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Gesundheit: Vorurteile belasten Therapie

Suchtmediziner: Drogenabhängige durchaus an Behandlung von Folgekrankheiten interessiert

„Sie sind doch ein vernünftiger Mediziner, warum behandeln Sie denn solche Patienten?“ Die Frage, mit der sich der in Berlin niedergelassene Arzt Jörg Gölz ab und zu konfrontiert sieht, kennen viele seiner Kollegen, die sich am Wochenende zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin in Berlin trafen: Kaum ein medizinisches Gebiet ist von so vielen Vorurteilen belastet wie die Behandlung von Menschen, die von legalen und illegalen Drogen abhängig sind.

Als Vorsitzender der Fachgesellschaft sorgt sich Gölz aber nicht nur um das Ansehen der Suchtmediziner, sondern vor allem um die Therapie: Einerseits gibt es bei der Entwöhnung zu viel Beliebigkeit und eine ganze Palette obskurer Angebote „von religiöser Erweckung bis hin zu paramilitärischen Erlebnistherapien“. Andererseits werden aber immer wieder Zweifel laut, ob Drogenabhängige überhaupt in den Genuss wirksamer, aber teurer Behandlungen kommen sollen.

Das beste Beispiel dafür war zugleich auch ein Schwerpunkt des diesjährigen Kongresses: Die Therapie der Hepatitis C. Diese chronische Virusentzündung der Leber ist zehnmal ansteckender als HIV. Bis zu 95 Prozent der Heroinabhängigen sind infiziert. Der Erreger wurde erst vor wenigen Jahren identifiziert, inzwischen rechnet die Weltgesundheitsorganisation Hepatitis C zu den zehn Infektionskrankheiten, die am weitesten verbreitet sind. Die Viruserkrankung verläuft chronisch und kann unbehandelt zu Leberzirrhose, Leberzellkrebs und einem völligen Ausfall des lebenswichtigen Entgiftungsorgans führen. Letzter Rettungsanker ist dann manchmal eine Transplantation.

Das Virus vom Genotyp 3a, mit dem sich Drogenabhängige besonders häufig anstecken, kann mit einer Medikamentenkombination in bis zu 80 Prozent der Fälle erfolgreich behandelt werden. Dafür werden einmal in der Woche Interferone unter die Haut gespritzt, gentechnisch hergestellte Eiweißstoffe, die die Vermehrung von Viren hemmen. Zusätzlich muss einmal am Tag das Virusmittel Ribavirin eingenommen werden.

Eine Therapie, für die Patienten einen langen Atem und Durchhaltevermögen trotz unangenehmer Nebenwirkungen brauchen. „Drogenabhängige sind für eine solche Behandlung nicht zuverlässig genug, sie halten diese Verordnungen nicht ein.“ Diese Meinung hat Markus Backmund von der Abteilung Suchtmedizin des Krankenhauses München-Schwabing immer wieder gehört. Und sich geärgert: „Niemand hat das überprüft, es wurde einfach so hingestellt.“ Trotzdem resultierte daraus die Empfehlung internationaler Fachgesellschaften, keinen zu behandeln, der nicht vorher mindestens sechs Monate auf die Drogen verzichtete.

Backmund überprüfte die Sachlage in einer eigenen Studie und kann nun, auch auf Daten seines Kollegen Brian Edlin aus San Francisco gestützt, den Vorurteilen entgegentreten: Drogenabhängige können genauso gut behandelt werden, diejenigen unter ihnen, die durch die Ersatzdroge Methadon von der Nadel wegkamen, sogar besonders gut, denn sie haben ohnehin engen Arztkontakt. In den USA hat das National Institut of Health im August schon mit veränderten Therapieempfehlungen die Konsequenz aus diesen Ergebnissen gezogen. Auf dem Berliner Kongress bildeten sie die Basis für die Erarbeitung neuer, eigener Leitlinien.

„Viele Suchtkranke haben eine große Aufmerksamkeit für ihren Körper und sind sehr interessiert daran, dass Infektionen ausheilen“, hat Backmund in seiner täglichen Arbeit festgestellt. Solche Erfahrungen haben Ärzte auch in der langjährigen Behandlung von HIV-Infizierten mit modernen Medikamenten-Kombinationen gewonnen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arzt sich umfassend um die Kranken bemüht: Er muss zugleich die Suchtprobleme und die Nebenwirkungen der antiviralen Therapie im Blick haben.

„Wir kennen uns mit beidem aus“, nimmt der Internist und Psychotherapeut für sich und seine Kollegen in Anspruch. In ihrer Arbeit konnten sie sogar zeigen: „Auch Patienten, die in der Szene bleiben und weiter Drogen spritzen, können wegen ihrer Hepatitis C mit Medikamenten behandelt werden.“ Dann haben Arzt und Patient allerdings ein nicht gerade kleines gemeinsames Problem: „Man muss es schaffen, dass sie sich nicht noch einmal infizieren, denn ihre Infektion war ja Folge des riskanten Drogenkonsums“, gibt Michael Krausz vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung an der Universität Hamburg zu bedenken. Das Virus kann nicht nur durch „needle-sharing“ übertragen werden, sondern haftet auch an durchgespülten Spritzbestecken, wie in einer gerade erschienenen Sondernummer der Fachzeitschrift „Suchttherapie“ zu lesen ist. Bisher weiß nur der kleinste Teil der Drogenabhängigen von der Hepatitis C-Infektion, im letzten Jahr wurden nur etwa 1000 von ihnen mit dem Medikamenten-Mix behandelt.

Dass Wissen erschreckend selten Handeln nach sich zieht, zeigt sich bei der legalen Droge Alkohol. „Die Hausärzte sehen das Leid, sie haben aber oft Angst, die Betroffenen darauf anzusprechen“, resümiert Klaus Behrendt, Arzt und Geschäftsführer der Hamburger Drogenambulanzen. Fachübergreifende Leitlinien für die qualifizierte Alkoholikerbehandlung fehlen. So steht zu befürchten: Der „Stoff“ wird den seriösen Suchtmedizinern so schnell nicht ausgehen.

Adelheid Müller-Lissner

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