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Gesundheit: Zwitter: Halb Mann, halb Frau

"Was ist es denn?" fragen Verwandte und Freunde die jungen Eltern, wenn das Baby endlich gekommen ist.

"Was ist es denn?" fragen Verwandte und Freunde die jungen Eltern, wenn das Baby endlich gekommen ist. Für die Antwort gibt es dann genau zwei Möglichkeiten: ein Mädchen oder ein Junge. Michel Reiter kämpft inzwischen um die Anerkennung einer dritten Möglichkeit. In die Rubrik "Geschlecht" seiner/ihrer Ausweispapiere soll nach seinem/ihrem Wunsch die Bezeichnung "Zwitter" eingetragen werden.

Hermaphroditen haben ihren Namen vom Sohn des Hermes und der Aphrodite, dessen Körper die Götter mit dem der Quellnymphe Salmakis für immer verschmolzen, so dass er Mann und Frau war, in einer Person. Dass es in früher Vorzeit drei Geschlechter gegeben habe, erzählt auch Platon in seinem "Gastmahl". Das dritte, das "Mannweib" sei jedoch von den Göttern in zwei Hälften getrennt worden, um ihm den Übermut zu nehmen. "Sehnsüchtiges Verlangen" nach der anderen Hälfte verzehre seither die Menschen.

Hermaphroditen haben im Mythos eine hervorgehobene Rolle. In der Wirklichkeit verunsichern Menschen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind. Seit den 50er Jahren, als die Operationstechniken und Hormontherapien immer besser wurden und der amerikanische Sexualforscher John Money feststellte, dass die Entscheidung für ein Geschlecht auch psychosozial unproblematisch verlaufe, wenn sie bis zum Alter von 18 Monaten gefällt wird, gilt die frühe Therapie dieser "Intersexuellen" unter Kinderärzten als Standard.

Doch Betroffene, die jetzt erwachsen und mit den früh vollendeten Tatsachen nicht zufrieden sind, kritisieren inzwischen das Konzept. Bei einem medizinischen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie wurden jetzt in Magdeburg "Möglichkeiten und Grenzen medizinischer Entscheidungsfindung bei Intersexualität" zum Thema gemacht. Klaus Mohnike, Oberarzt am Zentrum für Kinderheilkunde der Uni Magdeburg, leitete die Veranstaltung zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Stefanie von Schnurbein vom Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität.

"In gewissem Sinn sind wir alle betroffen", sagte Stefanie von Schnurbein gleich zu Beginn. "Wir haben uns höchst unterschiedlich behaglich in den bestehenden Geschlechterverhältnissen eingerichtet". Ein beachtliches Spannungsfeld also. Allerdings kein künstlich aufgebautes.

"Das Geschlecht nicht mit Gewissheit zu erkennen, irritiert", sagte Gabriele Dietze von der Humboldt-Universität. In der Kunst machte sich das zum Beispiel Marcel Duchamps mit seiner schnurr- und spitzbärtigen Mona Lisa zunutze, wie die Kunstwissenschaftlerin Hanne Loreck zeigte.

Wenn es um das biologische Geschlecht geht, ist neben dem ersten Augenschein, dem genitalen Geschlecht, auch das chromosomale, das durch die Keimdrüsen bestimmte und das hormonelle Geschlecht in Betracht zu ziehen. Im "Normalfall" stimmen sie überein. Als intersexuell bezeichnen Mediziner Individuen, bei denen diese verschiedenen Bereiche kein einheitliches Bild ergeben. Da gibt es Menschen mit einem "männlichen" Y-Chromosom, deren Gewebe auf männliche Hormone, die Androgene, nicht anspricht: Ihre Genitalien sind weiblich, dabei finden sich im Inneren Hoden, Nebenhoden und Samenstränge.

Weitaus am häufigsten ist das adrenogenitale Syndrom, eine Störung der Tätigkeit der Nebennierenrinde. Es kann im Einzelfall zusammen mit einem gefährlichen Salzverlust auftreten. Bei Trägern des weiblichen Chromosomensatzes führt es unbehandelt zur Vermännlichung der äußeren Genitale. Ein echter Hermaphroditismus liegt nach der Definition der Mediziner vor, wenn sowohl Eierstöcke als auch Hoden angelegt sind.

"Manchmal fühle ich mich als Junge, manchmal als Mädchen", sagt nach Auskunft seiner Mutter ein achtjähriges Kind, das frühzeitig behandelt wurde und nun als Mädchen aufgezogen wird. Die Potsdamer Psychologin Ulrike Klöppel kritisiert die stereotypen Fragen, mit denen die Geschlechtsidentität solcher Kinder festgestellt werden soll: Da gilt schon die Antwort, Karriere sei wichtiger als Heiraten, als Indiz für Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. "Die Studien lösen sich an keiner Stelle aus der binären Logik."

Die Juristin Konstanze Plett meint, dass der Gesetzgeber, der bisher noch eine Festlegung des Geschlechts des Kindes im Personenstandsregister binnen einer Woche nach der Geburt vorschreibt, eines Tages die Intersexualität anerkennen könnte. Sie fragt sich, ob Eltern überhaupt anstelle ihrer unmündigen Kinder medizinischen Eingriffen zur "Vereindeutigung" des Geschlechts zustimmen dürfen. Für Helen Guhde, "XY-Frau" und Ärztin, ist Intersexualität keine Krankheit, sondern eine "natürliche Variante". "Krank macht erst das Gefühl "mit mir stimmt etwas nicht".

Sollte man also das "Tor zur Geschlechtsidentität des Kindes am besten ganz auflassen" wie Alice Schwarzer jüngst zu bedenken gab? Als denkbare Alternative zur "bipolaren Zweigeschlechtlichkeit" stellte Dietze das Modell der Amerikanerin Suzanne Kessler vor, in dem neben "female" und "male" auch die Kategorien "herm" für echte Hermaphroditen, "merm" und "ferm" für eher dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht angenäherte Intersexuelle Platz hätten.

Doch wie können Eltern eines Neugeborenen, das mit "ambivalenten" Genitalien auf die Welt kommt, mit solchen Visionen leben, wie kann ein Heranwachsender damit zurecht kommen in einer Gesellschaft, die in Sachen Geschlecht nur das Entweder-Oder kennt? Während die Kulturwissenschaftlerinnen in Magdeburg gedanklich Tore in die Zukunft öffneten, berichteten Mediziner pragmatisch über die Gegenwart: Etwa über medikamentöse Therapien während der Schwangerschaft, wenn die vorgeburtliche Diagnostik den Verdacht auf das adrenogenitale Syndrom ergeben hat. Oder über Operationen, von denen heute zwei Drittel auf eine Feminisierung des Kindes gerichtet sind, wie die Pariser Kinderchirurgin Claire Nihoul-Fékété berichtete. Das hat vor allem mit operativen Möglichkeiten zu tun.

Die Ärztin Ursula Kuhnle-Krahl, die Jahre in Malaysia arbeitete, berichtete von Fällen, in denen intersexuelle Kinder, die als Mädchen aufgezogen wurden, sich später für die Identität eines Mannes entschieden. Hat sich damit das "wirkliche" Geschlecht gezeigt? Oder ein Aufbegehren gegen die Enge der Frauenrolle in einem größtenteils muslimischen Land? Zum Unbehagen kam am Ende wachsende Unsicherheit.

Adelheid Müller-Lissner

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