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Gesundheit: Unis gelten als ideales Aufreiß-Revier - völlig zu unrecht wird dieses Gerücht seit Jahrzehnten kolportiert

Also, es gibt ja Leute, die immerfort diese Uni-Märchen erzählen. Die meisten sind überhaupt nicht wahr.

Also, es gibt ja Leute, die immerfort diese Uni-Märchen erzählen. Die meisten sind überhaupt nicht wahr. Märchen eben, wie der Name schon sagt. Aber sie werden von einer Studentengeneration an die nächste weiter gereicht. Entsprächen sie der Realität, dann würden in dieser Stadt nur innig vereinte Akademiker leben. Das Gegenteil ist der Fall. Berlin ist die Metropole der Singles, ja: auch der studentischen Singles.

Irgendwo in Berlin hockt also jemand, der sich diese Mythen ausdenkt. Er muss ein Mensch mit Humor sein. Und er liebt technische Geräte. Eines seiner Uni-Märchen handelt nämlich davon, dass am Kopierer pausenlos Beziehungen entstehen. Das läuft angeblich so: Man geht gleich im ersten Semester hin, legt ein Blatt auf die Glasfläche und drückt hektisch auf zwei Knöpfe. Dann schaut man fragend in die Gesichter der Studenten, die hier schon Schlange stehen. Wie war das doch gleich mit dem Verkleinern? Mit etwas Glück springt der große Blonde hinzu, der sich eben im Einführungsseminar mit der Frage nach den Berufsaussichten von Germanisten blamiert hat.

Alle haben gelacht, und er war auf so süße Weise verlegen. Oder es kommt wenigstens der halbgroße Gepiercte, der vorhin auch das Zimmer vom Professor gesucht hat. Aber alles Hoffen und Bangen bleibt vergebens. Der Kopierer gibt schließlich doch ein ächzendes Geräusch von sich. Unter dem Deckel leuchtet es hell, und das fertige Blatt rutscht heraus.

Ein anderes Uni-Märchen handelt davon, dass sich die schönen und interessanten Menschen an bestimmten Instituten konzentrieren. "Geh mal zu den Juristen", rät eine Freundin. "Selten habe ich so viele gut gekleidete und wohlriechende Leute in einem Hörsaal erlebt." Irgendwie muss sie sich mit der Saalnummer geirrt haben. Oder diese adrett gescheitelten Jünglinge sind einfach nicht jedefraus Geschmack. Sie schleppen immerzu Gesetzestexte über die Flure und gucken wichtig in die Gegend. Die meisten scheinen von ihren Repetitorien derart geplagt, dass sie überhaupt nicht ans Flirten denken. Nein, zart fühlende Frauen sollten lieber die Finger davon lassen. Die Juristen sehen nämlich so aus, als würden sie auch im Bett noch Grundsatz-Urteile fällen.

Auch weitere Versuche gestalten sich schwierig. Die meisten Erstsemester-Partys sind zu laut, als das man miteinander ins Gespräch kommen könnte. In der Mensa der Humboldt-Uni klappern alle so intensiv mit dem Besteck, dass einem die Lust zum Flirten vergeht. Außerdem rufen die kahlen Wände Erinnerungen an den letzten Fünfjahresplan hervor. Und die Futter-Stelle der FU ist zu riesig, zu anonym, zu steril, um Beziehungs-fördernd zu wirken. Bleibt das Seminar. Dort treffen wir auch den Prof, und der wird trotz seiner Fältchen und der schlecht sitzenden Anzüge von vielen Studentinnen als sexy eingestuft. Ihn näher kennen zu lernen ist fast unmöglich. Er hat nur dienstags von 15 bis 16 Uhr Sprechstunde. Da wartet schon ein Dutzend Kommilitonen vor der Tür. In der Schlange steht allerdings der große Blonde, der neulich so süß verlegen war. Leider interessiert er sich nur für sein Referat.

Wo soll man sie also treffen, die einsamen akademischen Singles? Kein Ort - nirgends? Früher haben Studenten ja gemeinsam die Hausarbeit geschrieben, zu zweit ein Referat vorbereitet. Heute wursteln viele für sich. Bleibt als moderne Alternative der Computerpool. Da surft man im Netz, bis die Kiste abstürzt und fragt dann verlegen nach links: "Weißt du, wie man das Ding wieder startet?" So sollte es jedenfalls funktionieren. Aber das ist leider graue Theorie. Denn der Nachbar liest gerade den Seminarplan irgend eines amerikanischen Colleges und ist viel zu beschäftigt, um die hilflose Frau neben sich wahrzunehmen. Und wieder allein, ach.

Warum muss es auch unbedingt in der Uni passieren, warum nicht beim Hochschulsport? In Dahlem sind Kurse im Gesellschaftstanz sehr begehrt. Da können Anfänger hingehen und darauf hoffen, nicht nur die Walzerpartnerin, sondern eine Freundin für länger zu finden. Gleiches gilt natürlich für Tänzerinnen. Außerdem gibt es Sportkurse, in denen der Männer- oder der Frauenanteil deutlich überwiegt. Dort steigt die Chance, ein interessantes Exemplar aufzureißen. Auch diese Angelegenheit hat allerdings einen Haken. Zur "Rückenschule" kommen zwar viele Frauen, aber die meisten sind verspannt. Selbst bei der "Problemzonengymnastik" wird man(n) eine attraktive Studentin entdecken. Aber welche Frau will schon einen Kerl, der einen Kurs gegen Orangenhautbucht?

So bleibt, als letzte Hoffnung, die nun schon legendäre Balzzentrale von Berlin: die Staatsbibliothek. Es soll auch Leute geben, die zum Studieren und Leihscheine ausfüllen dorthin fahren. Von dieser unbedeutenden Minderheit einmal abgesehen werden die Lesesäle zum Anbaggern benutzt. Da lassen aufgepeppte Akademikerinnen mutwillig ihre Stifte fallen und hoffen, dass irgend eine Kreuzung zwischen Henry Maske und Ulrich Wickert sie wieder aufhebt. Oder sie verharren in der Caféteria (West), bis endlich das begehrte männliche Wesen dort seinen Stammplatz einnimmt.

Wenn das Haus früh öffnet, strömen diese Menschen nicht zu den Regalen, sondern zum Kaffeeausschank. "Manche sehe ich immer wieder", sagt eine Mitarbeiterin. "Die dehnen ihre Pause so lange aus, dass sie gar nicht zum Lesen kommen." Es gibt einen Moment, der den Aufreißer als solchen haarscharf entlarvt. Nachdem er sein dreckiges Geschirr abgestellt hat, kehrt der lernwillige Mensch gedankenversunken zu seinen Büchern zurück. Der Flirter aber, dieses Schlitzohr, läßt vor dem Verlassen der Caféteria den Blick noch einmal suchend durch die Menge schweifen. Erzählt die Mitarbeiterin.

Doch mal ehrlich: Wo sind die glücklichen Berliner Ehepaare, die sich alle in der Staatsbibliothek kennen gelernt haben? Wenn es Sie tatsächlich gibt, dann melden Sie sich bitte! Wir wollen alle gern wissen, wie Sie es geschafft haben. Den anderen bleibt nämlich nichts anderes übrig, als weiter an Uni-Märchen zu glauben. Und es immer wieder selbst zu versuchen.

Josefine Janert

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