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Panorama: Halbzeit auf der Expo: Ein Labor für Flaneure (Interview)

Martin Roth studierte Kulturwissenschaften und Soziologie. Seit 1991 ist er Direktor des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, seit 1996 leitet er den Expo-Themenpark.

Martin Roth studierte Kulturwissenschaften und Soziologie. Seit 1991 ist er Direktor des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, seit 1996 leitet er den Expo-Themenpark.

Herr Roth, die Hälfte der Expo-Laufzeit ist mittlerweile vergangen. Können Sie ein erstes Resümee ziehen?

Über Erfolg oder Misserfolg wird am ersten und letzten Tag entschieden. Bei der Eröffnung zählt die Reaktionen der Medien, und am letzten Tag werden die Besucherzahlen addiert. Halbzeitbilanzen sind trügerisch. Die Besucherzahlen in den Themenausstellungen liegen über unseren Erwartungen - derzeit 120 000 im Tagesdurchschnitt.

Das Finanzdebakel überschattet das Bild der Expo in der Öffentlichkeit.

Allerdings lässt die Finanzdebatte weder eine vernünftige Diskussion über die Weltausstellung generell - insbesondere Deutschlands Gastgeberrolle -, noch über die Inhalte im Besonderen aufkommen. Die gewünschte kontroverse und polarisierende Diskussion über die Inhalte ist bisher eher als Polemik zu bezeichnen.

In Bezug auf den Themenpark ist sehr wohl über Inhalte geredet worden. Es gab zwei herausragende Kritikpunkte: zum einen, dass die Inszenierung sich zu stark auf die Macht der Bilder stützt, zum zweiten, dass die Verbindung zu den industriellen Sponsoren nicht immer segensreich ausfällt.

Es gibt noch weitere Einwände, beispielsweise, dass wir nicht die großen Zukunftsszenarien entwerfen, sondern eher das Ende der Utopien proklamieren. Wir haben uns stets vorgenommen, hart an der Realität zu arbeiten, unserer Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und dann erst nach den utopischen Zukunftsentwürfen zu fragen. Der Themenpark ist eine Zeitversetzung der Wirklichkeit, eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im wahrsten Wortsinne, eine Gleichzeitigkeit von Fiktion und Realität.

Ähnliches gilt für die Bildwelten. Die Vorbilder sind nicht in den kulturhistorischen Ausstellungen der vergangenen Jahre, sondern eher in den großen sozialhistorischen Ausstellungen der Weimarer Republik zu suchen. Bilder sind für uns Objekte. Es scheint, als hätten unsere Kritiker nie MTV gesehen, ja überhaupt die Erfindung des Fernsehens übersehen. Ich kann nachvollziehen, dass nach einem intensiven Besuch der Weltausstellung eine gewisse Bildersättigung erreicht ist, aber Weltausstellungen sind nun einmal keine Wunderkammern und auch kein Heimatmuseum.

Und der Einfluss der Sponsoren?

Die Industrie hat nie rein-, sondern glücklicherweise stets mitgeredet. Wir haben einen extrem komplizierten Entwicklungsprozess für die Ausstellungen umgesetzt. Die Beteiligung von Partnern, Wirtschaft, NGOs, des Wissenschafts- und Kulturbereichs sowie staatlicher Institutionen war nicht nur erwünscht, sondern von vorne herein fester Bestandteil der Ausstellung.

Wollten Sie Partner gewinnen, weil die Finanzierung darauf abgestellt war, oder war es von vornherein auch der Wunsch, in dieser Kombination zu arbeiten?

Der Themenpark ist ein Realexperiment in Sachen Public-private Partnership, ein Großversuch. Zum Beweis, dass durch das Zusammenwirken von verschiedenen inhaltlich engagierten Beiträgen neue Konzepte entstehen können - aber natürlich ging es auch um Finanzmittel. Meine Mitarbeiter haben immerhin 170 Millionen Mark durch Kooperationen gebunden, mehr Drittmittel gab es bisher bei einer Ausstellung sicherlich noch nie.

Wie viel Geld stand Ihnen zur Verfügung?

Für elf Ausstellungen auf 100 000 Quadratmetern Fläche insgesamt 250 Millionen Mark Produktionskosten. Mit Entwicklung und sonstigen Kosten kommen wir auf etwas über 300 Millionen. Kostengünstiger können Ausstellungen nicht gebaut werden. Nicht Bütten, sondern Papiermaché, aber ideenreich gestaltet. Wir hatten ein absolut gedeckeltes Budget, haben dies stets eingehalten, keine Mark zu viel ausgegeben, obwohl uns im Laufe von fünf Jahren nahezu 70 Millionen herausgekürzt wurden. Deshalb darf schon die Frage gestellt werden, ob die Finanzdebatte, ausgelöst durch mangelnde Fortune des Expo-Wirtschaftsbereichs, nicht die Qualität der Inhalte angreift. Hier wird doch die ganze Weltausstellung in Sippenhaft genommen.

Ist die Expo ein Sonderfall oder verkörpert sie ein Modell für die Zusammenarbeit von öffentlichen Institutionen mit dem privaten Sektor?

Unsere Fragestellung ist in erster Linie eine politische und dann erst eine kulturelle. Wir haben einen Diskurs zwischen NGOs, Wirtschaftsunternehmen und gesellschaftlichen Institutionen in Gang gesetzt - nicht nur voyeuristisch vor den Augen der Öffentlichkeit, sondern als Aufforderung an diese, sich zu beteiligen.

Lässt sich das, was Sie hier an Erfahrungen unter dem Brennglas einer weltweiten Öffentlichkeit gewonnen haben, auf die Arbeit eines einzelnen Museums oder einer einzelnen Stadt übertragen?

Ja, bedingt. Zumindest in zwei Richtungen: Die Grenzen solcher Kooperationsmodelle haben wir sicherlich kennengelernt. Es ist uns gelungen, in allen Ausstellungen eine hohe inhaltliche und gestalterische Qualität zu erzielen. Dies geht nur durch einen eng geführten Prozess, alle Beteiligten müssen sich auf ein klares Ziel einigen. Und sie brauchen einen starken Moderator, der die Fäden in den Händen hält. Bezogen auf die deutsche Kulturrealität heißt dies, dass das Zauberwörtchen Public-private Partnership gar nichts hilft, wenn es nicht eine starke Leitfigur gibt. Ich schätze, dass hier unsere Kulturpolitiker in großem Maße gefordert sind. Weshalb arbeitet zum Beispiel der Unternehmensberater Roland Berger an einem Projekt "Museum 2010" und nicht die Kulturdezernenten der deutschen Großstädte?

Könnte man denn der Öffentlichkeit überhaupt eine plumpe Werbeveranstaltung unterjubeln?

Darauf wage ich keine Antwort. Das Marken- und Namen-Bewusstsein ist extrem groß. Andererseits sind die Themenausstellungen und einige Pavillons die begehrtesten Besucherziele - das spricht doch für sich. Der Besucher wird stets unterschätzt.

Erwartet der Besucher nicht eine unabhängige und gehaltvolle Darstellung von Fragen, die uns heute weltweit bewegen?

Auch die Unabhängigkeit, die hier gezeigt wid, ist nur ein Abbild der Realität. Die Besucher kommen sicherlich nicht, damit ihnen Zukunftszenarien mit extrem kurzer Halbwertszeit vorgegaukelt werden. Die Wirklichkeit ist die beste Quelle für Fiktionen.

Ein großer Unterschied zu den Weltausstellungen im 19. Jahrhundert dürfte darin bestehen, dass die damaligen Neuheiten anschaulich waren, nämlich aus Objekten bestanden. Sie operieren mit Fragestellungen, die sich nicht mehr in griffigen Objekten fassen lassen.

Das ist doch gerade unsere Herausforderung. Im Übrigen täuscht man sich gewaltig, wenn man Weltausstellungen immer nur mit Industriemessen gleichsetzt. Sie waren immer mehr. Wer heutzutage technische Novitäten erwartet, soll lieber zum Medien-Supermarkt gehen, wer sich aber mit den kulturellen, künstlerischen und sozialen Implikationen der Internet-Themen auseinandersetzen will, der soll in der Themenausstellung "Wissen" 80 autonome Robotereinheiten beobachten.

Wie setzt sich der Themenpark gegen die Fülle der Bilder in den nationalen Pavillons durch? Hat eine differenzierende Darstellung überhaupt eine Chance, wenn es überall blinkt und blitzt?

Besucherzahlen und -reaktionen sprechen absolut für sich. Außerdem ist es keine Überraschung, dass feinsinnige museale Inszenierungen wie "Basic Needs" oder die Laborausstellungen zum Thema Wissen als besonders attraktiv erachtet werden. Dabei sind es gerade Herr und Frau Jedermann, die das besonders neugierige und wissbegierige Publikum bilden. Unsere intellektuellen Besucher sind dagegen eher Flaneure, die bereits alles zu wissen glauben.

Wie ist es um die Qualität des individuellen Besuchserlebnisses bestellt?

Einzelbetreuung ist das Zauberwort. Wir haben, trotz extrem hoher Besucherzahlen, unsere Aufsichten, unser Führungspersonal, unsere Mitarbeiter insgesamt davon überzeugen können, für jeden einzelnen Besucher da zu sein. Die Reaktionen darauf sind eindrucksvoll. Dies ist aber nur eine von vielen Maßnahmen, um die Besucher als Gäste willkommen zu heißen, für die der Themenpark ein einmaliges Erlebnis sein soll.

Was bleibt nach dem Ende der Expo am 31. Oktober?

Was zählt, ist nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Kooperationen, die wir ausgelöst haben. Seien es Projekte in Asien, die nun mit deutschen Unternehmen kooperieren; sei es die Vernetzung der Verkehrssysteme, die in einer ungewöhnlichen und einmaligen Allianz der Mobilität von verschiedenen Verkehrsträgern wie Lufthansa, MAN BMW und Deutscher Bahn umgesetzt wurde.

Erhoffen Sie sich einen Transfereffekt, was den Umgang von öffentlichen Institutionen mit privaten Einrichtungen anlangt?

Weltausstellungen sind und bleiben Sonderfälle. Übertragbar ist allerdings der Mut zu ungewöhnlichen Partnerschaften, weniger aus finanziellen als aus inhaltlichen Gründen. Welches Museum setzt sich mit politischen Institutionen nicht nur in der Theorie auseinander, sondern versucht, gemeinsam Konzepte zu entwerfen? Wo sind die Ausstellungen, die mit der Kirche gemeinsam entwickelt werden? Sinngebende Themen, die darauf warten, ausgestellt zu werden, gibt es mehr als genug. Nochmals: Was gebraucht wird, sind Wortführer und Diskussionsleiter, das heißt politische Meinungsbildner vom Kaliber eines Michael Naumann oder Christoph Stölzl.

Ist der Expo-Themenpark ein kleines Laboratorium für gesellschaftlichen Umgang?

Ein kleines? Ein riesengroßer Fünfjahresversuch mit allen Höhen und Tiefen. Eine Überprüfung der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit deren gleichzeitiger Simulation.

Herr Roth[die Hälfte der Expo-Laufzeit ist m]

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