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Gesundheit: Wie es der Zufall will

Ein Ehepaar knackt zwei Lotterien an einem Tag. Reine Statistik, sagen Experten – können wir das glauben?

Was noch kein Amerikaner schaffte, ist am vergangenen Donnerstag einem Ehepaar aus Kalifornien geglückt: an einem Tag zwei Lotterien zu knacken. Die Eheleute räumten so richtig ab. Zuerst gewannen sie in der kalifornischen Lotterie „Super Lotto Plus“ 17 Millionen Dollar, und gleich anschließend in der Ziehung „Fantasy 5“ weitere 126000 Dollar. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis liegt bei eins zu 24 Billionen (also: 1 zu 24000000000000).

Komisch, oder? Kurios auch, aber nicht ganz so lustig ist die Geschichte von den beiden Zwillingsbrüdern aus Finnland: Beide starben am selben Tag, nur wenige Stunden hintereinander und wenige Kilometer voneinander entfernt. Und beide wurden von einem Lastwagen überfahren.

Alles nur Zufall? Oder steckt vielleicht mehr dahinter? „Nein“, sagt Heinrich von Weizsaecker, Professor für Mathematik an der Universität Kaiserslautern. „Die Chance, an einem Tag zweimal im Lotto zu gewinnen ist zwar verschwindend gering, aber es gibt sie.“ Beispiel: Fällt beim Würfeln zehnmal nacheinander die Sechs, sieht das zwar für den Laien nicht nach Zufall, sondern eher nach einem gezinkten Würfel aus. Doch die Wahrscheinlichkeitsrechnung lehrt: Bei einer großen Zahl von Würfen ist jedes Ereignis gleich wahrscheinlich.

Ähnlich gilt das für all die Milliarden Ereignisse, die sich jeden Tag auf der Welt abspielen. Daher ist auch die Geschichte mit den Zwillingen weniger rätselhaft, als es denn Anschein hat. Angenommen, die beiden Zwillinge hätten sich am selben Tag nur ein Bein gebrochen – und die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert, läge bei eins zu 40 Millionen. Ginge man weiterhin davon aus, dass es weltweit 40 Millionen Zwillingspaare gibt, dann sind sich Statistiker sicher: Ein solcher doppelter Beinbruch wird irgendwo auf der Welt passieren, und zwar jeden Tag einmal. Auch der kuriose Fall der finnischen Zwillinge kann daher mathematisch erklärt werden.

Trotzdem stutzt jeder Mensch, wenn er von einem solchen Fall wie dem der Zwillingsbrüder hört. Eine Verschwörung? Ein Mordkomplott? – Aber warum? Wie kommt es, dass wir dem Zufall gegenüber skeptisch sind und automatisch nach einem „Muster“ oder nach einem „Sinn“ hinter solchen Ereignissen suchen?

In Tests konnten Psychologen belegen, wie sehr dem Menschenverstand der Zufall zuwider ist. Mehrere Probanden sollten sich eine Reihenfolge von zufälligen Würfelergebnissen vorstellen, also im Kopf würfeln.

Das Ergebnis: Obwohl bei einem echten Würfel auch mehrmals die gleiche Zahl hintereinander fallen kann, vermieden die Probanden solche Reihungen in ihrer Fantasie. Sie kamen ihnen schlicht nicht mehr zufällig vor. Stattdessen waren die Teilnehmer eifrig darum bemüht, alle Zahlen gleich oft zu nennen. Die menschliche Vorstellung von Zufall ist also sehr begrenzt.

Der Züricher Neurobiologe Peter Brugger hat mit einem Experiment nachgewiesen, dass das Gehirn zudem versucht, hinter scheinbar zufälligen Ereignissen eine Regelmäßigkeit zu erkennen. Brugger ließ seine Testpersonen auf einem Bildschirm einen Pfeil ins Ziel bewegen. Was niemand außer dem Forscher wusste: Der Pfeil durfte erst nach einer gewissen Zeit ins Ziel kommen – sonst war das Spiel verloren.

Die meisten Testpersonen merkten das bald unbewusst. Aber statt die Zeit einfach abzuwarten, bewegten sie ihren Pfeil in komplizierten Bahnen langsam ins Ziel oder bevorzugten bestimmte umständliche Tastenkombinationen – sie glaubten, dass sie ihren Pfeil über Umwege ins Ziel bringen mussten. Bruggers Fazit: Menschen suchen auch da noch Muster, wo gar keine sind. Und das nicht zu Unrecht: Muster zu erkennen, ist für den Menschen überlebenswichtig.

Schon unsere Urahnen mussten in Sekundenschnelle wissen, ob sich hinter den Streifen in den Büschen ein Tiger verbarg oder sich nur ein paar Gräser im Wind bogen. Erst wenn sich die Streifen ungleichmäßig zueinander bewegten, entsprachen sie nicht mehr dem Muster eines Tigerfells – das Gehirn konnte Entwarnung geben.

So nützlich unser Drang zur Mustererkennung ist, manchmal führt er uns eben in die Irre und wir sehen Zusammenhänge, wo in Wahrheit keine sind. Beispiel: Ein Freund, den wir vermissen, ruft an – just in dem Moment, da wir an ihn denken. Dabei übersehen wir, dass wir schon seit Wochen immer wieder an ihn denken.

Ein anderes klassisches Beispiel ist die rote Ampel, die uns ständig in die Quere kommt: Grüne Ampeln bemerken wir nicht, wir „rutschen“ durch den Verkehr. Aber sobald eine Ampel nach der anderen vor unserer Nase auf Rot umschaltet, schlägt unsere Aufmerksamkeit Alarm. „Wenn Ereignisse starke Gefühle wie Freude oder Ärger bei mir auslösen, bewerte ich das automatisch stärker“, erklärt Klaus Pawelzik, Biophysiker an der Universität Bielefeld.

Doch rationale Erklärungen bleiben oft unbeachtet: So lag im Fall der finnischen Zwillinge der „Zufall“ darin, dass beide Geschwister denselben tödlichen Fehler begangen hatten: Beide fuhren mit dem Rad am ungesicherten Rand einer viel befahrenen Straße – und das während eines Schneesturms.

Manchmal verdanken wir das Staunen über einen Zufall gerade unserem wachen Geist: Nehmen wir das Lied, das wir gerade im Radio gehört haben, und dessen Sänger wir plötzlich auf dem Werbeplakat an der Bushaltestelle sehen. Zufall? Nicht wirklich. Stattdessen handelt es sich um ein neurologisches Phänomen, das „Priming“: Sobald wir das Lied hören, aktiviert das Gehirn Assoziationen, die wir zu der Musik gespeichert haben. Lassen wir danach den Blick über die Straße schweifen, dringt das Bild des Sängers auf dem Werbeplakat viel schneller in unser Bewusstsein – wir hätten es sonst bloß übersehen.

Dass der Mensch sich so schwer tut, Ereignisse als bloße Zufälle zu akzeptieren, beschert ihm aber auch so manch romantische Illusion. Als er damals seine Frau getroffen habe, erzählt Pawelzik, sei das eigentlich ein zufälliges Ereignis wie jedes andere gewesen. „Trotzdem sagen wir uns: Diese Begegnung war Schicksal.“ Über solche Dinge, so der Physiker, denke auch er nur ungern in wissenschaftlichen Bahnen nach.

Roman Heflik

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