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Gesundheit: Unheimlich weiblich

Von Frauen, Männern und anderen Identitäten: Wie der Postfeminismus neue Bewegung ins Verhältnis der Geschlechter bringt

Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Diese Weisheit scheint nicht nur im Fußball zu gelten, sondern auch für die Frauenbewegung. Seit spätestens den 1990er Jahren, so heißt es, hätten wir den Feminismus überwunden, befänden wir uns im Zeitalter des Postfeminismus. Und weil es manchmal so aussieht, als sei nach der Emanzipation vor der Emanzipation, muss das Spiel wohl von Neuem beginnen: „Wir brauchen einen neuen Feminismus“, titelte unlängst die „Zeit“. Anlass waren unter anderem die Äußerungen der Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die die Emanzipation für die demografische Entwicklung in Deutschland verantwortlich machte und die Frauen nachdrücklich wieder an ihren „Schöpfungsauftrag“ – das Kinderkriegen – erinnerte.

Solche Äußerungen scheinen eher prä- als postfeministisch – oder sie sind beides zusammen. Was aber ist eigentlich Postfeminismus, und wie ist es dahin gekommen? Dass die Überzeugungen der „Courage“- und Alice-Schwarzer-Generation schon bald an Popularität und Schlagkraft einbüßten, liegt einerseits an einem ganz normalen gesellschaftlichen Verschleißprozess. Die Zeiten ändern sich, Slogans nutzen sich ab, manchmal will man einfach Neues denken. Auch die politische Kultur hat sich gewandelt. Individualismus und Einzelkämpfertum sind an die Stelle der großen solidarischen Bewegungen getreten. Damit ist auch ein großer Antrieb der lila Power erloschen.

Ein anderer Stolperstein für die Frauenbewegung war theoretischer Natur. Das kleine Wörtchen „Frau“ entpuppte sich als Wechselbalg. In einer Art doppelter Buchführung kritisierten Feministinnen einerseits das „Weibliche“ als patriarchales Konstrukt. Andererseits mussten sie den Begriff für die eigenen Utopien in Anspruch nehmen, schließlich ging es ja darum, eine neue Bestimmung für Weiblichkeit zu entwerfen. Doch dabei stolperte man bald in die „Thatcher“-Falle: Was draufsteht, ist lange noch nicht drin. Eine Frau macht nicht unbedingt auch Frauenpolitik, das biologische Geschlecht jedenfalls ist nicht ausschlaggebend. Was aber dann? Was um Himmels willen war „weiblich“?

In der feministischen Diskussion wurde es zum Usus, zwischen „sex“, dem biologischen Geschlecht, und „gender“, dem sozialen Geschlecht, zu unterscheiden, also jenen Merkmalen, die allein kulturell bedingt scheinen, wie Kleidung und Verhalten. Das schien das Problem erst einmal zu lösen.

Ein Wende kam mit Judith Butlers „Gender Trouble“, das unter dem Titel „Das Unbehagen der Geschlechter“ 1991 auf Deutsch erschien. Dieses kleine und alles andere als allgemein verständlich geschriebene Buch war deshalb so wichtig, weil es die Paradoxien der Begriffe „Frau und Mann“ klar auf den Punkt brachte und die Unterscheidung von „sex“ und „gender“ radikalisierte. Butlers Hauptidee, die nicht ganz von ihr alleine stammt, heißt „doing gender“. Das bedeutet, dass wir nicht einfach ein Geschlecht haben, sondern dass wir unser Geschlecht in Tausenden von kleinen Einübungen immer wieder herstellen. Dies, und nur dies, ist die Realität des Geschlechts.

Jede Frau, die früher gelernt hat, sich „wie ein Mädchen“ zu verhalten, und später verzweifelt versucht, den Schönheits-, Mode- und Lebensführungstipps von „Brigitte“ zu entsprechen, müsste wissen, was Butler meint. Wir eifern – Frauen wie Männer – Idealen hinterher, die es nur gibt, weil wir sie imitieren. Was Butlers Ansatz so radikal macht ist, dass sie die Kategorie „sex“ so sehr von „gender“ trennt, dass sie überflüssig wird. Das biologische Geschlecht hat mit dem sozialen nichts zu tun und beeinflusst es auch nicht.

Im Gegenteil, der angeblich biologische Unterschied ist selbst konstruiert, denn welche Zeichen wir für Geschlechtszeichen halten, ist gesellschaftlich bestimmt. Wenn das so ist, kann es auch vier, sechs oder sechzig Geschlechter geben, und dass wir ausgerechnet an den zweien – Mann oder Frau – kleben, hat mehr mit einer ideologischen Anhänglichkeit an das Gebot der Heterosexualität zu tun als mit den angeblich „natürlichen“ Grundlagen des Lebens.

Butlers Konzept des „doing gender“ und ihre Polemik gegen Zweigeschlechtlichkeit sind vielfach angegriffen und oft auf zu einfache Weise missverstanden worden. Doch egal wie man es mit ihr hält, ihre Kritik war ungeheuer produktiv, hat die Sozial- und Kulturwissenschaften revolutioniert. Mit desaströsen Folgen für die Geschäftsgrundlage des alten Feminismus: Die Kategorie „Frau“ ist nur noch unter Vorbehalt zu gebrauchen. Damit wären wir auch auf theoretischem Feld im Postfeminismus angekommen.

Vornehmlich in den 1990er Jahren etablierten sich die „Queer- und Genderstudies“. „Queer“ heißt „verrückt“ und ist in den USA ein Schimpfwort für Homosexuelle gewesen. Jetzt avancierte es zu einem Konzept, das sich zum Ziel machte, Geschlechtergrenzen aufzulösen, sie zu „queeren“. Diese neue Art, über Sexualität nachzudenken, ist durchaus nicht unpolitisch. Sie trifft sich in manchem mit alten feministischen Forderungen. Auch Alice Schwarzer wollte die ideologischen Folgen des „kleinen Unterschieds“ restlos abbauen. Doch zielt sie wesentlich darüber hinaus, denn es geht nicht einfach darum, Emanzipation für „Frauen“ zu fordern, sondern das ganze Gebäude der Mann/Frau-Unterscheidung gründlich auf den Kopf zu stellen. Errungenschaften wie Frauenräume, Frauencafés, Frauenbuchläden oder Frauenquoten wirken aus der postmodernen Position betrachtet altbacken, bieder und grundsätzlich fragwürdig. Wer soll in deren Genuss kommen, wenn es eigentlich gar keine „Frauen“ gibt? Und was ist mit Transgendern, also Menschen, die ihr Geschlecht wechseln?

Eines war spätestens in den 1980er Jahren schon sonnenklar, nämlich, dass Frauenforschung alleine keinen Sinn macht. Geschlechter definieren sich gegenseitig. Und so trat, wie nicht anders zu erwarten war, auch die Männerforschung auf den Plan. Einer ihrer herausragenden Vertreter war der australische Soziologe Robert Connell, der heute als Raewyn Connell, als Frau, lebt. Sie untersucht ganz im Sinne des „doing gender“, was Männer tun müssen, um Männer zu werden, und welchen Preis sie dafür bezahlen. Wie der Titel eines ihrer Bücher, „Masculinities“, verrät, geht Connell davon aus, dass es verschiedene Formen von Männlichkeit gibt, gesellschaftlich marginalisierte – den Proletarier zum Beispiel – oder eben „hegemoniale“ Formen, wozu der erfolgreiche Manager-Typus zählen würde.

Unter dem Begriff „Männerforschung“ versammeln sich heute verschiedenste Anliegen, natürlich auch jene zänkisch-gekränkten Abrechnungen mit Frauen, die Connell als „reaktives Patriarchat“ bezeichnen würde. Doch die kritische Männer- und Geschlechterforschung haben die alte Frauenfrage weitgehend abgelöst. Und ein weiteres Label hat Konjunktur, das so genannte Gender Mainstreaming. Es ist ein praktisches Instrument der Gleichstellung, das beide Geschlechter in den Blick nimmt. Gender Mainstreaming analysiert Macht und Aufgabenverteilung in Institutionen und sensibilisiert für meist unerkannt ablaufende Geschlechtermechanismen in Arbeitsprozessen. Es bedient sich aus Zielen der alten Frauenbewegung ebenso wie aus Erkenntnissen der Genderstudies – und ist von beiden Seiten wenig geliebt. Nicht Fisch, nicht Fleisch – aber vor allem EU- und bürokratietauglich.

Die Vorsilbe „post“ scheint immer bedeuten zu wollen, dass starre Kriterien sich auflösen und alles möglich wird. So scheint es auch in Zeiten des Postfeminismus. An den Universitäten kritisieren die Genderstudies weiter die Behauptung, es gebe ein natürliches Geschlecht. Doch in der Öffentlichkeit ist ein neuer Glaube an die Macht des Fleisches erwacht, an die Macht der Gene, Hirne und Hormone. Als könnte die Biologie den Geschlechtsunterschied erklären. Die Medien lieben Schwule, Lesben und Transvestiten, und gleichzeitig differenziert die Mode sich wieder aus, Unisex ist nicht zu haben, Männer werden – ausgerechnet schwulen Trendsettern nacheifernd – männlicher, Frauen werden weiblicher. Und was früher als „sexistisch“ galt, heißt heute – auch bei Frauen – wieder sexy. Frau regt sich nicht mehr auf. Sie hätte wohl auch keine Chance mit Empörung.

Und dann scheint, allem Postfeminismus zum Trotz, das Jahrhundert der Frauen angebrochen zu sein. Im Arbeitsleben werden „soft skills“, eher weibliche Tugenden wie Kommunikationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft, immer wichtiger. Frauen wirken klüger, schöner und vernünftiger als Männer. Mädchen haben in der Schule aufgeholt, nun diskutiert man die Diskriminierung von Jungen und den schädlichen Einfluss weiblicher Erziehungskräfte. Weil es Angst macht, wenn einige Frauen Erfolg haben, sah sich FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher bemüßigt, eine „Männerdämmerung“ heraufzubeschwören. Das starke Geschlecht ist stark verunsichert, und Bücher der Sorte „Warum Männer besser einparken und Frauen besser zuhören können“ bleiben auf den Bestsellerlisten – ungeachtet aller feministischen oder postfeministischen Debatten.

Feminismus oder Postfeminismus – egal in welchem Teil des Zyklus wir uns befinden – sind immer Ausdruck der gegenwärtigen Zeit. Weil seit einigen Jahren die Themen Demografie und geschlechtliche Reproduktion so dringend auf der Tagesordnung stehen, ist es kein Wunder, dass auch der alte Kampf der Geschlechter wieder stärker zum Vorschein kommt, mit all seinen männerdämmrigen Misstönen. Doch es täte der Debatte gut, zwischen einem antifeministischen und einem profeministischen Postfeminismus zu unterscheiden. Nicht alles, was nach der Emanzipation kommt, muss so rückständig sein wie die Elaborate Eva Hermans oder Frank Schirrmachers, über die sich selbst gestandene Frauenrechtlerinnen nicht mehr ernsthaft aufregen wollen.

Wenn heute aber ausgerechnet die CDU die erste Bundeskanzlerin stellt und eine Familienministerin, die beim Erziehungsgeld „Vätermonate“ durchsetzt, ist das, nach alten feministischen Kriterien betrachtet, wirklich ein Fortschritt. Postfeminismus kann eben auch heißen, dass die Forderungen der Frauenbewegung ein Stück weit gesellschaftliche Normalität geworden sind. Mehr jedenfalls als die angeblich „postfeministische“ Idee von der Auflösung der Geschlechter. Die ist nicht so leicht zu verdauen. Warum? Offenbar steckt eine unendliche Lust darin, die Welt in Männer und Frauen aufzuteilen, allein deshalb, damit man das alte Spiel in neuer Variante immer wieder von vorne spielen kann.

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