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Gesundheit: Wann ist ein Affe ein Mensch?

Schimpansen haben zu 99 Prozent unsere Gene. Forscher versuchen zu verstehen, warum sie trotzdem so anders sind

Sind wir nicht alle ein bisschen Affe? Vergleicht man die Gene im Erbgut von Primaten mit denen des Menschen, ist die Übereinstimmung frappierend: Zu knapp 99 Prozent haben Menschen und ihre nächsten Verwandten, die Schimpansen, die gleichen Gene. Doch warum sind Mensch und Schimpanse dennoch so unterschiedlich? Ist die Art der Gene, die ein Lebewesen in sich trägt, vielleicht gar nicht so entscheidend?

Forscher aus den USA und England haben herausgefunden, dass sich vor allem die Anzahl der Kopien bestimmter Gene im Erbgut von Mensch und Schimpanse unterscheidet. Möglicherweise ist die Menge dieser Kopien entscheidend dafür, dass sich die beiden verwandten Arten in den letzten sechs Millionen Jahren so stark auseinandergelebt haben. Ihre Studie haben die Wissenschaftler im Online-Fachblatt „Plos One“ veröffentlicht.

Um zu verstehen, worauf es beim Vergleich von Erbinformationen verschiedener Arten ankommt, kann man sich das Genom, also das komplette Erbmaterial eines Organismus, als Buch vorstellen. Es besteht aus Kapiteln, Wörtern und Buchstaben. Ähnlich einem Kochbuch mit Rezepten enthält es Anleitungen zur Herstellungen von Eiweißen (Proteinen) – den Grundbausteinen des Lebens.

Schon 2002 hatten Wissenschaftler des Kalifornischen Instituts für Technologie in Pasadena das Genom von Mensch und Schimpanse verglichen und eine 95-prozentige Übereinstimmung der Gene entdeckt. Ein Jahr später stellten Kollegen von der Wayne State University in Detroit fest, dass sogar 99,4 Prozent der Gene – also der Wörter in der Sprache der Erbinformation – bei Mensch und Schimpanse identisch sind.

Doch zwei Bücher, die sich zu 99 Prozent aus den gleichen Wörtern zusammensetzen, müssen noch lange nicht den gleichen Inhalt haben. Und auch der Umfang kann sich gewaltig unterscheiden. Wie auch in der deutschen Sprache, in der „der“, „die“, „das“ öfter gesagt und geschrieben werden als zum Beispiel „Giraffe“, kommen auch in der Sprache der Genetik manche Wörter (Gene) häufiger vor als andere. Ein Gen ist ein bestimmter Abschnitt auf einem Strang aus Desoxyribonukleinsäure (DNS). Die DNS ist ein langer „Textfaden“, in dem die vier verschiedenen Basen A, T, C und G für die Buchstaben stehen. Ihre Reihenfolge ist der Code für die Information im Erbmaterial. Jedes Gen hat dabei, genau wie jedes Wort, nur eine einzige Bedeutung: Es trägt die Information für den Bau eines ganz bestimmten Proteins.

Allerdings gibt es im Deutschen und in anderen Sprachen einige Wörter, die in ihrer Bedeutung fast identisch sind und im Sprachgebrauch synonym verwendet werden. Sprachwissenschaftler fassen solche sinnverwandten Wörter manchmal zu Gruppen zusammen. Auf ähnliche Weise fassen Forscher gleiche und ähnliche Gene, die die Bildung fast identischer Proteine auslösen, zu „Gen-Familien“ zusammen. Genetiker von der Universität Bloomington im US-Bundesstaat Indiana bestimmten nun die Größe dieser Gen-Familien. Sie zählten gleichsam, wie häufig das gleiche Wort oder ein Synonym im „Kochbuch der Proteine“ bei Schimpanse und Mensch vorkommt.

Die Forscher verglichen beide Genome und stellten fest, dass die Größe bestimmter Gen-Familien bei Menschen und Schimpansen recht unterschiedlich ist. Es zeigte sich, dass der Mensch 689 Genkopien durch Vervielfältigung von Erbgutabschnitten hinzubekommen, aber nur 86 Gene verloren hat, seit er sich vor sechs Millionen Jahren von dem gemeinsamen Vorfahren mit dem Schimpansen trennte. Berücksichtigt man noch jene 729 Gene, die die Affen seit der Trennung verloren haben, ergibt sich ein Unterschied von sechs Prozent.

Vor allem Kopien von Genen, die die Hirnfunktion steuern, liegen bei Menschen heute in einer höheren Anzahl vor als beim Schimpansen. Betrachtet man bei beiden Arten die Menge der entsprechenden Proteine, die mithilfe der Informationen auf den Genen gebildet werden, beträgt der Unterschied sogar schon 71 Prozent. Anders als früher vermutet, scheint also nicht nur die Qualität der Gene entscheidend für die Evolution zu sein, sondern auch die Quantität. Bei den doppelt vorkommenden Genen scheint es sich also nicht um bloßen DNS-Schrott zu handeln, sondern um Teile des Genoms, die einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung einer Art haben.

Was beim Kochen herauskommt, also welche Proteine am Ende in welcher Menge gebildet werden, hängt auch davon ab, wie oft man ein Rezept nachkocht. Gene, die die Information für Vorgänge tragen, die täglich im Körper ablaufen – wie zum Beispiel die Bildung von Blutkörperchen oder von Hormonen – werden sehr oft benutzt und immer wieder kopiert. Andere Protein-Rezepte werden dagegen nur selten gekocht.

Dass auch die Genexpression – also die Häufigkeit, mit der Informationen des Genoms abgerufen und damit Proteine aufgebaut werden – bei Affen und Menschen verschieden ist, hatte Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig schon 2002 festgestellt. Pääbo und sein Team untersuchten, wie aktiv Gene von Mensch und Schimpanse in Gehirn, Leber und Blut sind. Sie fanden eine enge Verwandschaft zwischen Mensch und Schimpanse, was die Genaktivität in Blut und Leber anging. Anders verhielt es sich beim Gehirn. Beim Menschen wurden bestimmte Gene im Gehirn viel häufiger abgelesen als bei den Schimpansen. Die entsprechenden Proteine wurden in wesentlich größerer Menge produziert.

Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse bestätigen also, was Pääbo schon damals vermutet hatte: Entscheidend für den Unterschied zwischen Mensch und Affe ist nicht die Art der Gene, aus denen sich ihr Genom zusammensetzt. Sondern, was der Organismus am Ende aus den Informationen macht.

Lange Zeit interessierte man sich nur für die einzelnen Wörter, die die Information zur Produktion eines bestimmten Eiweißes tragen. Heute weiß man, dass die Evolutionsprozesse der Genetik wesentlich komplexer sind. Das Buch des Menschen ist im Vergleich zu den Schimpansen offensichtlich häufiger überarbeitet, ergänzt und verfeinert worden, während aus dem Buch der Schimpansen gekürzt wurde. Darin könnte das Geheimnis dafür liegen, dass ein Affe noch lange kein Mensch ist, auch wenn seine Gene zu 99 Prozent mit unseren identisch sind.

Dagny Lüdemann

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