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Panorama: Heftige Worte

Hat Johannes Heesters im KZ Dachau gesungen? Das Berliner Landgericht vertagt die Entscheidung über die Klage des Entertainers

Wo die Erinnerung endet, beginnen die Legenden. Juristen halten sich lieber an Tatsachen. Der Fall, der gestern vor dem Berliner Landgericht zur Verhandlung kam, handelt von Ereignissen, die fast siebzig Jahre zurückliegen. Doch der Ton, in dem die streitenden Parteien miteinander debattierten, war äußerst gereizt. Johannes Heesters, das ist unbestritten, hat am 21. Mai 1941 das Konzentrationslager Dachau besucht. Ob er dort auch aufgetreten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Autor Volker Kühn hatte behauptet, der Entertainer habe „zur Erbauung der SS-Wachmannschaften“ Operettenhits gesungen. Deshalb war er von Heesters auf Unterlassung und Widerruf verklagt worden. Heesters, der am 5. Dezember seinen 105. Geburtstag feiert, erschien nicht vor Gericht. Am Abend nahm er in Offenburg einen Bambi für sein Lebenswerk entgegen.

Peter Raue, Kühns Anwalt, hatte zu Beginn der Verhandlung das Angebot erneuert, sein Mandant wolle sich in Zukunft nicht mehr in der Sache äußern, wenn dafür die Klage fallen gelassen werde. Allerdings werde er nicht widerrufen, „das hat Galilei auch nicht vor dem Papst getan“. Kühn, ein anerkannter Kabarett-Historiker, besitze im wissenschaftlichen Diskurs das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Gegenseite, vertreten durch den Münchner Rechtsanwalt Gunter Fette, lehnte eine Einigung ab und fand es „unerträglich“, wie Kühn „die Wahrheit mit den Füßen“ trete. Beide Seiten beriefen sich auf Dokumente, die ihre Darstellung stützten sollten.

Fette hatte einen Brief des holländischen Journalisten Jules Huf an den Heesters-Biografen Jürgen Trimborn mitgebracht, in dem er ihn für seine differenzierte Darstellung des Dachau-Besuchs lobt. Große Passagen des Schreibens waren allerdings geschwärzt. Interessanter ist das Fersehinterview, das Kühn 1990 mit dem Dachau-Überlebenden Viktor Mateka geführt hatte. Der Richter ließ es sich auf einem Laptop vorführen, im überfüllten Gerichtssaal konnte man sehr leise die wienerisch eingefärbten Sätze des inzwischen verstorbenen Zeitzeugen vernehmen, eine gespenstische Szene. „Heesters hat gastiert mit einer Gastspieltruppe im Theater der SS“, sagte Mateka. „Wir haben den Heesters spielen sehen, so eine typische Operette“, „ich hatte das Glück, den Vorhang ziehen zu dürfen.“

Aus dem Video lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. Heesters’ Anwalt Fette wies darauf hin, dass Mateka von einer „Wandertruppe“ sprach, das Ensemble des Gärtnerplatztheaters, mit dem der Sänger das KZ besichtigte, aber zu einem „renommierten Staatstheater“ gehört habe. Und dass Mateka erzählte, er sei „nachts, in der Dunkelheit“ ins Lager geführt worden, entlaste seinen Mandanten vollends, denn abends habe er schon wieder in München auf der Bühne gestanden, um die Musikkomödie „Axel an der Himmelstür“ zu spielen. Ein Missverständnis, korrigierte Kühn. Mateka sei frühmorgens vom Häftlingslager ins Mannschaftsquartier gebracht worden.

Als Fette sagte, Heesters sei in Dachau „nicht engagiert“ worden, sondern „aufgefordert zu einem Tag der Offenen Tür“, zischte ein Zuhörer: „Das ist zynisch“. Raue warf Heesters vor, er bagatellisiere „bis auf den heutigen Tag das Grauen im KZ“. 1978, daran erinnerte der Anwalt, hatte der Sänger und Schauspieler in seiner Autobiografie geschrieben, Dachau habe „wie ein typisches Soldatenlager“ gewirkt, „es sah so aus wie ein Arbeitsdienst- oder Hitlerjungenlager“ und inhaftierte Künstler seien bald wieder frei gelassen worden. Daraufhin empörte sich Fette: „Sie bezichtigen ihn der Holocaust-Lüge!“ Heesters hatte eingestanden, er schäme sich „bis ans Ende meiner Tage“ für den Besuch in Dachau.

Ob Heesters, der ewige Danilo aus der „Lustigen Witwe“, im KZ gesungen hat? „Wir werden diese Frage nicht klären können“, befand der Vorsitzende Richter Michael Mauck. Ein Urteil soll am 16. Dezember verkündet werden.

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