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Verschreibungspraxis: Hormone – nicht mehr selbstverständlich

Östrogene gegen Beschwerden in den Wechseljahren werden seltener verschrieben. Der Rückgang beträgt fast 20 Prozent.

Es schlug hohe Wellen, als 2002 die eigentlich auf acht Jahre angelegte Women's Health Initiative (WHI)-Studie zur Hormontherapie in den Wechseljahren vorzeitig abgebrochen wurde. Bei der Analyse der Daten von über 27 000 amerikanischen Frauen hatte sich gezeigt, dass die Gabe von Östrogenen und Gestagenen Herz und Blutgefäße nicht wie erhofft schützte, sondern sich eher in mehr Arteriosklerose, Infarkten und Schlaganfällen niederschlug.

Nun liegen erste Ergebnisse vor, wie sich das auf die Verschreibungspraxis in Deutschland ausgewirkt hat. Es zeigt sich ein Rückgang um fast zwanzig Prozent. Zudem ergab sich, dass in Deutschland vor allem die besser ausgebildeten und gesundheitsbewussteren Frauen ihre Haltung änderten. Die auf einem Symposium in Berlin vorgestellten Daten stammen aus einem Projekt, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2003 ausgeschrieben hatte. Die Studie, die aus drei in Berlin angesiedelten Teilprojekten besteht, läuft noch bis Ende des Jahres und wird vom Robert-Koch-Institut (RKI) koordiniert.

Um herauszufinden, wie sich die WHI-Studie in Deutschland auf die Verordnung von Hormonen auswirkte, analysierten Mitarbeiter des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) Daten von 38 897 Versicherten der Gmünder Ersatz-Kasse (GEK). Demnach hat die Zahl der versicherten Frauen, die mindestens eine Hormonverordnung bekamen, gegenüber der Zeit vor der Veröffentlichung der WHI-Daten um 18,1 Prozent abgenommen. Eine zweite Untersuchung, die sich auf eine Telefonumfrage von 2004 und das Bundesgesundheitssurvey von 1998 stützt, zeigt die Veränderung ebenfalls: Die Zahl der Frauen zwischen 40 und 79 Jahren, die zum Befragungszeitpunkt Hormone nahmen, fiel von 16,9 Prozent im Jahr 1998 auf 10,1 Prozent im Jahr 2004.

Tatsächlich haben sich in diesem Zeitraum auch die Verordnungsempfehlungen geändert: Die Hormontherapie soll jetzt nur noch zur Behandlung typischer Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Schlafstörungen eingesetzt werden.

Interessant ist allerdings, dass nur die Frauen der mittleren und oberen Sozialschicht im Jahr 2004 weniger Hormone nahmen als 1998. Das veranlasste RKI-Epidemiologin Hildtraut Knopf zur Frage, ob Informationen über medizinische Studien die gesamte Bevölkerung erreichen. Für einen ungleichen Informationsstand spricht auch, dass es 1998 die gesundheitsbewussten Frauen mit besserem Einkommen und höherer Bildung waren, die in und nach den Wechseljahren häufiger Hormone einnahmen. Damals wurde die Hormontherapie noch zur Vorbeugung von Herz-Kreislaufleiden und als allgemeiner Jungbrunnen empfohlen.

Dass die WHI-Studie unter Frauen mit türkischem Migrationshintergrund weniger bekannt ist, ergab jetzt eine dritte im Projektverbund vom BMBF geförderte Befragung. Sie wurde von der Klinik für Frauenheilkunde der Charité Campus Virchow und der Alice-Salomon-Fachhochschule durchgeführt. Es nahmen 418 in Berlin lebende deutsche Frauen zwischen 45 und 60 Jahren, 264 Migrantinnen aus der Türkei und 260 Migrantinnen aus Korea, Japan und China teil.

47,2 Prozent der deutschen Frauen, 38,6 Prozent der Asiatinnen, aber nur 16,2 Prozent der Migrantinnen aus der Türkei kannten die Ergebnisse der WHI-Studie. Sie waren insgesamt schlechter über die Wechseljahre informiert, berichteten häufiger über Beschwerden und nahmen auch mehr Hormone ein. Außerdem gaben sie öfter als die anderen Frauen an, dass ihre Meinung zur Hormontherapie von ihrem Arzt beeinflusst sei. Der Charité-Gynäkologe Matthias David, der die Daten vorstellte, forderte deshalb, die Mediziner sollten den kulturellen Hintergrund bei der Beratung über klimakterische Beschwerden stärker berücksichtigen.

Dazu gehört auch die Beratung über das Absetzen der Hormone. Frauen, die sie wegen schwerer Wechseljahresbeschwerden verordnet bekamen, haben oft Angst, die lästigen Symptome könnten wiederkehren, wenn sie die Mittel wegließen. Eine ebenfalls vom BMBF geförderte Münchner Studie will nun untersuchen, was Frauen merken, wenn sie nicht wissen, ob sie weiter ihr gewohntes Hormonpräparat einnehmen oder ein Scheinpräparat.

Dafür werden die Teilnehmerinnen nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Gruppen zugeteilt. Immerhin 16 Prozent der bisher in die Studie eingeschlossenen Frauen werden möglicherweise schon deshalb keinen Unterschied zu vorher bemerken, weil sie die Tabletten genommen haben, obwohl sie zu den Glücklichen gehören, die nicht über typische Beschwerden zu klagen hatten.

Umgekehrt halten Hitzewellen bei einer kleinen Gruppe besonders geplagter Frauen über Jahrzehnte an. Genaue Analysen der WHI-Daten haben inzwischen ergeben, dass das auf erhöhte Anfälligkeit für Herz- und Gefäßleiden hinweisen kann. Und dass es nicht ratsam ist, die Hormone dann über Jahrzehnte zu nehmen. Jacques Roussow vom Nationalen Gesundheitsinstitut der USA in Bethesda, einer der Väter der WHI-Studie, riet beim Symposium den Frauen, die mit über 70 über starke Hitzewellen klagen, nicht nur ihren Frauenarzt, sondern auch einen Herzspezialisten zu konsultieren.

Adelheid Müller-Lissner

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