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Gesundheit: Vor der Klimakonferenz: Grüne Lunge, schwarze Lunge

Der Wald wird oft als grüne Lunge der Erde bezeichnet. Doch die Erde hat zwei Lungenflügel.

Der Wald wird oft als grüne Lunge der Erde bezeichnet. Doch die Erde hat zwei Lungenflügel. Und einer von beiden ist nicht grün, sondern schwarz wie eine Raucherlunge. Brandrodung und Abholzung dezimieren die Wälder in Brasilien, Indien oder Indonesien in rasantem Tempo. Länder wie die Elfenbeinküste, Äthiopien oder Haiti haben ihren Wald bereits fast völlig verloren.

Die Rodungen beschleunigen die globale Erwärmung. Sie setzen den zuvor in den Stämmen und Wurzeln gebundenen Kohlenstoff wieder frei. Als klimaschädliches Gas entschwindet er in die Atmosphäre. Etwa ein Fünftel der weltweiten Kohlendioxidemissionen gehen derzeit auf die Zerstörung der Wälder und Änderungen der Landnutzung zurück.

Zum Thema Rückblick: Der gescheiterte Klimagipfel in Den Haag In vielen Industrieländern, in denen jahrhundertelang ein ähnlicher Raubbau betrieben wurde, hat inzwischen ein Trend hin zur Aufforstung eingesetzt. In Großbritannien nahm die Waldfläche in den 70er und 80er Jahren um 25 Prozent zu, in Portugal um elf, in Italien um zehn Prozent.

Vor allem die Amerikaner priesen den Segen ihrer jungen Bäume bei internationalen Klimaverhandlungen immer wieder an. Die Wälder hätten sich nach den Rodungen im 19. und im frühen 20. Jahrhundert wieder erholt. 1998 rechneten amerikanische Forscher vor, dass die Wälder in den USA, im Süden Kanadas und in Mexiko mittlerweile 1,4 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im Jahr schlucken und in Holz und Böden einbauen könnten.

Die internationale Gemeinschaft staunte über diese Zahl: 1,4 Milliarden Tonnen Kohlenstoff - das ist genau so viel, wie die USA jährlich durch die Verfeuerung fossiler Brennstoffe in die Luft pusten. Das Land, in dem Schornsteine und Autos so viel Kohlendioxid-Abgase in die Atmosphäre blasen wie in keinem zweiten auf Erden, hatte scheinbar genügend aufgeforstet, um den gesamten Schaden wiedergutzumachen.

Die Amerikaner wollen sich ihre Kohlendioxid-Senke im internationalen Klimaschutzabkommen anrechnen lassen. Bereits bei den Verhandlungen in Kyoto 1997 hatten sie erreicht, dass die Aufforstung in die Verträge aufgenommen wurde. Aber der Weg durch den Wald hat sie nicht zu der erhofften Lichtung gebracht. Die Berechnungen von 1998 waren falsch. Um die Bedeutung der Aufforstung für den Klimaschutz adäquat beurteilen zu können, sind umfassendere Bilanzen und langfristige Entwicklungen zu berücksichtigen.

Vor drei Wochen hat ein internationales Forscherteam eine neue Kohlenstoffbilanz für die USA aufgestellt. Demnach nimmt das Land 370 bis maximal 710 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Jahr auf - also bestenfalls die Hälfte der gegenwärtigen US-Emissionen. Die Wissenschaftler räumen zwar im Fachblatt "Science" (Band 292, Seite 316) noch etliche Unwägbarkeiten ein. Aber das Nullsummenspiel ist endgültig beendet.

"Man hat hier zum ersten Mal versucht, alle Quellen und Senken zu addieren", sagt Martin Heimann, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Nicht nur Bäume und Böden gingen in die Berechnung ein, sondern auch der Holzexport und -import sowie alle Waldbrände im Beobachtungszeitraum. Die Forscher verglichen diese Auflistung mit den in der Luft gemessenen Kohlendioxid-Werten. Auch daraus lässt sich anhand von Computermodellen eine Gesamtbilanz ermitteln. Beide Ansätze führten zu ähnlichen Ergebnissen.

Kurzfristige Speicher

Der positive Effekt der Aufforstung ist für das Klima außerdem nicht von Dauer. "Ein Wald ist nur in der Zeit eine Kohlenstoff-Senke, in der er wächst", sagt Heimann. In dieser Zeit nimmt er Kohlendioxid aus der Luft auf. Er speichert den Kohlenstoff kurzzeitig in den Blättern oder längerfristig im Holz und in den Wurzeln.

Anschließend stellt sich in einem intakten, naturbelassenen Wald ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Zersetzung ein. Lebewesen im Boden zerlegen heruntergefallene Blätter und altes Holz, wodurch zuvor aufgenommenes Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre entschwindet. Fallen die Bäume dagegen einem Waldbrand zum Opfer oder werden sie gefällt und das Holz verfeuert, dann gelangt der Kohlenstoff auf einen Schlag wieder in die Luft. Was heute eine Kohlenstoff-Senke ist, kann sich morgen in eine klimaschädliche Quelle verwandeln.

Auch die jungen Bäume in den USA werden nicht ewig wie ein Schwamm Kohlendioxid aus der Luft aufsaugen. Die jetzige Senke werde in den nächsten 50 bis 100 Jahren wieder verschwinden, sagt der US-Ökologe Stephen Pacala von der Universität Princeton. "Die Kohlenstoff-Senke wird mit der Zeit schwächer, während die Emissionen aus der Verfeuerung fossiler Brennstoffe weiter steigen."

Die Aufheizung der Erde lässt sich nicht durch Aufforstung stoppen. Aber man kann sie dadurch womöglich ein wenig verzögern und Zeit für eine Umstellung der Industrie auf abgasärmere Energietechniken gewinnen. Die Aufforstung könnte ein wichtiger Klimapuffer sein.

Bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen sind die Wälder und andere potenzielle Kohlenstoff-Senken allerdings ein heiß umstrittenes Thema. Das wird auch bei der Klimakonferenz in Bonn in der kommenden Woch wieder so sein. Denn es gibt bislang kaum zuverlässige Kohlenstoff-Bilanzen für die einzelnen Länder. Im Klimaabkommen ist allein von Aufforstung, nicht aber von Brandrodung oder Holzeinfuhr die Rede.

Japan solle es ermöglicht werden "bestimmte temporäre Speicher, zum Beispiel Wälder, für eine begrenzte Zeit anrechnen zu lassen", sagte Bundesumweltminister Jürgen Trittin Ende vergangener Woche. Er möchte die Japaner, die sich offenbar zum Schulterschluss mit der USA entschlossen haben, zur Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls bewegen. Was aber nützen neue Wälder in Japan, wenn das Land fast die Hälfte des weltweit gehandelten Tropenholzes kauft? Ganze Urwälder werden abgeholzt, um den japanischen Bedarf zu decken. "Man ist sich inzwischen einig, dass komplette Kohlenstoff-Bilanzen aus wissenschaftlicher Sicht das einzig Sinnvolle sind", sagt Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Gleichwohl hat das Beispiel der USA gezeigt, wie schwierig es ist, solche Gesamtbilanzen aufzustellen.

In Europa haben sich mittlerweile 70 Forschungs-Institute aus 15 Ländern zusammengeschlossen, um die hiesigen Quellen und Senken genauer zu studieren. Die bisherigen Analysen haben ergeben, dass die mediterranen Wälder besonders viel Kohlenstoff aufnehmen. Außerdem haben Forscher des Jenaer Max-Planck-Instituts nachgewiesen, dass ungestörte oder kaum bewirtschaftete Wälder bessere Partner für den Klimaschutz sind als intensiv bewirtschaftete Plantagen. Nach forstlichen Maßnahmen nimmt die Zersetzung der Streu und der organischen Substanzen im Boden zu.

"Hier geht es nicht nur um ein besseres Verständnis der Prozesse in unseren Wäldern, sondern gleichzeitig um die dringend erforderliche Entwicklung einer konsistenten Methodik zur Überwachung der biologischen Kohlenstoffsenken, welche die Einhaltung des Kyoto-Protokolls garantiert", sagt Ernst-Detlef Schulze, Direktor am Max-Planck-Institut in Jena, zu der europaweiten Studie. Vielleicht bringt sie im Verlaufe der kommenden Jahre ans Licht, auf welche Weise sich vorübergehend zusätzliches Kohlendioxid in den europäischen Wäldern speichert lässt. Bislang scheint unser Wissen um die Pfanzenwelt nicht ausreichend zu sein, um darauf spitzfindige Verträge zum Klimaschutz aufbauen zu können.

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