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Gesundheit: Täterprofil eines Tropenkillers

Forscher entziffern das Genom der Malaria und des Überträgers – ein Schritt zu neuen Medikamenten?

Von Hartmut Wewetzer

Für Millionen von Menschen ist ihr nächtliches Summen und Jaulen die Musik des Todes. Der Stich der Anopheles-Mücke tötet jedes Jahr bis zu 2,7 Millionen Menschen. Denn er überträgt die Malaria. 90 Prozent der Opfer leben im südlichen Afrika. Meist sind es Kinder, die jünger als fünf Jahre sind. Alle 30 Sekunden stirbt ein kleines Kind an der Infektionskrankheit, geht zugrunde durch Fieber, Blutarmut, Atemnot und körperlichen Verfall. Jetzt haben Forscherteams den genetischen Fingerabdruck des tödlichen Gespanns ermittelt, das die Ursache des Massensterbens ist. Sie entzifferten das komplette Erbgut der Mücke Anopheles gambiae und des gefährlichsten der vier Malaria-Erreger, Plasmodium falciparum.

Die Experten hoffen, dass damit ein wichtiger Schritt zu neuen Medikamenten und Impfstoffen getan ist. In Washington und London wurden die Ergebnisse am Mittwoch bekannt gegeben. Das Genom der Anopheles-Mücke wurde im US-Fachblatt „Science“ zeitgleich mit dem Erbgut des Malaria-Erregers im britischen „Nature“ veröffentlicht. Die Daten sind frei zugänglich.

„Die genetische Sequenz des Malaria-Erregers und seines Überträgers sind der Beginn einer neuen Ära im Kampf gegen die Krankheit“, sagte Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten der USA, das maßgeblich an der Entzifferung beteiligt war. „Wenn wir noch die Information über das menschliche Erbgut hinzufügen, ergibt sich ein viel besseres Bild der Krankheit und ihrer Übertragung.“

Plasmodium falciparum ist ein Einzeller. Sein Erbgut umfasst 23 Millionen Basenpaare, die die Information für 5300 Erbanlagen enthalten. Das Genom ist auf 14 Erbträger (Chromosomen) verteilt. Drei Forschergruppen teilten sich die Arbeit auf. Maßgeblich waren das Sanger-Zentrum im britischen Cambridge, das Institut für Genomforschung (TIGR) im US-Bundesstaat Maryland und ein Team der kalifornischen Stanford-Universität.

Bereits 1996 hatten sich die Forscher zusammengetan, um das Erbgut des Killers zu sezieren. Aber sie brauchten viel länger als erwartet, um die nun zu 95 Prozent vollständige Sequenz zu veröffentlichen. Der Grund dafür ist, dass das Erbgut des Parasiten zu mehr als 80 Prozent aus den biochemischen Buchstaben A (für Adenin) und T (für Thymin) zusammengesetzt ist, während C (für Cytosin) und G (für Guanin) entsprechend seltener sind. Das machte es sehr schwierig, die kleinen entzifferten Bruchstücke des Erbguts im Computer zu einer kompletten Genom-Reihenfolge zusammenzusetzen. Kosten: 20 Million Dollar.

Jetzt hoffen die Wissenschaftler auf reiche medizinische Ausbeute. Sie setzen darauf, dass die Erbsubstanz uns etwas über die Schwachstellen des Erregers preisgibt. Welche Achillesferse hat Plasmodium falciparum? Wo können neue Medikamente und Impfstoffe ansetzen? Das gescannte Genom erlaubt nicht nur einen Blick auf mögliche Ansatzpunkte für Medikamente, sondern legt auch offen, welche Gene der Einzeller sozusagen exklusiv besitzt. Entwickelt man ein Mittel, das gezielt gegen das Produkt eines solchen Gens gerichtet ist, sind Nebenwirkungen seltener.

Chloroquin, das bislang erfolgreichste Malaria-Mittel, richtet sich gegen den Nahrungsspeicher des Erregers, in dem dieser den menschlichen Blutfarbstoff verdaut. Eine andere Lücke in der biologischen Rüstung könnte der Energiestoffwechsel sein. Er ist speziell auf den Erreger zugeschnitten. Ebenso wie der Apicoplast, ein lebenswichtiges Stoffwechsel-„Organ“ des Einzellers, vermutlich Überbleibsel einer „versklavten“ primitiven Alge. Auch die Steuerung der erstaunlichen Wandlungsfähigkeit des Erregers und seine deprimierende Fähigkeit, das menschliche Immunsystem zu unterlaufen, sind Zielscheiben für neue Medikamente.

Der andere Partner des tödlichen Gespanns, die Anophelesmücke, hat 14 000 Gene in ihrem 23 Millionen Basenpaare umfassenden Erbgut versammelt. Seine Entzifferung dauerte nur 14 Monate, kostete 14 Million Dollar und wurde von Robert Holt von der Biotech-Firma Celera Genomics in Rockville (Maryland) geleitet. Die Forscher setzen jetzt auf den Erbgut-Vergleich zwischen Anopheles und Taufliege. Beide Insekten sind genetisch durchleuchtet und gehören zur gleichen biologischen Ordnung, den Zweiflüglern (Diptera). Auf diese Weise erhofft man sich Aufschluss über die Art und Weise, wie sich Anopheles gegen die Parasiten wappnet, die es auf den Menschen überträgt.

Anopheles ist perfekt an den Menschen angepasst. Das beginnt mit ihrem Geruchssinn. Angezogen werden die Tiere durch menschliche Ausdünstungen, vor allem der Füße. Ihr Stich ist keine blinde Blutabnahme, sondern eher mit moderner Schlüsselloch-Chirurgie vergleichbar. Zunächst wird mit zwei rasiermesserscharfen, mikroskopisch feinen Klingen die Haut geritzt. Dann sucht der Saugrüssel das Unterhautgewebe nach einer Blutader ab. Über eine Röhre wird der Speichel gespritzt. Er enthält schmerzstillende und die Blutgerinnung hemmende Substanzen – und natürlich den Malaria-Erreger. Über eine zweite Röhre wird Blut gesogen. Das ganze dauert an die 90 Sekunden. Eine Erbgutanalyse zeigt, dass Anopheles Gene für 58 verschiedene Eiweißmoleküle besitzt, die allesamt die Blutgerinnung blockieren.

Vielleicht sind die nun weitgehend abgeschlossenen Genom-Projekte das Signal für eine neue Initiative gegen Malaria. Nötig wäre es. Denn der Erreger wird gegen die zwei wichtigsten Arzneien, Chloroquin und Fansidar, zunehmend widerstandsfähiger. Auch Impfversuche schlugen fehl.

Der Aufbruch der Malaria-Forschung ins Genom–Zeitalter stößt aber unter Fachleuten auf Skepsis. Nicht nur, dass medizinische Durchbrüche der Genomik auf sich warten lassen. Hinzu kommt, dass für Arzneihersteller die Entwicklung neuer Mittel wenig lukrativ ist, weil die potenziellen Abnehmer finanzielle Habenichtse sind. Manche Experten bemängeln, dass die Genomforschung zu abgehoben ist und die realen Probleme in Afrika zu wenig berücksichtigt. Wieder andere fordern mehr Mittel für die Malaria-Vorbeugung, etwa Mückennetze. Kaum zu glauben: Möglicherweise waren es Vorhänge vor den Fenstern unserer Ahnen, die den Parasiten in unseren Breiten das Handwerk legten.

Mehr im Internet unter:

www.nature.com

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