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Gesundheit: Was müssen Lehrer lernen?

Die Erziehungswissenschaftlerin Gitta-Juliane Zielke über die Mängel der Referendarsausbildung in der Schule

Frau Zielke, die neue OECDStudie zeigt, dass viele deutsche Schüler mit ihren Lehrern nicht zufrieden sind. Zumal solche aus bildungsfernen Schichten kritisieren das Unterrichtsklima. Woran ist ein guter Lehrer zu erkennen?

Seit langem ist bekannt, dass Schüler besser lernen, wenn der Lehrer ein positives Konzept von sich selbst vermittelt, wenn er die Schüler zum Mittelpunkt seines Unterrichts macht und wenn er bereit ist, Anregungen aufzunehmen. Ein professioneller Pädagoge muss in seinem Unterricht auch Faktoren wie eine sozial schwache Herkunft mitberücksichtigen. Das setzt voraus, dass er die Schülerinnen und Schüler in ihrem Verschieden-Sein annimmt und unterschiedliche Lernwege und -tempi zulässt. Der Lehrer wird zum Begleiter des Lernprozesses. Mit den Worten von Maria Montessori: „Hilf mir es selbst zu tun.“

Die Untersuchungen zeigen, dass das zu selten gelingt. Bestimmt spielen die hohen Klassenfrequenzen dabei eine entscheidende Rolle. Doch auch die Ausbildung der Lehrer ist schon länger in der Kritik. Was läuft hier falsch?

Rezepte von vor 30 Jahren sind für die neue Schülergeneration nicht effizient, werden aber teilweise noch an der Hochschule gelehrt. Deshalb müsste das Schulleben stärker mit dem Universitätsbetrieb verknüpft werden. Die Professoren und Professorinnen müssten in einem regen Austausch mit der Schule stehen.

Seit langem klagen angehende Lehrer besonders über das zweijährige Referendariat in der Schule. Sie kritisieren es als realitätsfern, weil mit übergroßem Aufwand einige wenige „Vorführstunden“ vorbereitet werden müssen. Das Verhältnis zu den Ausbildern in der Schule, den Seminarleitern, sei oft stark hierarchisch geprägt. Ist die schulpraktische Phase in Deutschland wirklich so schlecht?

Leider ja. Es stimmt, dass diese bis ins kleinste ausgefeilten „Vorführstunden“ nur Glanzlichter einer Leistung zeigen, nicht aber die Bewährung eines angehenden Lehrers im Schulalltag. Was die Beratungsgespräche der Ausbilder mit den Referendaren betrifft: Ich habe dazu eine Untersuchung für Berlin durchgeführt. Einige Seminarleiter schnitten dabei gut ab. Aber viele verhielten sich in dieser doch sehr sensiblen Kommunikationssituation pädagogisch eher inadäquat. Sie traten den Referendaren gegenüber undemokratisch und geringschätzig auf.

Warum verhalten sich manche Fachseminarleiter so?

Zum einen gibt es persönlichkeitsbedingte Unzulänglichkeiten. Der Fachseminarleiter gibt in jedem Analysegespräch auch ein Stück von sich und seinem Können preis. Für selbstsichere und in sich ruhende Persönlichkeiten ist es kein Problem, eigene Schwächen zuzugeben. Aber viele Fachseminarleiter haben Angst, sich vor ihren Kollegen oder dem Hauptseminarleiter zu blamieren. Sie bauen eine Fassade von Perfektionismus und Sachkompetenz auf – nach dem Motto: „Ausbildung ist kein Zuckerschlecken“. Das löst bei den Referendaren Angst und Abwehrreaktionen aus. Deshalb finde ich es problematisch, dass die Fachseminarleiter sowohl die Berater der Referendare sind als auch ihre Beurteiler.

Druck und Kritik dürften in einer Ausbildung nur schwer völlig zu vermeiden sein. Ist nicht das Wichtigste, dass die Fachseminarleiter den Referendaren beibringen, wie sie ihr Fach am besten unterrichten?

Fraglich ist, ob in einer Prüfungssituation mit Druck das tatsächliche Können des Kandidaten ermittelt werden kann. Auf Kritik dagegen kann und sollte nicht verzichtet werden. Diese Kritik muss jedoch aufbauend sein und an der Sache orientiert. Sätze, die die ganze Persönlichkeit des Referendars in Frage stellen, sind ungeeignet, etwa: „Da haben Sie uns ja was Komisches geboten“ oder „Wie wollen Sie so je die Prüfung bestehen?“ So etwas kam in meiner Untersuchung vor.

Wie kann sich die Schule aber sonst davor schützen, dass Menschen sich bewerben, die nicht gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen können?

Ausbilder haben eine hohe Verantwortung und müssen die Auszubildenden beraten, ob sie für den Beruf als Lehrerin oder Lehrer geeignet sind. Das ist sowohl die Aufgabe der Professoren in der Uni als auch der Fachseminarleiter in der Schule. Diese Aufgabe lässt sich aber nicht durch Zensuren lösen, sondern nur durch intensive menschlich sehr nahe Gespräche, was im Rahmen „Ausbildung der Ausbilder“ erlernt werden muss.

Und, wie können die Ausbilder besser auf ihre Aufgaben vorbereitet werden?

Für die Fachseminarleiterfunktion wurden bisher kompetente Lehrerinnen und Lehrer ausgewählt. Ein guter Lehrer zu sein, reicht für diese verantwortungsvolle Aufgabe aber nicht aus. Die Seminarleiter müssen lernen, zu beraten und zu moderieren, gruppendynamische Prozesse zu steuern und ein gutes Lernklima herzustellen.

Was sollen die Referendare für die Schule der Zukunft lernen?

Wenn wirklich das Unterrichtsniveau verbessert werden soll, müssen sich die Referendare von der tradierten Rolle des Lehrers als Einzelkämpfer lösen. In Zukunft liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung von Lernstrategien und auf Teamfähigkeit. In ihrer Ausbildung sollten Referendare lernen, Unterricht gemeinsam zu planen und durchzuführen. Der Fachseminarleiter müsste an diesem Prozess aktiv teilnehmen. Die Vorführstunden mit dem Show-Effekt könnten entfallen. Der Trend in der Schule muss weg von der Buch- und Schreibschule zu offenen Lernformen wie dem Projektunterricht gehen.

Würden Schüler mit großen psycho-sozialen Problemen bei einem offenen Unterricht ohne einen dominanten Lehrer überhaupt mitmachen?

Gerade diese Schüler brauchen ein schülerzentriertes, selbstbestimmtes Lernen. Je gestörter nämlich ein Schüler ist, desto offener muss die Lernsituation sein, weil die herkömmlichen Methoden versagen. Das bedeutet nicht Verzicht auf klare Grenzen. Gefordert wird „freie Arbeit“, nicht „freies Chaos“.

Das Gespräch führte Anja Kühne.

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