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Gesundheit: Vor der Professur zum Psychotest

Eine Provokation: Deutsche Unis wollen Gelehrte in Assessment Center schicken

Verglichen mit Berufungsverfahren für Professoren sind Papstwahlen schnelle und transparente Veranstaltungen. Zwei Jahre dauert es im Schnitt, bis die Mitglieder der Berufungskommission einen neuen Lehrstuhlinhaber gefunden haben. Die Bewerber prüfen sie dennoch nur kurz: Sie hören sich einen wissenschaftlichen Vortrag an und begutachten die Werke, die er bisher veröffentlicht hat. Organisatorisches Geschick? Managementfähigkeiten? Spielen bei der Wahl keine Rolle. Das Ergebnis ist erschütternd, sagt eine Studie, die vor kurzem das Centrum für Hochschulentwicklung veröffentlichte. Oft setzt sich zum Schluss nicht der Beste durch, sondern ein Kompromisskandidat, den eigentlich keiner haben will.

Loswerden kann die Uni ihn trotzdem nicht mehr. Ist der Professor einmal berufen, ist er schließlich unkündbar. „Fehlentscheidungen können wir nie wieder korrigieren. Das ist eine Belastung für die Wettbewerbsfähigkeit einer Universität“, sagt Dieter Lenzen, Präsident der Berliner Freien Universität. Die FU und einige andere deutsche Unis wollen die besten Professoren-Kandidaten deswegen bald in einem Assessment Center testen. Das ist eine Art Manager-Tüv, der in der freien Wirtschaft üblich ist.

Im modernen Wissenschaftsbetrieb ist es unabdingbar, Professoren wie Manager zu behandeln, begründet Lenzen den Vorstoß. In den Naturwissenschaften gebieten Professoren über mehr als zwanzig Mitarbeiter und hochmoderne Geräte, die mehrere Millionen Euro wert sind. Wenn sie erfolgreich forschen wollen, müssen sie von Unternehmen und Forschungsgemeinschaften Gelder in ähnlicher Höhe einwerben. „Diese Professoren müssen Fähigkeiten im Wissenschaftsmanagement und in der Personalführung mitbringen“, sagt Lenzen.

Bislang können die Hochschulen nur rätseln, ob die Kandidaten über diese Fähigkeiten verfügen. Ein Assessment Center könnte da Aufschluss geben. Mit unterschiedlichen Tests werden Kandidaten auf ihre so genannten Schlüsselqualifikationen untersucht. Können sie überhaupt die Arbeit eines großen Labors organisieren? Wie gehen sie mit Geld um? Wie behandeln sie ihre Mitarbeiter?

Dass Berufungsverfahren für Professoren dringend modernisiert werden müssen, ist unstrittig. Die Studie des Centrums für Hochschulentwicklung stellt fest, dass die Verfahren „zu Entscheidungen führen, die von Beteiligten und Betroffenen als zufällig, vielfach als unzumutbar empfunden werden“. „Gestrafft und optimiert“ werden muss die Auswahlprozedur, fordert der Hochschulverband, die Standesvertretung der Professoren. Der Wissenschaftsrat will im Mai Vorschläge vorlegen, wie moderne Berufungsverfahren aussehen könnten.

Die Uni Bremen setzt als einzige Hochschule in Deutschland bereits Assessment Center ein. Seit zwei Jahren schickt sie die drei Favoriten für einen Lehrstuhl zur Personalberatung Kienbaum.

Stefan Rebenich, Professor für Alte Geschichte, stand vor einem Jahr auf Nummer eins der Berufungsliste in Bremen. „Wenn Manager so rekrutiert werden, weiß ich, warum es um die deutsche Wirtschaft so schlecht bestellt ist“, lautet sein vernichtendes Urteil über das Assessment Center. Rebenichs Organisationstalent wurde mit einer Simulation getestet. Er musste sich in den Chef einer Catering-Firma hineinversetzen, die Fluglinien bekocht. Die Aufgabe lautete: Was machen Sie als Erstes, wenn Sie nach Ihrem Urlaub folgende Nachrichten auf Ihrem Schreibtisch vorfinden: Für einen Transatlantik-Flug hat Ihr Unternehmen verdorbene Muscheln geliefert und die First Class fast vergiftet. Ein Passagier will klagen. Der Betriebsrat fordert eine Neuorganisation der Wochenendschichten. Nebenan schmollt Ihre Sekretärin. Sie haben ihren Geburtstag vergessen.

„Trivial“ fand Rebenich das – als Professor habe er viel komplexere Entscheidungen zu treffen. Der auf die Simulation folgende psychologische Test glich dem in einer Fernsehzeitschrift, urteilt Rebenich. Seine Hauptkritik: Das gesamte Verfahren sei „viel zu durchschaubar“ gewesen. Den Ruf an die Uni Bremen hat er danach abgelehnt – aber nicht wegen des Assessment Centers, versichert er.

Wilfried Müller, der Rektor der Uni Bremen, gibt zu, dass die Vorbehalte anfangs enorm gewesen seien. „Gerade für Geisteswissenschaftler ist der Test eine Provokation“, sagt er. Inzwischen hätten die Professoren eingesehen, dass das „Vorsingen“ – wie der wissenschaftliche Vortrag in der Unisprache heißt – nicht ausreicht, wenn Wissenschaftler sich um einen Lehrstuhl bewerben. Die Uni will weiterhin Bewerber ins Assessment Center schicken.

Viele Professoren in Bremen lehnten die Tests auch gar nicht grundsätzlich ab. Sie spiegelten nur nicht ihren Arbeitsalltag wider, kritisierten sie. Kienbaum beruft sich zwar darauf, für die Uni ein neues Verfahren entwickelt zu haben. Dennoch musste der Test zu Beginn stark überarbeitet werden, heißt es aus Bremen.

Oder reicht ein Probeseminar und ein Abendessen mit einem Kandidaten völlig aus? So lassen sich soziale Kompetenzen von Bewerben viel besser als im Assessment Center feststellen, heißt es aus der ETH Zürich. Die ETH gilt an deutschen Hochschulen als großes Vorbild in Sachen Personalpolitik und lehnt die Entscheidungshilfe durch Personalberatungs-Firmen kategorisch ab.

3000 bis 6000 Euro kostet nach Lenzens Angaben eine Runde im Assessment Center. Wann die FU den ersten Bewerber dorthin schickt, ist noch unklar. Fest steht nur, dass das Prozedere eine Ausnahme bleiben wird, die nur für geldintensive Professuren eingesetzt wird, nicht aber für einen Philosophie-Professor mit ein oder zwei Mitarbeitern. Mangelnde wissenschaftliche Qualifikationen können Bewerber aber auch in Zukunft nicht durch überragende Sozialkompetenzen wettmachen, betont Lenzen. Womöglich sind die herausragendsten Köpfe sowieso nicht ganz so stark im Elfenbeinturm der Wissenschaft gefangen, wie das Klischee es immer will. In Bremen änderte das Ergebnis des Assessment Centers bisher in keinem einzigen Fall die Reihenfolge der Favoriten für eine Professur.

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