zum Hauptinhalt

Grubenunglück in Chile: Wie gefährlich ist die Lage für die verschütteten Bergleute?

Heiß, dunkel und staubig: Noch bis zu vier Monate müssen die 33 verschütteten chilenischen Bergleute in Hitze, Staub und Dunkelheit auf ihre Rettung warten.

Seit rund drei Wochen sind 33 Bergleute in einer chilenischen Mine verschüttet. Aber sie leben. In knapp 700 Meter Tiefe konnten sie sich in einen Schutzraum retten. Ihre Bergung kann bis Weihnachten dauern. Sie müssen also weiter ausharren: in Hitze, Staub und Dunkelheit.

Wie ist die Situation der Bergleute?

Die Bergleute befinden sich in einem Fluchtraum in 700 Metern Tiefe. Luft und Lebensmittel bekommen sie durch einen 15 bis 20 Zentimeter breiten Versorgungsschacht. Ein „viel größeres Problem ist es, die Leute bei Laune zu halten“, sagt Sebastian Wagner vom Institut für Bergbau und Spezialtiefbau an der Technischen Universität Freiberg. Zudem werden sie aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit irgendwann Hautprobleme bekommen. Die Gesteinstemperatur von um die 36 Grad sei für diese Tiefe noch relativ niedrig und erträglich. Auf lange Sicht sei sie natürlich unangenehm. Weitere Belastungen ergäben sich durch Staub und Dunkelheit.

Aber sie sind nicht allein. Sie können miteinander reden und, mindestens genauso wichtig: sie können Briefe an ihre Angehörigen schreiben und selbst erhalten. Nachdem sie sich tagelang nur von zwei Löffeln Thunfisch und einem halben Glas Milch ernährt haben, bekommen sie nun durch den Versorgungsschacht neue Nahrungsmittel. Dabei baten die chilenischen Behörden die US-Raumfahrtbehörde Nasa um Unterstützung. Die Situation der Bergleute sei vergleichbar mit der von Astronauten, die monatelang in Weltraumstationen ausharrten, daher bauten die Behörden auf die Erfahrung der Nasa, sagte Gesundheitsminister Jaime Manalich. Außerdem werden sie psychologisch betreut und erhalten ein Bewegungsprogramm, um Muskelschwund vorzubeugen.

Wie gehen die Rettungsarbeiten voran?

Über Tage wird ein Betonsockel gegossen, in dem eine Bohrmaschine verankert werden soll. Damit soll ein 66 Zentimeter breiter Rettungsschacht gebohrt werden, über den die Bergleute mit einem Seil gerettet werden sollen. Nur kann das nach Behördenangaben drei bis vier Monate dauern.

Warum dauert die Rettung so lange?

Laut Wagner könnte die Rettungsaktion durchaus früher als nach vier Monaten abgeschlossen sein. Der eingesetzte Bohrer schafft maximal 22 Meter pro Tag, diese Leistung könne aber hier vermutlich nicht abgerufen werden. Realistischer seien etwa zehn Meter pro Tag. Sollte es keine Behinderungen geben, könnte der Schacht theoretisch nach 70 Tagen fertiggestellt sein. Kein Verantwortlicher wird sich allerdings dazu durchringen, diese kürzere Zeit zu nennen, erklärt Wagner. Denn sollten Schwierigkeiten auftreten, würde dies zu Protesten führen. Die Hauptgefahr geht laut Wagner von instabilem Nebengestein aus. Um zu verhindern, dass der Schacht einbricht, werden Rohre zur Stabilisierung nachgezogen. Das Risiko einer Behinderung durch Wasserläufe schätzt der Bergbauexperte als gering ein, da sich das Bergwerk in einer Wüste befindet.

Welche psychischen Belastungen gibt es?

Die Bergleute haben einige Eigenschaften, die ihnen in dieser extremen Situation aus Dunkelheit und Enge helfen. „Sie kennen die Welt unter Tage und sind eine eingeschworene Gruppe“, sagt Peter Walschburger, Psychologieprofessor an der Freien Universität Berlin und Stressforscher. Allerdings seien gerade die ersten beiden Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt eine extreme Belastung gewesen. „Sie müssen da unten jeden Tag mit Verzweiflung und Mutlosigkeit umgehen.“ Es existiere eine starke Gruppenstruktur mit Schichtleiter, die dem Einzelnen Halt gebe. Dass nun Kontakt zur Außenwelt bestehe, sei eine große psychologische Hilfe. „Es ist wichtig, dass die Eingeschlossenen das Gefühl haben, dass alles getan wird, um ihnen zu helfen. Sie werden auch gefragt und eingebunden“, sagt Walschburger. „So etwas gibt starke Hoffnung.“ Diese aufrechtzuerhalten, sei umso schwerer, je länger die Menschen eingeschlossen seien. Und da es in der Regel Experten sind, die da eingeschlossen sind, wissen die auch, wie lange ihre Rettung dauern kann. „Falls einer der Bergleute vorbelastet ist, kann es dann theoretisch schon sein, dass er durchdreht. Aber eigentlich sind das sehr trainierte und hartgesottene Männer, die Extremsituationen gewöhnt sind“, sagt Walschburger. Um die Zeit des Eingeschlossenseins möglichst unbeschadet zu überstehen, seien Rituale besonders wichtig. „Als die Männer zum ersten Mal Kontakt zur Außenwelt hatten, haben sie angeblich zusammen die Nationalhymne gesungen. Das ist sehr gut. Auch gemeinsam beten kann helfen.“ Nun sei es auch Aufgabe der Außenstehenden, den Männern unter Tage zu vermitteln, dass alles getan werde, um sie zu retten. „Die Dunkelheit ist sehr belastend, aber der Mensch verfügt über eine innere Uhr“, sagt der Stressforscher weiter. Diese helfe bei der Einteilung der dunklen Stunden in Tag und Nacht. Es sei allerdings trotz aller positiven Vorzeichen nicht ganz auszuschließen, dass die Eingeschlossenen nach ihrer Befreiung an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden könnten. Ungefähr ein Drittel aller Überlebenden von Katastrophen litten unter Problemen wie Schlaflosigkeit oder Angstattacken.

Wer trägt die Verantwortung und wie reagiert die Politik?

„Wir hoffen, dass ganz Chile uns aus dieser Hölle herausholt“, sagte Vorarbeiter Luis Urzua in einem Telefonat mit Staatspräsident Sebastian Pinera. Klare Worte aus der Tiefe. Doch die Rettung kann eben noch dauern – und weder die Regierung noch das Unternehmen der Mine San Jose in der nordchilenischen Atacamawüste schienen auf so einen Notfall vorbereitet zu sein. In der Öffentlichkeit wird mittlerweile darüber debattiert, wer die Verantwortung für das Unglück trägt. Die Regierung ermittle und werde entsprechende Sanktionen verhängen, drohte Pinera. Auch der Kongress setzte eine Ermittlungskommission ein.

Vieles deutet darauf hin, dass nicht nur das chilenische Unternehmen San Esteban gegen zahlreiche Auflagen verstoßen hat, sondern dass auch die Behörden einiges versäumt haben. So fehlten Rettungsschächte und Leitern für die rasche Evakuierung. Ein Bericht über die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen und miserablen Arbeitsbedingungen in dieser und anderen kleinen und mittelgroßen Minen wurde offenbar vom Nationalen Bergbaudienst und dem Arbeitsministerium ignoriert. Die Kupfer- und Goldmine San Jose ist seit Ende des 19. Jahrhunderts in Betrieb. 2007 gab es schon einmal einen Unfall in der Mine. Danach wurde sie aber mit Genehmigung des Nationalen Bergbaudienstes wieder freigegeben. Die Preise für Edelmetalle hatten Rekordhöhen erreicht, die Gewinnspanne war groß, der Druck seitens der Unternehmer enorm. Der Direktor des Bergbaudienstes wurde inzwischen entlassen.

Die chilenische Regierung scheint die Rettungsarbeiten bislang im Griff zu haben. Sollte sie sich als guter Krisenmanager beweisen, könnte ihr Ansehen in der Bevölkerung sogar steigen.

Nun soll auch die Arbeitsgesetzgebung reformiert werden. Sie stammt größtenteils noch aus der Zeit der Diktatur, ist äußerst lax und bietet den Angestellten kaum Schutz oder Sozialleistungen. Fraglich ist jedoch, ob nach Bewältigung dieser Katastrophe wirklich grundlegende Reformen zustande kommen oder wieder scheitern, wie vor kurzem die geplante Steuererhöhung für die Bergbauunternehmen, um davon den Wiederaufbau nach einem Erbeben zu finanzieren. Der Druck der Bergbaulobby, die ihren Einfluss in der rechten Regierungskoalition geltend machte, sowie die Mitte-links-Opposition, die weitergehende Reformen forderte, ließen das Gesetz Anfang August scheitern. Für Chile ist der Bergbau ein wichtiges volkswirtschaftliches Standbein. Denn Bodenschätze sind neben landwirtschaftlichen Produkten das Rückgrat der chilenischen Exportwirtschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false