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Gesundheit: Wege aus der Hitzefalle

Deo, Tabletten oder Nervengift - übermäßiges Schwitzen lässt sich auf verschiedene Weise behandeln

Der Blick hängt an der Stirn, die Augen des Gesprächspartners folgen den Tropfen, die über Nase, Wangen, Kinn rollen. Der Hemdkragen ist bereits durchtränkt, die feuchten Flecken um die Achseln werden immer größer. Jetzt beginnt auch das Sakko nass zu werden. Flucht in kühlere Regionen ist nicht möglich. Das Gespräch ist wichtig, der Termin lange geplant, es geht um einen Vertrag.

„Danke für die Informationen, ich werde mir die Sache überlegen“, sagt der Gesprächspartner. Jetzt müsste der Versicherungsvertreter nachfassen. Doch er kann es nicht, er muss an die frische Luft. Das Jackett ausziehen, den Hemdkragen öffnen, bis ihm kühler ist, und er sich wieder anschauen lassen kann, ohne dass er sich ständig mit dem zerknüllten Taschentuch abwischen muss.

Die Flucht ins Freie bringt kurzfristig Erleichterung, doch es wären auch länger wirkende Hilfe möglich. Es gibt Therapien gegen die „Hyperhidrose“, wie Mediziner das übermäßige Schwitzen nennen. Und entsprechend heißt auch die Schweiß-Sprechstunde, die der Berliner Hautarzt Berthold Rzany anbietet, der an der Charité lehrt und forscht. Die Ratsuchenden plagt vor allem das „fokale“ Schwitzen, bei dem bestimmte Regionen – Kopf, Achseln, Hände oder Füße – betroffen sind. Solches Schwitzen, wie auch die generalisierte Form, bei der der ganze Körper schwitzt, sind gar nicht selten . Etwa fünf Prozent der Bevölkerung leiden darunter – in Deutschland rund vier Millionen.

Doch warum soll das eine Krankheit sein? Ist nicht Schwitzen ganz natürlich, reguliert sich dadurch die Körpertemperatur auf das verträgliche Maß von 37 Grad Celsius? Tatsächlich könnten wir ohne Schwitzen nicht leben, ohne die Kälte, die beim Verdunsten des Wassers entsteht, das aus den zwei bis drei Millionen Schweißdrüsen sickert.

Doch zu starkes Schwitzen gilt als unfein, es sei denn, man rennt sich beim Sport die Seele aus dem Leib. Der schweißüberströmte Champion wird bejubelt; aber in Gesellschaft, beim Essen oder Tanzen macht sich übermäßiges Transpirieren nicht so gut.

Nasse Flecken in der Kleidung wirken unhygienisch, Schweiß wird mit Gestank assoziiert. Dabei ist frischer Schweiß geruchlos, er besteht ja zu 99 Prozent aus Wasser. Rechtzeitiges Duschen erspart das Müffeln. Erst wenn Bakterien die organischen Inhaltsstoffe des Schweißes sowie Hautteile zersetzen, entsteht ein Duft, der bei Frauen eher säuerlich, bei Männern stechend bis beißend sein kann.

Vom Arzt nicht ernst genommen

Das Stigma des Ungepflegtseins wirkt sich im Beruf negativ aus. Vertreter mit nassgeschwitztem Kragen oder Kundenberater, die sich ständig übers Gesicht wischen, haben kaum Karrierechancen. Ein feuchter Händedruck ist keine Empfehlung beim Bewerbungsgespräch; sichtbarer Angstschweiß hat schon manche Einstellung verhindert.

Doch auch im privaten Bereich können die Schweißströme stören. Nicht wenige Betroffene versuchen Kontakte zu meiden, da sie sich vor dem Vorurteil mangelnder Hygiene fürchten. Minderwertigkeitskomplexe und Depressionen sind nicht selten die Folge. Daneben können sich Jucken und Hautleiden einstellen. Ausschläge, Entzündungen oder Pilze gedeihen gut an verschwitzten Stellen.

Kein Wunder, dass Betroffene ärztliche Hilfe suchen. Nicht immer mit Erfolg. „Manche Patienten berichten, dass sie mit ihrer Erkrankung vom Hausarzt nicht ernst genommen wurden“, sagt Rzany. Per Internet oder Überweisung von Hautärzten finden sie schließlich den Weg in die Spezialsprechstunde an der Charité. „Mehr Frauen als Männer; eher jung, zwischen 18 und Mitte 30", so charakterisiert der aus Freiburg stammende Dermatologe seine Klientel.

Die Diagnose kann schwierig sein, schließlich fehlt eine klare Definition für das Leiden. „Es gibt verschiedene Schweregrade und Verlaufsformen", sagt Rzany. Es seien klinische Faktoren wie auch subjektives Empfinden des Patienten zu berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt gibt die Menge des Schweißes beispielsweise in der Achsel. Man kann ihn mit Filterpapier aufnehmen und wiegen. Finden sich mehr als 30 Milligramm pro Minute, dann gilt dies als übermäßige Schweißproduktion. Zudem lässt sich das betroffene Areal per Jod-Stärke-Test abgrenzen, der die verschwitze Fläche blau färbt.

Wichtig ist zunächst die Feststellung, ob hinter dem Schwitzen andere Erkrankungen steckt. Diese „sekundäre Hyperhidrose“ kann hormonell bedingt sein, etwa in den Wechseljahren oder auf Grund einer Überfunktion der Schilddrüse. Auch Nervenschäden oder Medikamente können für Schweißausbrüche sorgen. Dann richtet sich die Therapie hauptsächlich gegen das Grundübel.

Anders sieht es bei der „primären Hyperhidrose“ aus, bei der nur das Schwitzen stört. „Die Ursache ist nicht bekannt“, sagt Rzany. Die ersten Symptome machen sich häufig in der Pubertät bemerkbar. Nervosität und Stress können Auslöser sein, aber auch körperliche Anstrengung. Häufig sind Achseln, Hände, Füße sowie Kopf oder Hals betroffen.

Am Anfang steht die Therapie mit „Antitranspirantien“, die laut Rzany bereits gute Erfolge bringen kann. Verantwortlich für den schweißreduzierenden Effekt der Deos sind vor allem Aluminiumsalze. Sie verstopfen die Ausgänge der Schweißdrüsen, die nach einigen Wochen bereits merklich schrumpfen können. Wer an Händen und Füßen stark schwitzt, findet oft durch „Iontophorese“ Linderung. Dabei werden die Gliedmaßen in mit Leitungswasser gefüllte Schalen gelegt und mit Gleichstrom behandelt. Dies bringt die Ionenkanäle der Schweißdrüsen durcheinander, so dass sie ihre Funktion einstellen. Mit besonderen Apparaturen lassen sich so auch Achseln oder Gesicht therapieren.

Einfacher scheint eine Tablettenkur, die ein paar Stunden von zu viel Schweiß befreien kann. Dabei wird die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Schweißdrüsen behindert. Die Methode ist laut Rzany für Menschen, die am ganzen Körper schwitzen, die erste Wahl. Noch wirksamer ist Botulinumtoxin A, das Nervengift, das in letzter Zeit auch als effektiver Faltenglätter Schlagzeilen machte. Mit feiner Nadel unter die Haut gespritzt, legt es die Übertragung der Nervenimpulse lahm, die die Schweißdrüsen zur Arbeit anregen.

„Innerhalb weniger Tage wird das betreffende Areal schweißfrei“, sagt Rzany. Allerdings lasse der Effekt nach einiger Zeit nach, so dass die etwa 700 Euro teure Prozedur innerhalb von vier bis zehn Monaten wiederholt werden müsse. Ebenfalls nicht dauerhaft wirken manchmal Operationen, bei die Achselhöhle eingeschnitten und die Schweißdrüsen abgesaugt werden. Große Komplikationen treten nicht auf, doch ist der Erfolg bisher nicht durch Studien gesichert.

Paul Janositz

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