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Gesundheit: Vom schlechten Gewissen geplagt

Studieren mit Kind? Ein wahrlich schwieriges Unterfangen.

Studieren mit Kind? Ein wahrlich schwieriges Unterfangen. Die 25jährige Bettina Kraus, Soziologiestudentin an der Freien Universität, kann davon ein Lied singen. Sie ist vor knapp einem Jahr Mutter eines Sohnes geworden, seitdem hat sie nachts wenig Schlaf und am Tage viel Streß. "Die Strapazen beginnen schon am frühen Morgen, wenn Christian morgens um Punkt sechs, lauthals nach Nahrung schreit", sagt Bettina. Hat der Sohn dann etwas zu Essen bekommen, heißt es für Bettina, sich auf den Weg zu machen. "Christian kommt in die Krippe und Mama geht fleißig studieren", sagt sie schmunzelnd.Bettina belegt nur Lehrveranstaltungen, die um 16 Uhr enden. Liegt Christian endlich im Bett, wartet da noch der Haushalt. Und dann, vom späten Abend bis in die Nacht, wird für das Studium gelernt.Es sind vor allem die Studentinnen, die sich allein um die Erziehung ihrer Zöglinge kümmern müssen. So auch Bettina. "Mein ehemaliger Freund wollte das Kind nicht, und ich wollte nicht abtreiben. So haben wir uns entschieden getrennte Wege zu gehen.Knapp zehn Stunden am Tag widmet sie sich Christian und plagt sich dennoch meistens mit einem schlechten Gewissen herum. "Ich habe die Befürchtung, daß ich zu wenig Zeit für mein Kind aufbringe. Aber ein wenig Ruhe brauche ich ja nun auch", fügt sie an. Für das "wilde" Studentenleben bleibt meistens keine Zeit.Bundesweit gibt es an den Hochschulen mehr als 100 000 Studierende, die zwischen Kinderzimmer und Hörsaal hin und her pendeln. Eine Untersuchung des Berliner Studentenwerks ergab, daß 8,9 Prozent der Studierenden im Westen und 12,4 Prozent der Studierenden im Osten Berlins Kinder haben. Die Berliner Hochschulen sind auf die besondere Situation studierender Eltern jedoch nur bedingt eingestellt. So haben beispielsweise an der Technischen Universität (TU) die Väter und Mütter überhaupt keine Möglichkeit, ihre Kinder unterzubringen. An der Humboldt-Uni (HU) und an der Freien Universität (FU) gibt es zwar Kindertagesstätten, doch ist das Platzangebot sehr knapp. Grund dafür sind die Sparmaßnahmen an den Hochschulen. "Platz wäre für 174 Kinder vorhanden", sagt der Kita-Leiter der Freien Universität, Klaus Rotzoll, "aber wir haben aufgrund der Stellenstopps momentan nur die Möglichkeit, 125 Kinder zu betreuen. Das reicht bei weitem nicht aus." Insbesondere für die Kinder unter zwei Jahren gebe es eine sehr große Lücke von Betreuungsmöglichkeiten."Wir können da wenig Unterstützung anbieten", sagt Rosita Lohmann vom Studentenwerk Berlin. Den Grund hierfür sieht sie darin, "daß es immer noch keine Lobby in der gegenwärtigen Hochschulpolitik für die Studierenden mit Kindern gibt." Deshalb entstanden durch Eigeninitiative der Eltern vor ein paar Jahren an der HU und der FU eigene Kinderläden, die "FUni-Mäuse" und "Die Humbolde". Hier helfen sich die Eltern gegenseitig, in dem sie sich abwechselnd um die Betreuung der Kinder kümmern.Auch in den Studien- und Prüfungsordnungen werden die Probleme der Betroffenen kaum berücksichtigt. Zwar besteht die Möglichkeit, am Ende des Studiums einen Mutterschaftsurlaub zu beantragen, in den der Termin für das Examen gelegt werden kann. Doch bis dahin ist es für die Eltern ein schwieriger Weg: Sie leiden oft unter Geldnöten oder darunter, daß auch manche obligatorische Veranstaltungen zu Abendstunden stattfinden und daß viele Pflicht-Praktika absolviert werden müssen. Krankheiten der Kinder werden von vielen Fachbereichen nicht als Entschuldigungsgrund für Fehlzeiten akzeptiert. "Hier müssen die Studierenden selber agieren und sich mit den Dozenten und Professoren abstimmen", sagt die Vizepräsidentin der FU, Christine Keitel-Kreidt, zuständig für Studium und Lehre. "Das Problem liegt in der Artikulation der Studierenden. Wenn sie ihre Probleme offensiver angehen, dann gibt es immer eine Lösung", meint sie.Für viele ist der Gang in die Psychologischen Beratungsstelle die letzte Hoffnung, wenn sie sehen, daß die Kommilitonen ihr Studium beenden und sie selbst nicht voran kommen. Viele brechen ab. Die Zahl der Mütter, die ihr Studium aufgeben ist, im Vergleich zu den Vätern erheblich höher: In den alten Bundesländern sind es 34 Prozent (bei den Männern nur 18 Prozent), in den neuen Bundesländern ist die Abbrecherquote der Frauen 37 Prozent (bei den Männern nur zwei Prozent). "Die Doppelbelastung ist dafür ganz klar ein wesentlicher Faktor", sagt Holger Walther von der Psychologische Beratungsstelle der HU.Dennoch, Bettina ist sich sicher, sie wird nicht so leicht die Segel streichen. Sie möchte eine gute Mutter und eine gute Studentin sein.

Die Neuauflage der Broschüre "Studieren mit Kind" des Studentenwerks Berlin erscheint in etwa sechs Wochen, Telefon 830 02 498.FU-Kita, Königin-Luise-Str. 86, Tel. 838 37 00."FUni-Mäuse", Königin-Luise-Str. 47, Telefon 832 98 63.HU-Kita, Habersaahtstr. 13, Telefon 282 35 35."Die Humbolde", Dorotheenstr. 12, 10099 Berlin, Telefon 209 32 621TFH-Kita/"Villa March", Marchstr. 8, Telefon 314 24 761.FHW-Kita, Badensche Str. 50/51, Telefon 857 26 810.

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