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Echte Handarbeit ist erforderlich, denn der Schuh muss hundertprozentig passen.

© Scheer

Hohe Schuhkunst in Wien: „Weich wie auf Wolken“

Seit 1866 verkauft die Firma Rudolf Scheer in Wien selbstgefertigte Schuhe. In der siebten Generation ist der Betrieb in Familienbesitz – das steht für Qualität, die ihren Preis hat.

Die Bräunerstraße im Ersten Bezirk gehört zu den allerbesten Adressen Wiens. Die Gasse führt vom immer schon noblen Graben zur Hofburg und ist diskreter als der elegante, aber doch überlaufene Kohlmarkt. Hier im Zentrum des imperialen Wien ging die Herrschaft einst selbst einkaufen, nicht nur ihre Dienstboten. Zum Beispiel in Haus Nummer vier. Hier verkauft und fertigt seit 1866 die Firma Rudolf Scheer edles Schuhwerk. „K.u.k. Hofschuhmacher“ steht über den vier recht hohen Auslagenfenstern in Goldlettern rund um das ebenfalls goldene Habsburger-Wappen.

Aber die Hofschuhmacher gibt es schon länger. 1816, ein Jahr nach dem Wiener Kongress, machte der Weinbauernsproß Rudolf Scheer in der Prater-Vorstadt sein erstes Schuhgeschäft auf – damals schon mit dem Anspruch, rasch das beste der Kaiserstadt zu werden. Das gelang spätestens mit der Pariser Weltausstellung 1873 dann seinem Enkel. Der wurde dort weltbekannt und belieferte nicht nur Kaiser Franz Joseph, sondern nun auch Kaiser Wilhelm II. und andere Herrscherhäuser in Europa.

Qualität bewahren

Diesen Geist und die Qualität hat die Firma verstanden zu bewahren wie kaum eine andere. Sie ist heute der älteste noch aktive Schuherzeuger Europas, weit vor dem berühmten John Lobb in London. Und mehr noch: In siebter Generation führt – und besitzt ein Familienmitglied gleichen Namens – der heute 44-jährige Markus Scheer – das Unternehmen. Eine wirkliche Rarität im weltweiten Geschäftsleben. Die nicht wenigen Geheimnisse edlen Schuhmacherhandwerks hat er in 20 Werkstattjahren von seinem Großvater erlernt, im Stockwerk über dem Geschäft.

Gäste und Kunden begrüßt Scheer im hochgeschlossenen weißen Medizinmantel des gelernten Orthopädieschuhmachers. „Nichts, außer dem Gehirn, spielt mit dem restlichen Körper so zusammen wie die Füße”, ist Scheer überzeugt. „Nur sind die weniger erforscht.” Es ist das Credo der Firma und ihr Erfolgsrezept: „Außen schön wie eine Skulptur, innen weich wie auf Wolken” musste der Schuh sein, für den sein Großvater Carl Ferdinand, der erste Orthopäde in der Firma und kreativer Geist in schwerer Zeit, den Slogan prägte: „Hauptsach’, der Schuh passt.“

Das Geschäft Rudolf Scheer kann auf eine lange Tradition zurückblicken.
Das Geschäft Rudolf Scheer kann auf eine lange Tradition zurückblicken.

© Scheer

Mit der sorgsam gepflegten Aura eines Schuh-Apostels nimmt Scheer persönlich Maß an den Füßen des Kunden und legt später auch selbst letzte Hand an das zentrale, alles entscheidende Teil des Fertigungsprozesses: den Holzleisten, über den dann das edle Leder gespannt wird. Um den „baut“ dann einer der acht Schuster den Schuh herum.

Die besten von ihnen schaffen sieben Paar im Monat. Sie arbeiten auf niedrigen Schemeln und Werkbänken, jeder für sich. „Serienfertigung“ ist hier eine rein persönliche Sache. Und schon allein die pedalgetriebenen schwarz-goldenen Singer-Leder-Nähmaschinen aus dem Jahr 1880, mit denen die heiklen Verzierungen gelocht werden, sind eine technische Schönheit – und rare Antiquität, deren Ersatzteile nur von hauseigenen Exemplaren im Keller kommen.

Scheer ist aber auch ein innovativer Unternehmer. Die nach Großvaters Tod verstaubte Firma hat er behutsam, aber zielstrebig renoviert und ausgeweitet. Die alte Familien-Wohnung im ersten Stock des Hauses wurde zur luftigen Werkstatt mit immer offenen Türen umfunktioniert. Und er kaufte das Geschäft direkt nebenan. Dort werden jetzt auch Leder-Accessoires für Damen und Herren angeboten, von Dokumentenkoffern aus einem einzigen Stück Leder bis hin zu Iphone-Hüllen.

Auch "fremde" Schuhe werden repariert

Eine neu eingerichtete „Schuhwerkstatt” bietet Pflege und Reparatur auch „fremder“ Schuhe an, was bekanntlich deren Leben um Jahrzehnte verlängern kann. Ja, sogar der in modernem Minimalismus gestaltete Gewölbekeller unter dem Geschäft wird mehrmals in der Woche für Empfänge und Essen an Freunde des Hauses vermietet, die Speisen werden dann in der eigenen Küche nebenan von bekannten Küchenchefs mit Gastvertrag zubereitet. Auf den langen, hellen Holztischen stehen Schuhmacherlampen für Kerzen, die nach hauseigenen Mustern aus der frühen Firmengeschichte nachgebaut wurden.

Markus Scheer leitet das Geschäft.
Markus Scheer leitet das Geschäft.

© Scheer

Höhepunkte der Traditionsschau sind ebenfalls zwei Spezialitäten. Der Raum mit den Leisten, wo rund 5000 Paar, so genau weiß man das im Geschäft nicht, aufbewahrt werden – einst gemacht für gekrönte Häupter, wohlhabende Geschäftsleute und inzwischen berühmte Künstler. Namen lebender Kunden sind tabu. Der letzte, der genannt wird, ist der deutsche Maler Jörg Immendorf. Und dann gibt es noch die sogenannte Leder-Bibliothek. Hier lagern bis zu 180 Jahre alte Ledermuster und Tierhaut-Raritäten auch aus vielen exotischen Weltgegenden.

Der klassische Herrenschuh kostet 5000 Euro

Die Verkaufsräume sind seit 1866 fast unverändert geblieben. Sie wirken somit gediegen, wie könnte es anders sein, aber nicht verstaubt oder kitschig. Einfach eine noble, aber nicht versnobte Atmosphäre. Manchmal liegt der Geruch von Leder in der Luft. Er kommt von oben, aus der Werkstatt. Jeder Kunde muss für seinen ersten Scheer-Schuh hier her dreimal zum Anprobieren ins Geschäft kommen. Die Anfertigung dauert dann dementsprechend ein halbes Jahr und länger. Rund 300 Paar Schuhe „baut” Scheer im Jahr, „eher weniger als mehr“.

Und der Preis für den Aufwand? Ab 5000 Euro für das erste Paar mit dem Leisten, wenn es klassische Herrenschuhe ohne Spezialleder sind. Ab 2500 Euro aufwärts kosten Folgebestellungen. Ein Paar Reitstiefel kann da schon 7500 Euro kosten, und mit wertvollen Verzierungen auf Wunsch auch noch mehr. Es gibt Stammkunden, die haben 20 Paar Scheer- Schuhe und mehr in ihren Wohnungen stehen. Damit gehört Scheer zu den teuersten Schuhmachern der Welt. Und dieses Erfolgsrezept zeigt einmal mehr: Wenn man es richtig macht, ist im allerobersten Segment des Marktes ein dauerhafter Platz relativ leicht zu behaupten, auch in durchaus turbulenten zwei Jahrhunderten.

Auch das zusätzliche Alleinstellungsmerkmal – dass der Betrieb in siebter Generation von der Familie geführt wird – scheint auch weiter Bestand zu haben. Vier Kinder hat Markus Scheer und darf daher begründet auf einen familieneigenen Nachfolger in der Firma hoffen. Selbst wenn ein Sohn oder eine Tochter „nur“ Kaufmann oder Kauffrau werden sollte. Und nicht wie er selbst ein Meister der Schuhmacher-Zunft.

Reinhard Frauscher

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