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Gesundheit: Sprachlos in der Sprech-Stunde

Warum viele Ärzte kaum kommunikationsfähig sind

„Der Arzt hat mir gar nicht richtig zugehört. In diese Praxis setze ich keinen Fuß mehr!“ Auf der Suche nach einem guten Hausarzt ist die Patientin tief enttäuscht worden. Nicht als Einzige. In deutschen Hausarztpraxen bekommen selbst neue Patienten, durchschnittlich nur 103 Sekunden Zeit, um ihre Beschwerden zu schildern, wie eine Studie zeigt. Und eine europäische Vergleichsstudie ergab, dass die Gespräche mit dem Hausarzt in Deutschland am kürzesten (im Durchschnitt 7,6 Minuten), am stärksten medizinisch und am wenigsten am Patienten orientiert sind.

So liest man es in einer neuen Broschüre, die das Robert-Koch-Institut (RKI) zusammen mit dem Statistischen Bundesamt herausgegeben hat. Diesen objektiv erhobenen Fakten entspricht die subjektive Einschätzung der ärztlichen Kommunikationsfähigkeit durch die Patienten: Bei einer Umfrage in acht europäischen Ländern wurde den deutschen Ärzten der vorletzte Platz zugewiesen.

Dass Kranke unter der Sprachlosigkeit in der „Sprechstunde“ sehr leiden, ist längst bekannt. „Wie in zahlreichen Untersuchungen belegt, wünschen sich Patienten seit Jahren mehr Zeit und Zuwendung der Ärzte, sie bemängeln Zeitdruck und die Tatsache, dass sie nicht ausreichend über ihre Krankheit informiert werden“, heißt es in der RKI-Veröffentlichung.

Das beunruhigt auch die Ärzteschaft - aus verschiedenen Gründen. Beim letzten Deutschen Ärztetag wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass immer mehr Leidende bei anderen Berufsgruppen Hilfe suchen, weil die stummen oder Fachchinesisch redenden Mediziner sie enttäuscht haben. Und in dem Bericht über eine Pilotstudie zur Selbsteinschätzung der Kommunikationsfähigkeit von Ärzten in der Praxis wird auf die schweren Folgen der sprachlosen Medizin hingewiesen.

Da mindestens ein Drittel der Hausarztpatienten mehr unter seelischen als unter körperlichen Störungen litten, sei das ärztliche Gespräch „das wichtigste diagnostische und therapeutische Instrument“. Nutze man es nicht, so schicke man viele dieser Patienten „durch eine bereits im Ansatz sinnlose Kaskade apparativer Untersuchungen“. Diese Fahndung nach einer nicht vorhandenen körperlichen Krankheit kann Jahre dauern, wie aus früheren Studien hervorgeht.

Bei der – nicht repräsentativen – Pilotstudie ging es vor allem um die Frage, was Ärzte an einem angemessenen Gespräch mit ihren Patienten hindert. 171 meist frei praktizierende Ärzte und (überdurchschnittlich viele) Ärztinnen schickten der „Münchner Medizinischen Wochenschrift“ Fragebögen zurück. Neun von zehn Teilnehmern waren länger als ein Jahrzehnt ärztlich tätig, jeder Vierte war zusätzlich in Psychotherapie oder Naturheilkunde qualifiziert. Die meisten hielten die Kommunikationsfähigkeit als ärztliche Kernkompetenz für vernachlässigt, besonders im Medizinstudium. Weniger negativ urteilten jene Ärzte, die ihre (teils schon reformierte) Ausbildung erst im letzten Jahrzehnt abgeschlossen hatten.

Fast alle hatten ihre kommunikativen Fähigkeiten erst nach dem Studium in Eigeninitiative entwickelt. Für einen der Ärzte war die Erfahrung eigener Krankheit und der Patientenrolle entscheidend. Als wichtigste Aspekte des Gesprächs mit Patienten nannten die Befragten das Zuhörenkönnen, gefolgt von der Gestaltung des ersten Kontaktes und der verständlichen Ausdrucksweise.

Als Haupthindernis der Kommunikation sahen die Ärzte, neben der mangelhaften oder fehlenden Ausbildung in Gesprächsführung, schlechte Rahmenbedingungen wie Zeitdruck und mangelnde finanzielle Anreize. („Sprechende Medizin wird finanziell gnadenlos abgestraft", schrieb einer der Teilnehmer an der Studie.) Genannt wurden ferner ärztliche Arroganz, fehlendes Einfühlungsvermögen und das Burn-out-Syndrom, aber auch Probleme der Patienten im Umgang mit Gefühlen und Tabuthemen. Es wird befürchtet, dass durch den zunehmenden ökonomischen Druck im Gesundheitswesen die „sprechende Medizin“ noch mehr verkümmert.

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