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Gesundheit: Studenten proben das Beleben bis zur Erschöpfung

Die junge Medizinstudentin rutscht mit dem schnabelförmigen Metallwerkzeug ab, ein deutliches, unangenehmes Klacken ist zu hören. "Nicht hebeln, sonst brechen die Schneidezähne ab", korrigiert der Ausbilder.

Die junge Medizinstudentin rutscht mit dem schnabelförmigen Metallwerkzeug ab, ein deutliches, unangenehmes Klacken ist zu hören. "Nicht hebeln, sonst brechen die Schneidezähne ab", korrigiert der Ausbilder. Die zukünftige Ärztin versucht gerade zum ersten Mal, eine "Intubation", einen Schlauch durch Hals und Luftröhre zur künstlichen Beatmung, zu legen. In diesem Fall bleibt der tatsächliche Schaden an den Zähnen jedoch gering, da die Intubation an einer Puppe vorgenommen wird. Die Studentin setzt ein weiteres Mal an und jetzt gelingt es ihr, an den Stimmbändern vorbei den Zugang zur Lunge zu finden.

Der Fall ist eine fast alltägliche Notsituation. Der Patient ist bewusstlos und hat einen Atemstillstand. Aber statt einer normalen Mund-zu-Mund-Beatmung, wie sie in gängigen Erste-Hilfe-Kursen jeder Führerscheinbewerber irgendwann lernen muss, sollen die angehenden Mediziner eine vollständige Intubation vornehmen. Diese Aufgabe wirkt auch auf die anderen Medizinstudenten hochmotivierend. Anfangs etwas unsicher, aber dann zusehends begeisterter, werden Luftröhren gesucht, Schläuche gelegt, Pumpen angeschlossen und künstliche Lungenflügel aufgeblasen. Die Teilnehmer sind froh, dass sie endlich einen Teil ihres theoretischen Wissens auch praktisch anwenden können.

"Erste-Hilfe und Notfallkunde" heißt der zweitägige Kurs, den die Freie Universität und die Johanniter-Unfall-Hilfe im Sommersemester zum ersten Mal in dieser Form durchgeführt haben. Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt jetzt auf der Notfallmedizin, einem Bereich, der in herkömmlichen Erste-Hilfe-Kursen nicht unterrichtet wird, da er die medizinischen Laien überfordern würde. Die 110 teilnehmenden Medizinstudenten, die gerade die theoretische Ausbildung im Grundstudium absolvieren, haben dagegen das nötige Vorwissen, kennen sich aber in der konkreten Anwendung noch nicht aus.

Das wollen die Veranstalter ändern. "Wir versuchen eine Verbindung herzustellen zwischen einer notfallmedizinischen Ausbildung in der Vorklinik und der eigentlichen Praxis im klinischen Bereich. Die Teilnehmer üben jetzt schon Maßnahmen, die sie später auch in der praktischen Ausbildung anwenden können", erklärt Hanns Iblher, Medizinstudent im 6. Semester und Ausbilder bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Er ist Begründer und Leiter des Projekts und will seinen Kommilitonen die Grundlagen der Notfallmedizin vermitteln.

Außer der künstlichen Beatmung durch Intubation lernen die Studenten auch, wie Injektionen und Infusionen duchgeführt werden und wie sie dabei assistieren können. Sie üben den Einsatz von speziellen Vakuummatratzen und Beatmungsbeuteln und müssen zehn Minuten lang Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen; eine Übung, die einige von ihnen bis zur Erschöpfung beansprucht. Diese Notfallkunde ist für die zukünftigen Mediziner etwas ganz Neues und eigentlich im Grundstudium nicht vorgesehen, da die praktische Ausbildung erst im Hauptstudium erfolgt. "Die strikte Trennung zwischen Theorie und Praxis ist aber problematisch", meint Jan Breckwoldt, Arzt für Anästhesie an der Universitätsklinik und einer der Ausbilder. "Wir wollen erreichen, dass die Studenten auch im Grundstudium schon praktische Erfahrungen sammeln. Und die Notfallmedizin gehört eben zum ärztlichen Grundhandwerk, das auch jeder Medizinstudent beherrschen sollte."

Nebenbei verfolgen die Notfallmediziner mit einem Kurs dieser Art auch die Absicht, ihr Fach stärker an den Universitäten zu etablieren. Denn die Notfallmedizin hat in wissenschaftlicher Hinsicht keinen so großen Stellenwert wie andere Fachbereiche. Bei den Studenten ist das allerdings noch anders. Der ausgeschriebene Kurs war nach zwei Tagen ausgebucht. Die Teilnehmer sind besonders an den praktischen Anwendungen interessiert: "Die Vorklinik ist viel zu theoretisch. Ich finde Intubieren viel wichtiger, als Physik oder Chemie zu lernen", sagt Axel Baumgarten, der im vierten Semester studiert. Und Juliane Prüm aus dem dritten Semester ergänzt. "Je früher man mit der Praxis anfängt, desto besser ist es. Für mich ist es peinlich, als Medizinstudent gar keine Ahnung von diesem Bereich zu haben."

Inzwischen hat sich der Erfolg des Modellprojekts herumgesprochen. So wird das benötigte Infusionsmaterial von den Herstellerfirmen kostenlos zur Verfügung gestellt. Und auch die Humboldt-Universität zeigte sich jetzt interessiert an dem Projekt, die Verhandlungen darüber laufen aber noch. Andere Universitäten sind da schneller. In Lübeck wird der Kurs schon im kommenden Wintersemester an der Medizinischen Hochschule angeboten.

Andreas Rabenstein

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