zum Hauptinhalt
308778_0_9bef45a2.jpg

© Uwe Steinert

Iinterview: "Ich habe mal einen Wurstsalat probiert"

Rattawut Lapcharoensap kennt beide Kulturen: die westliche und die fernöstliche. Ein Gespräch über lächelnde Thais, amerikanische Mädchen und Sextouristen.

Herr …, wie spricht man Ihren Namen aus?

Sagen Sie ruhig Rattawut. In Buchhandlungen ordnet man mich immer unter meinem Vornamen ein.

Sie haben fast ein Jahr in Berlin gelebt, lang genug, um manchmal Heimweh zu haben.

Ich fühlte mich schon wohl hier. Es ist nur so anders. Mir fehlt die ethnische Vielfalt einer Stadt wie New York. Berlin ist in meinen Augen so überwältigend weiß. Das war ein kleiner Schock.

Und was haben Sie dagegen gemacht?

Ich bin in den Preußenpark gegangen, am Fehrbelliner Platz. Wenn das Wetter schön ist, ist dort praktisch immer Thai-Markt. Und eine Menge Frauen aus dem Nordosten des Landes verkaufen Essen. Ich weiß, das ist ein altes Klischee, Thais vermissen immer ihr Essen. Da ist was dran.

Mögen Sie deutsches Essen?

Ich bin kein besonders abenteuerlustiger Esser. Ich habe mal einen Wurstsalat in Freiburg probiert, das war sehr interessant. Aber ich will nicht nur über das Essen sprechen. Es gibt etwas anderes in Berlin, das ich seltsam finde: die Geräusche.

Was hören Sie denn hier?

Nichts! Das ist es ja, was ich vermisse: den Lärm. Das hat sein Gutes, weil ich konzentriert arbeiten kann. Manchmal ist es jedoch beinahe unheimlich still. Ich wohne in Sichtweite vom Ku’damm, im Zentrum einer Großstadt. Selbst an einem Samstag ist es dort um halb zehn abends leer. Das ist schon sehr befremdlich. Dafür ist Berlin die Stadt mit den wohlerzogensten Menschen.

Die Berliner gelten eigentlich als ein wenig ruppig.

Sie meinen den Kellner, der einen warten lässt, und solche Sachen? Das sind Stereotypen. Was ich meine, ist diese Zivilisiertheit auf der Straße. Berlin ist die einzige Großstadt, in der ich je gelebt habe, in der nicht immerzu jemand was von mir will oder Fremde lautstark in ihr Handy blöken. In Bangkok wird alles auf der Straße ausgetragen.

Wie kam es, dass Sie in Chicago geboren wurden?

Meine Eltern verließen Thailand 1976. Beide waren Professoren an einer Universität in Bangkok und engagierten sich als linke Aktivisten. Nach dem Militärputsch 1976 begann eine Zeit brutaler Unterdrückung. Für meine Eltern war das nicht leicht in Chicago, sie jobbten als Tellerwäscher und Putzfrau. Erst 1982 änderte sich die Lage daheim wieder, und sie kehrten nach Bangkok zurück. Da war ich inzwischen drei Jahre alt.

Mit 17 gingen Sie zum Studieren wieder in die USA.

In Asien glauben viele, dass es in den USA die besten Universitäten gibt. Aber bei mir hatte das eher persönliche Gründe. Ich hatte sehr naive Vorstellungen, was ich in den USA alles erreichen könnte. Ich war geprägt durch alle möglichen Fernsehsoaps oder Filme wie „Zurück in die Zukunft“. Dass Kinder dort Auto fahren, oder diese Vorstellung von der sexuellen Freizügigkeit, das hatte ich mit 17 im Hinterkopf.

Wurden Sie enttäuscht?

Wie könnte es anders sein. Das Leben ist kein Film.

Das britische Literaturmagazin „Granta“ zählt Sie zu den besten jungen amerikanischen Autoren. Sehen Sie sich selbst als amerikanischen Autor?

Ja. Als Kind habe ich mich nicht sonderlich für Bücher interessiert. Das änderte sich erst in den USA. Insofern ist meine ganze literarische Ausbildung amerikanisch.

Der Gegensatz der Kulturen in Ost und West ist unser Thema. Sie haben diesen Gegensatz erlebt.

Als ich mich das erste Mal mit einem amerikanischen Mädchen traf, umarmte sie mich zur Begrüßung. Ich wusste nicht, was das bedeutet. Ist sie jetzt meine Freundin? Bis dahin konnte ich die Mädchen, die mich je in den Arm genommen hatten, an einer Hand abzählen. Und es hat mich immer eine Menge Mühe gekostet, bis ich überhaupt so weit war. Der Pulitzer-Preisträger Junot Diaz vergleicht diese Einwanderer-Erfahrung mit Science-Fiction: Das ist, als ob man von einem Planeten zum anderen wechselt, es gibt keine gemeinsame Grundlage, auf der man kommuniziert.

In Ihrem Erzählband „Sightseeing“ schreiben Sie über das Thailand heute, über Hahnenkämpfe, Korruption bei der Einberufung, verliebte Teenager und vergnügungssüchtige Touristen. Wie kam das bei den thailändischen Zeitungen an?

Einige fanden, ich sei zu kritisch mit Thailand. Als ich die ersten Preise in Übersee gewann, waren sie weniger an dem Buch interessiert als an der Tatsache, dass ein Thai etwas macht, wovon das westliche Ausland Notiz nimmt.

Im Westen wurde „Sightseeing“ als Antwort auf Alex Garlands Bestseller „Der Strand“ gepriesen, der mit Leonardo DiCaprio verfilmt wurde. „Der Strand beißt zurück“, hieß es.

Das war mein englischer Verleger. Ich ärgere mich über so ein Etikett. Das sollte mein Buch einem westlichen Publikum schnell zugänglich machen. Nach dem Motto: Ein Thai erzählt, wie das wirklich ist mit den Backpackern.

In Garlands Buch geht es um eine Gruppe Rucksacktouristen, für die ein Strand erst dann paradiesisch ist, wenn er leer ist. Die Einheimischen stören nur, werden sogar zur Bedrohung. Erzählt uns das etwas über die Beziehung zwischen Ost und West?

Natürlich. Aber mich als Autor interessiert etwas anderes. Das Besondere am Tourismus ist, dass die Einheimischen den Fremden bedienen. Sie müssen arbeiten, damit er seine Freizeit genießt, sie selbst sehen den Fremden nie arbeiten. Das ist eine dramatische Konstellation. Als ich die ersten Touristen in meiner Nachbarschaft sah, habe ich gar nicht verstanden, was die da eigentlich tun. Ich habe nur gesehen, dass sie mehr Spaß haben als ich. Und ich dachte, was mache ich falsch? Ich lebe doch auch hier.

Was denken die Leute in Bangkok über die Khao San Road, das Quartier der Rucksacktouristen?

Die Khao San Road wird toleriert, denke ich. Aber in den letzten Jahren haben Thai-Teenager begonnen, das auch als ihre Partymeile anzusehen. Und das mögen ältere Thais gar nicht. Sie glauben, die Ausländer würden die Jugend verderben.

Thailand war nie Kolonie und bedeutet wörtlich „Land der Freien“. Sind Sie stolz auf diese Tradition?

Unsere Freiheit ging oft auf Kosten unserer Nachbarn. Weshalb sie sich gern Witze über die Gerissenheit der Thais erzählen. Thailand unterstützte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Japan. Ein Jahr vor Kriegsende stand es plötzlich auf der anderen Seite. Und ohne Thailand wären später die amerikanischen Bombardements in Vietnam nicht möglich gewesen. Das macht mich weniger stolz.

Es heißt, Thailand habe dafür seinen Preis bezahlt. Amerikanische Soldaten auf Fronturlaub führten dort eine spezielle Form des Tourismus ein.

Viele Thais sagen, bevor die GIs kamen, hätte es keine Prostitution in Thailand gegeben. Das ist ein Mythos. Thais selbst waren schon vorher gut darin, ihre Frauen auszunutzen. Und sie sind schnell dabei, den Westen für alle möglichen Probleme verantwortlich zu machen.

In einer Ihrer Kurzgeschichten haben wir gelernt, dass Thais weiße Männer mit thailändischen Mädchen nicht mögen. Und sie halten die Mädchen automatisch für Prostituierte.

Der Verdacht besteht immer. Speziell für die ältere Generation ist intimer Kontakt mit einer weißen Person unvorstellbar. Doch ich bin mir sicher, die Deutschen, die im Preußenpark Thai-Mädchen mit deutschen Männern sehen, machen sich ganz ähnliche Gedanken.

Stört es Sie, dass viele westliche Touristen Thailand für ein Riesenbordell halten?

Früher war das für mich eine einfache Rechnung: Es handelt sich um eine ausbeuterische, koloniale Beziehung. Heute sehe ich es ein bisschen anders. Die Leute haben irgendetwas zu Hause verloren, das sie hier bei uns suchen. Ich erinnere mich an einen betrunkenen amerikanischen Touristen auf dem Flughafen Bangkok. Was hat den Mann hierhergetrieben? Was hat er erwartet, hier zu finden? Das war kein Monster mehr für mich, eher hatte ich Mitleid. All die Auswanderer, die heute in Thailand leben. Das ist ein großes Rätsel, was die bei uns finden, was es nicht auch woanders gibt.

Schöne Strände, gutes Essen, niedrige Preise …

Gut, ich kann mir natürlich schon vorstellen, warum Ausländer dort Urlaub machen. Aber gleich auswandern?

Sie sind als Auswanderer in die Vereinigten Staaten gegangen und hatten auch naive Erwartungen.

Zuallererst gab mir das Land eine Ausbildung, wie ich sie so woanders nicht bekommen hätte. Es hat mir Arbeit gegeben, ich konnte Geld nach Hause schicken. Aber ich bin die USA leid. Ich gehe zurück nach Bangkok.

Und was hat Ihnen Thailand zu bieten?

Hoffentlich auch Arbeit. Ich möchte gern weiterschreiben. Und ich war allein im Westen. Wer hilft mir dort, wenn mir etwas passiert? In Thailand gibt mir die Familie Sicherheit.

Vielleicht leiden manche Westler an einem Mangel an Spiritualität und kommen deshalb. In Hollywood ist der Buddhismus sehr populär. Und der Dalai Lama ist im Westen fast schon ein Popstar.

Sehr merkwürdig. Es gibt unterschiedliche Formen des Buddhismus. In Thailand ist er Staatsreligion, und fast schon fundamentalistisch. Christen und Muslime, die mussten in der Schule auch buddhistische Gebete lernen wie alle anderen. Das ist interessant, welche Signale der Buddhismus in den Westen sendet. Ich bin damit aufgewachsen, für mich fühlt er sich ungefähr so an wie der Katholizismus für irische Kinder. Sehr patriotisch, oft verletzend und sexuell unterdrückend.

Kennen Sie den Film „Der König und ich“? Yul Brynner spielt darin den König von Siam, und eine englische Lehrerin zeigt ihm die Vorzüge des Westens.

In Thailand ist der Film verboten. Weil er den König als Trottel darstellt. Und sie liest ihm aus „Onkel Toms Hütte“ vor – ihr Beitrag zur Befreiung.

Der Film spiegelt die westliche Überzeugung, dass Europa und die USA der Welt die Zivilisation bringen. Und die Demokratie.

Ich weiß, dass es im Westen das Vorurteil gibt, dass die Länder der Dritten Welt so etwas nicht richtig hinkriegen, selbst wenn sie uralte demokratische Traditionen haben. Dabei wird gern übersehen, wie viele Diktatoren vom Westen eingesetzt und unterstützt werden.

Welche Vorurteile hegt man in Thailand gegenüber dem Westen?

Die kümmern sich nicht um ihre Familien, haben keinen Respekt vor den Alten. Die Vorstellung, dass Kinder ihre Eltern in ein Heim geben, ist meiner Mutter absolut fremd. Oder der Mangel an Anteilnahme für die Armen. Meine Mutter war schockiert, als sie in den USA Obdachlose sah. In den Augen vieler Thais ist der Westen grundsätzlich unfähig, für seine Schwachen zu sorgen, weil ein exzessiver Kapitalismus ihn krank gemacht hat. Die große Angst ist, genauso zu werden, infiziert vom Westen mit seinen sogenannten Werten.

Bedeutet Globalisierung auch Verwestlichung?

In Thailand zum Beispiel ist der Einfluss koreanischer Popkultur inzwischen viel größer als der aus Amerika. Die Geschwindigkeit, mit der sich kulturelle Versatzstücke über die Welt verstreuen, nimmt rasant zu. Thai-Kinder können in der einen Minute traditionelle Musik hören und in der nächsten Korea-Pop, sie werden von Amerika beeinflusst, aber auch von China und Japan.

Viele Experten gehen davon aus, dass das 21. Jahrhundert ein asiatisches Jahrhundert wird. Ist das für Sie eine erfreuliche Perspektive?

Das bezieht sich ja wohl vor allem auf China, nicht auf Bangladesh, die Mongolei oder Laos. China ist seit Jahrhunderten eine Obsession für den Westen, hauptsächlich, weil es gewaltige Gewinnerwartungen weckt. Wenn man nun vom asiatischen Jahrhundert spricht, dann meint man damit Dominanz – ökonomisch und vielleicht auch militärisch. In den USA spricht man seit über 100 Jahren von der gelben Gefahr. Immer wenn der Westen Angst davor hat, seine Macht zu verlieren, muss man mit fürchterlichen Dingen rechnen. In den 60er Jahren war es die Bedrohung durch den asiatischen Kommunismus, um den einzudämmen, bombardierte man Vietnam. Wenn Sie mich also fragen, ob ich mich freue: eher nicht.

Sie sagen, die Gewinnerwartung hat die Europäer angelockt. Wir sprachen über den Buddhismus. Hat der Osten nicht auch auf anderen Gebieten fasziniert?

Kann sein. Vielleicht ist es aber auch so, wie Edward Said in seinem Buch „Orientalismus“ schreibt: Die Sicht des Westens auf den Orient hat weniger mit dem Orient selbst zu tun. Er wurde für den Westen vielmehr ein Mythos, ein Abbild dessen, was er selbst nicht ist.

Das war Saids Abrechnung mit der Orientalistik als Wissenschaft. Gibt es im Osten eine Okzidentalistik?

Sicher. Nur gab es keinen gleichberechtigten Gedankenaustausch. Der fand immer auf der Basis eines massiven Ungleichgewichts statt. Es ist etwas anderes, wenn der Westen sich mit seinen Kanonenbooten im Rücken dem Osten näherte, umgekehrt gab es diese Boote nicht. Wenn heute die Globalisierung gefeiert wird, dann vergessen die Leute, dass das Ungleichgewicht noch besteht.

1997 endete der große Boom in Thailand, nachdem westliche Hedgefonds die Währung attackiert hatten. Haben sich die Menschen damals enttäuscht vom westlichen Wirtschaftssystem abgewandt?

Sie denken, das wäre logisch gewesen. Wenden sich denn die Menschen in den USA enttäuscht von ihrem Wirtschaftssystem ab? Der Kollaps von 1997 war dramatisch. Auch für mich. Es war mein zweites Jahr an der Uni, und meine Eltern konnten mich nicht mehr unterstützen. Wenn du nicht für dich selbst sorgst, musst du nach Hause kommen, haben sie mir gesagt. Ich habe geputzt, im Coffee-Shop gejobbt, Blaubeeren gepflückt, manchmal hatte ich vier Jobs gleichzeitig.

Im Westen hat sich das Bild vom ewig lächelnden Thai festgesetzt. Wenn man dann die massiven Demonstrationen in Ihrem Land sieht, wie im April …

Das ist auch so ein Missverständnis. Natürlich sehen Touristen den ewig lächelnden Thai. Sie haben ja fast nur mit Leuten aus der Tourismusbranche zu tun, die werden fürs Lächeln bezahlt. Ich finde dieses Klischee entwürdigend. Es beraubt uns der ganzen Bandbreite möglicher Emotionen.

Hat nicht das thailändische Tourismusministerium mit dem Slogan „Land des Lächelns“ geworben?

Ja, in den 80ern. Wir sind berühmt für unser Lächeln, die Drogen und die unterwürfigen Frauen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false