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Gesundheit: Zusammenbleiben – so lange es geht

Erkrankt ein Partner an Demenz, ändert sich der Alltag tiefgreifend. Wie kommen ältere Paare damit zurecht?  Das erforscht eine 2011 gestartete Charité-Studie. Sie ist zugleich eine Hilfe für die Betroffenen. Teilnehmer werden noch gesucht.

Irgendwo hier hat es angefangen: Zwischen Küche, Flur und Wohnzimmer hat Ruth Wegener (Namen des Ehepaares geändert) immer öfter vergessen, was sie denn gerade noch erledigen wollte. „So was ist mir vorher nie passiert, ich will doch immer, dass zu Hause alles schön ist“, sagt die zierliche 69-Jährige, bei der 2011 eine Demenz diagnostiziert wurde. Sie stellt die Kaffeekanne auf den Tisch und setzt sich auf das große Ledersofa, auf dem man sich automatisch kerzengerade hält. Gegenüber steht die mächtige Schrankwand, links in der Ecke ein kleines Aquarium. Im Leben der Wegeners hat alles seinen festen Platz.

„Ich habe mich oft geärgert, weil das alles nicht mehr so klappt mit meinem Gedächtnis", sagt Ruth Wegener. Furchtbar sei das gewesen, aber jetzt gehe es ihr zum Glück viel besser. Die 69-Jährige hat ein unerwartet kräftiges Lachen, das an diesem Nachmittag oft durch den Raum hüpft. Konrad Wegener hat sich neben seine Frau gesetzt, er räuspert sich und erzählt, wie sie plötzlich das Waschmittel in das falsche Fach der Waschmaschine füllte, den Weichspüler überdosierte oder die Maschine schon ausschaltete, bevor die Wäsche fertig war.

Die Diagnose Demenz verändert eine Paarbeziehung. Wie geht man um mit diesem Krankheitsbild, und wie kann ein Paar unter diesen Umständen weiterhin zu Hause miteinander leben? Mit dieser Fragestellung setzt sich eine Studie der Charité auseinander, die 2011 gestartet wurde und noch bis 2013 läuft. Die Wissenschaftler haben ihre Untersuchung Dyadem genannt, dieser Name verwebt die Begriffe Dyade und Demenz miteinander. Das Wort Dyade steht in der Psychologie für die Beziehung zweier Menschen. Bislang gibt es noch keine konkreten Ergebnisse. Langfristig soll aus den Erkenntnissen der Dyadem-Studie ein Handbuch werden, an dem sich dann zum Beispiel Therapeuten und Krankenkassen orientieren können. „Die betroffenen Paare hatten für das gemeinsame Alter eigentlich ganz andere Pläne“, hat der Projektleiter Michael Rapp am Telefon gesagt. Er arbeitet am Gerontopsychiatrischen Zentrum der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im Sankt-Hedwig-Krankenhaus. Für die Studie haben er und sein Team ein Training entwickelt, das konkrete Alltagsfragen im Umgang mit der Demenz beantwortet. Die Wegeners haben schon kurz nach der Diagnose an dem Projekt teilgenommen. „Wo haben wir noch mal davon erfahren?“, fragt Ruth Wegener. „In der Gedächtnissprechstunde im Sankt-Hedwig-Krankenhaus“, antwortet ihr Mann.

„Je früher die Paare zu uns kommen, desto besser ist es“, sagt die Psychologin Sandra Dick, die auf der anderen Seite des Sofas sitzt. Die 37-Jährige hat in den vergangenen Monaten in vielen Wohnzimmern Platz genommen. Bei den Wegeners war sie insgesamt siebenmal, dann gab es noch zwei Telefontermine. Im Herbst steht dann noch eine Abschlussuntersuchung an. „Die Paare sind froh, dass sie offen über die Krankheit reden und Fragen stellen können“, sagt Sandra Dick. Die Hausbesuche macht sie mit einer Sozialtherapeutin. Die Teams wollen die betroffenen Paare ganz praktisch beraten, damit sie so lange wie möglich in einem Haushalt leben können. Denn eine harmonische Beziehung kann den Umgang mit der Krankheit erleichtern und die Einweisung in ein Pflegeheim verzögern – das haben viele Studien nachgewiesen.

Sandra Dick und ihre Kollegen machen die Teilnehmer mit einem speziellen sozial- und psychotherapeutischen Unterstützungs- und Trainingsprogramm vertraut. „Es geht darum, die eigenen und gemeinsamen Kräfte, individuellen Fähigkeiten und Interessen zu stärken“, sagt die Psychologin. „Und Aktivitäten anzubieten, mit denen sich die Belastungen einer Demenz besser aushalten lassen.“

Die Wegeners haben einen Ordner mit Materialien, Infoblättern und Hausaufgaben bekommen. Darin müssen die Demenzpatienten ihren Tagesablauf eintragen und ankreuzen, welche Tätigkeiten ihnen Freude machen und welche nicht. Ruth Wegener tanzt gerne, sie mag Gymnastik und den Austausch mit ihren Trainingspartnerinnen. Für Sandra Dick geht es darum, dass sich die Paare – und jeder für sich – Aktivitäten aussuchen, die ihnen Freude bereiten. Viele Teilnehmer kann sie auch davon überzeugen, dass der erkrankte Partner tagsüber Veranstaltungen speziell für Demenzkranke besucht. „Gegen diese Veranstaltungen gibt es oft Vorbehalte, doch wer sich einmal dazu überwindet, ist positiv überrascht.“ Für die Studie suchen Sandra Dick und ihre Kollegen noch Teilnehmer aus Berlin, sie fahren aber auch zu Paaren nach Königs Wusterhausen oder Potsdam. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass die Paare in einem gemeinsamen Haushalt leben und einer der Partner an Gedächtnisstörungen leidet oder bei ihm eine Demenz diagnostiziert wurde.

„Die Situation war ja Neuland für uns“, sagt Konrad Wegener. Durch die Teilnahme und die Besuche des Charité-Teams hat er gelernt, mit den Gedächtnisausfällen seiner Frau umzugehen, mit ihrem veränderten Verhalten und den Fragen zu Orten, Zeiten und Tätigkeiten, die sie oft alle zehn Minuten wiederholt. Oder damit, dass sie nicht mehr alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann oder außerhalb des vertrauten Wohnviertels die Orientierung verliert, wenn er beim Spazierengehen mal ein paar Meter zurückbleibt. „Viele Sachen hauen ja plötzlich nicht mehr hin, aber man darf jetzt nicht anfangen, groß Sprüche zu klopfen und zu fragen, warum sie das und das jetzt macht.“ Die Besuche haben den Wegeners geholfen, sich nicht in die Haare zu kriegen. Die Sache mit der Waschmaschine und den anderen Haushaltsgeräten hat Konrad Wegener mit kleinen Zettelchen gelöst, auf denen er genau beschreibt, wie man jede Maschine benutzt.

In den vergangenen Monaten hat Konrad Wegener auch die Erfahrung gemacht, dass sich vertraute Rituale bei seiner Frau in viele Fragezeichen aufgelöst haben – und sie zu ihrer jahrzehntelangen Abendbrotzeit plötzlich das Bügelbrett aufklappt. Oder beim Gemüseschneiden für den Bohneneintopf eine Packung Eis aus dem Kühlschrank holt. „Früher wäre ich darüber wütend geworden, heute sage ich einfach, dass wir das jetzt nicht essen können.“ Er weiß ja, dass sie das alles nicht mit Absicht macht. Und er hat gelernt, dass er eine Unterhaltung mit seiner Frau auch beenden darf, wenn er an die eigenen Grenzen stößt. Sandra Dick hat ihm ein Blatt mit Gesprächshilfen gegeben. Darauf steht etwa, dass man kurze Sätze und einfache Worte verwenden soll, und das Gesagte – wenn es nicht verstanden wird – noch einmal langsam wiederholen soll. „Babysprache ist in diesem Zusammenhang tabu“, sagt Sandra Dick.

„Ach, du machst das alles schon gut“, sagt Ruth Wegener und lächelt ihren Mann an. Und schließlich sei sie ja früher auch oft bockig geworden, wenn alles nicht mehr so gut geklappt habe. Nach der Teilnahme an der Studie können beide jetzt besser damit umgehen, wenn dicke Luft ist. „Das kriegen wir alles hin“, sagt er. „Und ich weiß jetzt, an wen ich mich wenden kann, wenn sich die Sache verändert.“ Ruth Wegener freut sich, dass es ihr besser geht und sie und ihr Mann im Herbst ihre Goldene Hochzeit feiern. Und jetzt, im Sommer, wieder oft in den Garten fahren können. „Da draußen ist es herrlich, wo ist das noch mal schnell?“ „In Lichtenrade.“

Mehr Informationen: Tel. 23 11 29 82 und unter http://dyadem.charite.de/

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