsprossen neuer Blutgefäße anregt. Nachdem einige Studien ermutigend ausgefallen waren, hat die amerikanische Zulassungsbehörde für Lebensmittel und Medikamente (FDA) die Therapie vor einigen Jahren zugelassen. In Deutschland müssen die Patienten sie jedoch selbst bezahlen, zwei bis drei Sitzungen kosten zusammen zwischen 150 und 300 Euro.

Anna-Lena M. haben die Stoßwellen nicht geholfen. Allerdings war ihr Problem auch kein Fersensporn. Der Berliner Unfallchirurg und Fußspezialist Stephan von Rüdiger, in dessen Gemeinschaftspraxis in Mitte sie zum Schluss landete, klopfte bei der jungen Ex-Läuferin noch einmal alle Möglichkeiten ab und diagnostizierte schließlich das eher seltene Tarsaltunnelsyndrom. Dabei wird ein dicker Nerv beengt, der in einem Kanal unter dem Innenknöchel verläuft. Von der Hand kennen viele etwas Ähnliches – das Karpaltunnelsyndrom. Eine Ursache kann Überlastung sein, dazu kommen die individuellen anatomischen Gegebenheiten, etwa knöcherne Vorsprünge oder auch Krampfadern. Die höllischen Schmerzen, die im Gehirn ankommen, kann der Betroffene nicht genau lokalisieren. „Sie wirken, als kämen sie von der gesamten Ferse“, sagt von Rüdiger. Das macht die Diagnose so schwierig. Aber man kann das Syndrom glücklicherweise an einer herabgesetzten Nervenleitgeschwindigkeit und bildlich auch im Kernspintomografen erkennen – und man kann die Schmerzen mit einer Operation loswerden, die die Einengung des Kanals beseitigt. Weil keine Knochen betroffen sind, dauert nach dem Eingriff auch die Heilung nicht allzu lange. „Die Patientin war nach einem Vierteljahr wieder sportlich aktiv und läuft heute wieder Marathon“, erzählt der Fußchirurg.

Ein ähnlich seltenes Fußproblem ist der hintere Fersensporn, von Medizinern nach dem schwedischen Arzt Patrick Haglund „Haglund-Exostose“ genannt. Hierbei führt eine Art Höcker am Fersenbein zu Beschwerden, oft ist auch in diesen Fällen ein Schleimbeutel entzündet, der dann zwischen dem oberen Bereich der Ferse und der Achillessehne sitzt. Entzündet und vergrößert er sich, kann das höllisch wehtun. „Der lokale Druck muss reduziert werden“, sagt Wied. Also muss der Patient Schuhe tragen, die hinten offen sind. Aber für Läufer und im Winter ist die Schlappen-Lösung wenig geeignet. Die Alternative sind Fersenpolster, die den Fuß anheben, so dass die Problemstelle nicht vom Schuh bedeckt wird. Außerdem kann man die schmerzende Stelle mit Polstern abfedern.

Unter einer Haglund-Ferse leiden häufig auch Übergewichtige, deren Füße viel zu tragen haben. Ein Teufelskreis: Denn der Schmerz schränkt die Bewegungsmöglichkeiten weiter ein. „Hilfe bringt oft die lokale Behandlung mit Eis“, sagt Wied. Und Medikamente gegen Schmerzen und Entzündungen. Sie zu spritzen ist jedoch heikel, weil die empfindliche Achillessehne in der Nähe liegt. Wenn keine der Therapien Linderung bringt, muss operiert werden. „Damit das Problem nicht wiederkommt, muss man dabei relativ viel Gewebe wegnehmen“, erklärt Wied. Problematisch sind Fersensporne, die in die Achillessehne hineinragen und an die der Operateur nur schwer herankommt. „Wir müssen den Winkel zuvor anhand des Röntgenbildes genau ausmessen“, sagt von Rüdiger. „Wir versuchen wo immer möglich ohne Operationen auszukommen, weil man diese empfindliche Sehne wie einen Augapfel behandeln sollte“, sagt der Fußchirurg.

Patienten mit Fußschmerzen empfiehlt er Ausdauer und Zuversicht. Eigenschaften, ohne die es beim Marathon ohnehin nicht gut läuft. Nach zwei Jahren Schmerz und einem Dauerlauf von einem Arzt zum anderen weiß das auch Anna-Lena M. nur zu gut.

*Name von der Redaktion geändert

Adelheid Müller-Lissner

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