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Gesundheit: Zwangsfantasien brauchen Dauerbehandlung

Fünf Jahre, nachdem die ersten Fesselungs- und Vergewaltigungsfantasien bei Karl M. aufgetreten sind, begeht er die erste Sexualstraftat: Er vergewaltigt ein 15-jähriges Mädchen und sitzt dafür zweieinhalb Jahre im Gefängnis.

Fünf Jahre, nachdem die ersten Fesselungs- und Vergewaltigungsfantasien bei Karl M. aufgetreten sind, begeht er die erste Sexualstraftat: Er vergewaltigt ein 15-jähriges Mädchen und sitzt dafür zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Zwei Monate nach der Haftentlassung vergewaltigt er wieder eine 15-Jährige, unter Zuhilfenahme einer Hundekette und eines Messers. Diesmal will er sein Opfer töten. Doch das Mädchen entkommt. Zehn Jahre Freiheitsstrafe.

Neben psychotherapeutischer Betreuung in der Haft bekommt Karl M. das Medikament Cyproteronacetat (CPA). Es hemmt die Wirkung und Produktion von Testosteron und damit die sexuelle Erregbarkeit. Nach sieben Jahren und drei Monaten Gefängnis wird Karl M. auf Bewährung entlassen, das Medikament wegen Nebenwirkungen abgesetzt. Karl M. begeht das nächste gewalttätige Delikt, diesmal an einer 16-Jährigen.

Die kriminelle Karriere von Karl M. ist kennzeichnend für Straftäter, die eine hohe sexuell-aggressive Impulsivität besitzen, kombiniert mit der Tendenz zu unsozialem, rücksichtslosem Verhalten und häufig auch mit Minderbegabung. Zudem ist die Entwicklung von Karl M. typisch für Täter, die sexuelle Erregung ausschließlich bei Kindern verspüren.

"Oft haben von uns begutachtete Personen schon in der Vergangenheit Sexualdelikte begangen", sagte Wolfgang Berner von der Abteilung Sexualforschung der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf kürzlich bei einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Forensische Psychiatrie in München.

Und der Sexualmediziner Klaus M. Beier von der Charité Berlin hat in einer Langzeitstudie mit 510 Sexualstraftätern festgestellt, dass nach einer ersten psychiatrischen Begutachtung mehr als die Hälfte der Betroffenen weitere sexuelle Übergriffe begingen. Nur die Hälfte dieser Taten wurde überhaupt offiziell registriert. Die Beobachtungszeit betrug bis zu dreißig Jahre.

"Studien zu Rückfallraten, die sich ausschließlich auf Strafregister stützen, haben eine sehr begrenzte Aussagekraft", folgert Beier. Therapien senken die Rückfallquote bei Sexualstraftätern schätzungsweise von durchschnittlich sechzig auf zwanzig bis dreißig Prozent. Die Behandlung von Sexualstraftätern stützt sich hauptsächlich auf Psychotherapien und auf andere Behandlungsformen, die die Kontrolle über deliktspezifische Antriebe ermöglichen sowie soziale Kompetenzen stärken sollen. Zudem gibt es Hilfen für berufliche Aus- oder Weiterbildung.

Hinzu kommt die Pharmakotherapie. Die hormonelle Arzneimittelbehandlung wird vor allem eingesetzt, wenn die Täter intelligenzgemindert und nicht einsichtsfähig sind, oder wenn andere Therapieformen, die eine Kontrolle der sexuell-aggressiven Impulse vermitteln sollen, versagt haben, berichtete Berner. Cyproteronacetat ist der "Klassiker" unter den Medikamenten, die männliche Hormone hemmen. Aber die Forscher suchen nach Alternativen, da es in der Vergangenheit Hinweise gab, dass CPA bei einer Langzeitanwendung das Risiko für Leberkrebs erhöhen könnte. Weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind Brustwachstum, Gewichtszunahme oder Thrombosen.

Um ein erhöhtes Krebsrisiko möglichst auszuschließen, werden immer häufiger so genannte Agonisten des Gonadotropin-Releasing-Hormons eingesetzt. Sie mindern die Ausschüttung von Sexualhormonen. Von ihnen sind keine unerwünschten Effekte auf die Leber bekannt, die übrigen Nebenwirkungen ähneln allerdings denen von CPA. "Ein Teil unserer Patienten willigt deshalb nicht in die hormonelle Behandlung ein", sagt Berner, "das müssen wir akzeptieren."

Zunehmend würden moderne Psychopharmaka bei Sexualstraftätern eingesetzt, so der Forscher, vor allem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Deren hauptsächliches Anwendungsgebiet sind Depressionen und Zwangsstörungen. "Mit SSRI werden viele unserer Klienten einer Psychotherapie besser zugänglich", sagt Berner.

Zudem minderten sie unerwünschte sexuelle Antriebe und ihren zwanghaften Charakter. So hat eine Studie mit Exhibitionisten, Pädophilen und Sadomasochisten in Hamburg ergeben, dass die Probanden bei Einnahme von SSRI deutlich seltener mit sexuellen Fantasien onanierten, die in der Vergangenheit ihren sexuellen Übergriffen vorausgegangen waren, und dass sie ihre geschlechtlichen Impulse besser kontrollieren konnten.

Allerdings, räumt Berner ein, antworten die Befragten wohl nicht immer wahrheitsgemäß, und etwa die Hälfte von ihnen nahm die Medikamente nicht nach Vorschrift. "Die Arzneimitteltherapie ist wichtig bei der Behandlung von Sexualstraftätern und hat zur Senkung der Rückfallraten beigetragen, aber sie ersetzt keine Psychotherapie und auch keine psychosoziale Begleitung", sagt Norbert Nedopil, Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie der LMU München.

Sexualstraftäter mit vergleichsweise hohem Rückfallrisiko benötigten in Freiheit ständige, möglicherweise lebenslange Betreuung. "Die Betroffenen kommen etwa alle vierzehn Tage in unsere Ambulanz", sagt Nedopil. "Das Rückfallrisiko verringert sich deutlich, wenn sie eine Vertrauensperson haben, die sich kontinuierlich um sie kümmert."

Es fehle an Therapeuten, die spezielle Erfahrung mit Sexualstraftätern haben, aber auch an Einrichtungen, die die Therapien anbieten. Zudem gebe es zuwenig qualifizierte Gutachter

Nicola Siegm, -Schultze

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