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Gesundheit: World Trade Center: Zerbrechliche Riesen

Wer New York kennt, kann sich die Skyline von Manhatten ohne die typischen Zwillingstürme kaum vorstellen. Fast ebenso unwirklich scheint es, dass das 417 Meter hohe World Trade Center innerhalb kurzer Zeit ausradiert werden konnte.

Wer New York kennt, kann sich die Skyline von Manhatten ohne die typischen Zwillingstürme kaum vorstellen. Fast ebenso unwirklich scheint es, dass das 417 Meter hohe World Trade Center innerhalb kurzer Zeit ausradiert werden konnte. Wie war es möglich, den Riesenkoloss aus Stahl und Beton so schnell zum Einsturz zu bringen? Grafik: Das World Trade Center "Es lag an der kombinierten Wirkung von Flugzeugeinschlag und fürchterlichem Feuer", sagt Klaus Rückert, Professor für Tragwerksentwurf an der Technischen Universität Berlin. Wenn die Terroristen dies so beabsichtigt hätten, sei es geradezu teuflisch perfekt gewesen. Denn mit Sprengstoff oder Flugzeugaufprall alleine oder nur durch einen Brand wären die Türme nicht zusammengebrochen. Natürlich ist es möglich, auch so einen wuchtigen Stahl-Beton-Koloss durch gezielte Sprengung zum Einsturz zu bringen. Dazu braucht es noch nicht einmal viel Sprengstoff, doch müssten - so Rückert - hunderte Stahlträger in den unteren Stockwerken angebohrt werden. Das sei für Terroristen unbemerkt nicht zu schaffen.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Reaktionen: Weltweites Entsetzen Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Der Flugzeugaufprall konnte zwar einige obere Stockwerke zerstören, doch hätte dies das Hochhaus nicht in die Knie gezwungen. Wenn auch Wolkenkratzer nicht speziell gegen Flugzeugabstürze ausgelegt seien, so sei die angewandte Röhrenkonstruktion jedoch sehr stabil. Den entscheidenden Halt gibt der innere Kern, der wie ein überdimensionierter Stab in den Boden verankert ist. Im hohlen Innern jedes World Trade Center-Turmes waren 56 Schächte mit jeweils zwei übereinander angebrachten Aufzügen sowie Versorgungskanäle etwa mit Stromkabeln. Derartige Hohlkonstruktionen sind Rückert zufolge besonders widerstandsfähig gegen Angriffe durch Orkane oder Erschütterungen durch Erdbeben. Das Bauprinzip ist gewissermaßen der Natur abgeschaut, die es beispielsweise bei Bambusrohren verwirklicht.

Zusätzliche Stabilität gibt die Außenhülle aus Stahl, die als in den Boden gerammte hohler Vierkant anzusehen ist. Zusammen mit dem Kern führt dies zu einer besonders widerstandsfähigen "Tube-in-Tube-Konstruktion", wie sie für alle modernen Hochhäusern charakteristisch ist. Am stabilsten wäre eine geschlossene Fassade, sagt Rückert. Doch ohne Fenster geht es nicht, beim World Trade Center waren es sogar über 40 000, die aber relativ klein gehalten waren, um dem Wind nicht so viel Angriffsfläche zu bieten. Vor der äußeren Stahlhülle hing noch eine Fassade aus Aluminium, die für die metallisch glänzende Außenansicht sorgte.

Die ineinandergestellten Hohlkörper gingen 110 Stockwerke in die Höhe und noch einige Etagen in die Tiefe. Als Anker diente in rund zehn Meter Tiefe eine zwei Meter dicke Betonplatte, die auf dem felsigen Gestein aufsaß. Die einzelnen Deckenkonstruktionen aus Beton waren zudem durch Stahlstützen gesichert, die in Abstand von etwa zehn Metern regelmäßig über die Fläche verteilt waren. Die große Hitze des brennenden Kerosins weichte diese Stahlkonstruktionen nach und nach auf. "Hochhäuser sind so ausgelegt, dass sie Bränden eine gewisse Zeit Stand halten können", sagt Rückert. Neunzig Minuten fordern beispielsweise die gesetzlichen Vorschriften in Deutschland. Die beiden New Yorker Türme waren durch die Flugzeuge aber bereits so sehr beschädigt, dass sie nur eine knappe halbe Stunde durchhielten. Die Wucht der oberen zusammenbrechenden Stockwerke ließ dann die darunter liegenden Etagen nach dem Dominoeffekt einstürzen.

Die Bautechnik des World Trade Center ist von dem aus Bangladesch stammenden Ingenieur Fazlar Khan nach dem Vorbild der Pagoden entwickelt, sagt der Leipziger Bautechnik-Professors Gert König. Bei über 160 Meter hohen Gebäuden in Frankfurt sei diese Röhrenkonstruktion auch eingesetzt. Die Sears Towers in Chicago sind ebenfalls nach diesem Prinzip konstruiert. Diese Bauten überholten 1974 die New Yorker Doppeltürme und erreichten mit 442 Metern den Weltrekord.

Der Gesamtkomplex der Sears Towers besteht aus neun umrahmten Röhren, von denen jede mindestens auf 49 Stockwerke kommt. Einige Röhren haben 65 beziehungsweise 90 Etagen, die beiden höchsten Türme gehen bis zum 110. Stockwerk. Das ebenfallsvon Fazlar Khan konzipierte Prinzip hat den Vorteil, dass sich die Angriffsflächen gegen den starken Chikagoer Wind auf die einzelnen Türme aufteilen.

Nach 23 Jahren verloren die Sears Towers die Auszeichnung als höchste Gebäude der Welt, als 1997 die 452 Meter hohen Petronas Twin Towers in Kuala Lumpur fertiggestellt wurden. Allerdings gab es darüber Streit, da bei den malaysischen Wolkenkratzern die spitz zulaufenden Antennen mitgerechnet wurden, während die aufgesetzte Sears Tower Antenne nicht zählt. Ein besonderes Merkmal ist die knapp 59 Meter lange "Skybridge", die die beiden Türme in etwa 170 Metern Höhe verbindet.

Das Rennen um das höchste Gebäude der Welt ist damit sicher noch nicht beendet. Der nächste Höhenflug ist bis 2004 mit dem 677 Meter hohen Centre of India Tower in Katangi geplant. Manche Vorhaben sind allerdings auch nie verwirklicht worden, der Beacon of Progress mit 457 Metern Höhe beispielsweise oder der Mile High Tower mit unglaublichen 1609 Metern. Realisiert wurde dagegen 1930 das Chrysler Building mit 319 Metern. Der Rekord hielt nur ein Jahr, dann übernahm das Empire State Building mit 381 Metern die Führung. Erst 40 Jahre später überrundete das World Trade Center den New Yorker Konkurrenten.

Paul Janositz

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