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Gesundheit: Wunder geschehen

Spontanheilungen bei Krebs kommen vor, wenn auch sehr selten. Relativ häufig ist es beim Melanom der Fall

Seit Monaten klagte Herr X über Schwäche, Bauchweh und Blut im Stuhl. Dann fanden die Ärzte zwei Knoten unter der Nackenhaut: Metastasen, also Tochtergeschwülste, eines malignen Melanoms, das heißt, des bösartigen Hautkrebses. Bösartig (maligne) nennt man Krebskrankheiten, weil sie nach gängiger Auffassung nie von selbst heilen, was bei vielen Krankheiten ja vorkommt, selbst beim Herzinfarkt.

Als bösartig ist der Krebs auch deshalb verschrien, weil sich noch heute hartnäckig die Überzeugung hält, trotz Behandlung ende er früher oder später immer tödlich. Das stimmt zwar schon lange nicht mehr: Fast jeder zweite Krebskranke könne realistisch auf dauerhafte Heilung hoffen, sagen Experten. Und weit öfter noch führt die Therapie zu einer – mit Heilung nicht gleichzusetzenden – Rückbildung (Remission) der Geschwulst.

Keine Tumorknoten im Bauch

Dass es auch ohne Behandlung eine Remission oder gar Heilung gebe, wurde lange Zeit bestritten. Noch 1949, im ersten deutschsprachigen Lehrbuch über „Das Krebsproblem“ schrieb K. H. Bauer: „Beim Krebs gibt es natürliche Heilung nicht.“

Herr X aber genas, wenn auch nicht ganz ohne Behandlung. Einen Tumor im Nacken konnten die Chirurgen ganz, den anderen nur teilweise entfernen. Bei einer Bauchoperation fanden sie viele Tumoren und Lymphknotenmetastasen. Nur ein besonders stark befallenes Dünndarmstück schnitten sie heraus, dann entließen sie den Patienten ohne weitere Therapie als unheilbar.

Knapp drei Jahre später kam der Mann, der sich längst wieder gesund fühlte, zu einer Leistenbruchoperation erneut in die Klinik. Es fanden sich im Bauchraum keinerlei Tumorknoten mehr. „Diese vollständige Spontanremission hielt acht Jahre nach der Krebsdiagnose weiter an“, schreibt der erfahrene Nürnberger Krebsspezialist Herbert Kappauf in dem – von der Deutschen Krebshilfe empfohlenen – Buch „Auch Wunder sind möglich - Spontanheilung bei Krebs“ (Herder, Freiburg 2003).

Ein Trostbüchlein für Krebskranke ist das nicht, dazu ist der Autor zu realistisch und zu sehr Wissenschaftler. Er weckt keine falschen Hoffnungen. Denn solch ein „Wunder“ – Kappauf spricht lieber von einem „statistischen Extremphänomen“ – ist zwar möglich, aber äußerst selten. Was er dazu sagt, ist wissenschaftlich so gut fundiert und mit Quellenangaben belegt, dass Ärzte mindestens so viel Gewinn davon haben wie informierte Patienten.

Spontanremissionen hielten die Ärzte früher schlicht für Fehldiagnosen: Ein von selbst verschwundener Krebs konnte keiner gewesen sein. Kappauf stützt sich nur auf gut dokumentierte und pathologisch gesicherte Fälle. Weil das Phänomen bis vor kurzem nicht besonders erst genommen wurde, gibt es über ihre Anzahl keine systematischen Untersuchungen, sondern nur Schätzungen. Immerhin dürften sie häufiger sein als sechs Richtige im Lotto. Kappauf durchforstete die einschlägige Literatur und fand heraus:

Gerade die häufigsten Krebsarten – Lungen-, Darm-, Prostata-, Brust- und Magenkrebs – bilden sich am seltensten spontan zurück, haben sie einmal das allererste Stadium überschritten. Für den Lungenkrebs zum Beispiel, an dem weltweit jedes Jahr über eine Million Menschen neu erkranken, wurden im Laufe vieler Jahrzehnte nicht einmal 30 Fälle von Spontanremission zuverlässig dokumentiert. Nur wenn der Lungenkrebs in einem sehr frühen, noch auf die Bronchialschleimschicht beschränkten Stadium ist, kann er sich bei Rauchern zurückbilden, die zu Nichtrauchern wurden.

Heilung wissenschaftlich erklärt

Bei Krebsarten, die seltener vorkommen, wie zum Beispiel malignen Melanomen, Nierenzellkarzinomen, Neuroblastomen im Kindesalter oder bestimmten Formen von Lymphknotenkrebs liegt der Anteil an spontanen Rückbildungen immerhin im Prozentbereich.

Wer vom Krebs zeitweise oder auf Dauer genesen ist, schreibt dies oft zu Unrecht einer Spontanremission, einer Außenseitertherapie oder der eigenen physischen und psychischen Abwehrkraft zu, obwohl er eine wirksame, wissenschaftlich fundierte Behandlung erhalten hat. Das fand die Arbeitsgruppe von Kappauf und Gallmeier im Nürnberger Klinikum heraus.

Denn die Erfolge einer kompetenten Krebstherapie werden häufig unterschätzt oder sogar ignoriert. Noch immer wird die Diagnose „Krebs“ als Todesurteil und der Rückzug der Krankheit mit oder ohne Behandlung als Wunder empfunden.

Für „Wunder“ gibt es aber zum Teil schon wissenschaftliche Erklärungen. Spontanremissionen sind vor allem für Mediziner äußerst interessant, denn man versucht, die natürlichen Heilungswege therapeutisch nachzuahmen. Das gelang zum Teil schon:

Brustkrebs geht manchmal während einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren zurück. Dann handelt es sich um eine hormonabhängige Form. Das macht man sich seit langem therapeutisch zunutze, indem man der Frau Östrogene künstlich entzieht: durch Drosselung der körpereigenen Hormonproduktion oder Zuführung von Antiöstrogenen.

Ein anderes Beispiel: Bei Entzündungen und Infektionskrankheiten bilden sich bösartige Tumoren manchmal zurück. Die Immunantwort des Körpers schädigt dann nicht nur die Viren oder Bakterien, sondern auch die – plötzlich als fremd erkannten – Krebszellen . Offenbar sind Zykotine (Zellbotenstoffe) die siegreichen Kämpfer.

Keine Krebspersönlichkeit

Mit einigen von ihnen, wie Interferonen und Interleukinen, behandelt man inzwischen nicht ohne Erfolg jene Krebskrankheiten, die relativ häufig auch spontan zurück- gehen, wie etwa bestimmte Leukämieformen oder maligne Melanome. Nur selten lassen sich allerdings Krebskrankheiten auf ein „geschwächtes Immunsystem“ zurückführen, betont Kappauf. Er hält daher nichts von der populären Ansicht, zur Krebs-Vorbeugung oder -Behandlung müsse man sein Immunsystem stärken, mit welchen Mitteln auch immer.

Der Onkologe Kappauf ist zugleich Psychotherapeut und befasst sich als Forscher intensiv mit der Frage, ob Krebsremissionen auf Willensanstrengung, bestimmte Einstellungen, Persönlichkeitsmerkmale oder Verhaltensweisen zurückzuführen sein könnten. Leider sprechen alle ernst zu nehmenden Studien dagegen.

Eine „Spontanremissions-Persönlichkeit“ gibt es ebenso wenig wie eine „Krebspersönlichkeit“. Bei allem Realismus und aller Offenheit entlässt der Autor seine selbst betroffenen Leser doch nicht ohne Empfehlungen für ein besser gelingendes Leben mit und trotz der Krankheit.

Freilich sind sie sehr knapp gehalten. Gemeinsam mit seinem Klinikchef Walter M. Gallmeier hat Kappauf aber 1995 ein ganzes Buch darüber geschrieben, das gleichfalls im Herder-Verlag erschien. Der Titel: „Nach der Diagnose Krebs - Leben ist eine Alternative“.

Informationen zum Thema Krebs:

Telefonischer Krebs-Informationsdienst (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums: 062 21 / 41 01 21 (montags bis freitags 8 bis 20 Uhr)

Weiteres im Internet unter: www.krebsinformation.de , Deutsche Krebshilfe: www.krebshilfe.de

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