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Gesundheit: Vorsortierte Freunde

Über das Netzwerk „StudiVZ“ nehmen Studierende bundesweit Kontakt untereinander auf

„Wer ist der coole Typ im Audimax in der zweiten Reihe? Kennt mein Mitbewohner ihn? Wie heißt die WG im dritten Stock des Studentenwohnheims?“ Antworten auf diese brennenden Studentenfragen verspricht seit rund einem Jahr das Online-Netzwerk „StudiVZ“, kurz für Studierendenverzeichnis. Die deutsche Internetseite erinnert stark an das überaus erfolgreiche angloamerikanische Vorbild „Facebook“, das 2004 in Harvard entwickelt wurde und sich ebenfalls an Schüler und Studenten richtet. Beide sind Paradebeispiele des vielzitierten Web 2.0, genauer der „sozialen Software“, welche das Ziel hat, die unzähligen isolierten Netzsurfer miteinander in Kontakt zu bringen. Bei StudiVZ gibt es vom naturwissenschaftlichen Expertenzirkel bis zur Fangruppe des Berliner Komikers Kurt Krömer fast alles.

Ein offensichtlich attraktives Angebot: Mittlerweile hat die Plattform nach Angaben der Betreiber über eine Million registrierte Mitglieder. Jetzt hat die Verlagsgruppe Holtzbrinck, in der auch der Tagesspiegel erscheint, StudiVZ gekauft – nach Verlagsangaben für „über 50 Millionen Euro“. Das dreiköpfige Gründerteam Ehssan Dariani, Dennis Bemmann und Michael Brehm soll das Unternehmen weiterführen, im Management aber unterstützt werden. Umsätze macht die Seite bislang kaum, die Mitgliedschaft ist kostenlos. Das wirtschaftliche Potenzial steckt in den Mitgliedern der Plattform. Studenten, im Werber-Denglisch als „High Potentials“ bezeichnet, sind als künftige Gutverdiener eine attraktive Zielgruppe für Anzeigenkunden. Bislang heißt es auf der Seite: „Wir werden deine personenbezogenen Daten niemals zu Werbe- oder Marketingzwecken an Dritte weitergeben oder anderweitig Dritten zugänglich machen.“ Holtzbrinck hat zugesichert, dass die Nutzerdaten nicht bei anderen Unternehmen des Verlages verwendet würden.

Eine Berliner Nutzerin, 22, Studentin der Publizistik, erzählt, dass sie das StudiVZ-Angebot vor allem verwendet, um alte Schulfreunde wiederzufinden. Dazu gibt sie einfach deren Namen in die Suchmaske ein. Das Programm sucht dann zuerst in der Mitgliederliste ihrer Uni, danach bundesweit. Die Studentin selbst wurde vor einem halben Jahr von einer Freundin als Neumitglied angeworben. Heute, erzählt sie, nutze sie StudiVZ täglich – und sorgt mit dafür, dass das Schneeballprinzip weiterhin funktioniert: „Von meinen Freunden sind inzwischen 60 Prozent Mitglieder.“

Der Vorteil solcher Internet-Gemeinschaften ist die Vorsortierung. Statt wie im echten Leben zu riskieren, dass der Typ, den man anspricht, ein Blödmann mit völlig anderen Interessen ist, kann man in den Nutzerprofilen gezielt nach Gleichgesinnten suchen: Wer nur einen Sprachpartner sucht, muss sich nicht lange mit Kommilitonen auseinandersetzen, die nur feiern wollen.

In seinem eigenen Profil kann jeder Nutzer genau so viel von sich preisgeben, wie er will. Findet man als Nutzer ein anderes Mitglied interessant – sei es, weil er oder sie am selben Tag Geburtstag hat, dasselbe studiert oder auch ein Auslandssemester in Hongkong verbracht hat –, kann man sofort Kontakt aufnehmen. Der Mitstudent wird vom Netzwerk per E-Mail benachrichtigt. Neben der einen Million Nutzer aus dem deutschsprachigen Raum, die sich in mehr als 300 000 Gruppen tummeln, ist StudiVZ inzwischen auch im europäischen Ausland aktiv: in Frankreich mit „studiQG.fr“, in Spanien mit „estudiLN.net“, in Italien mit „studiLN.it“ und in Polen mit „studentIX.pl“.

Soviel zur Erfolgsgeschichte. In jüngster Zeit war StudiVZ auch in die Kritik geraten. „Spiegel Online“ berichtete im November über „Zweifel am Datenschutz, dubiose Nazi-Witze und unflätige Videos“. Er habe „zweifelsohne viel Mist gebaut“, schrieb Firmenmitgründer Dariani damals in seinem Blog und bat die Nutzer um Entschuldigung. Unter anderem war berichtet worden, dass er sich die Internetadresse „voelkischer-beobachter.de“ gesichert und dort mit einem satirisch überarbeiteten Titelblatt einer Nazi-Zeitung zu einer privaten Party eingeladen hat. Inzwischen scheint der reuige Internetpionier seine zweifelhafte Domain losgeworden zu sein. Gibt man die Internetadresse heute ein, landet man auf einer Seite des Satiremagazins „Titanic“.

Marc Felix Serrao

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