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Papst-Porträt: Im Auge des Vaters

Er sollte den Papst porträtieren, doch der wollte nicht Modell sitzen. Zwei Minuten Audienz bekam der Künstler Michael Triegel. Was der daraus gemacht hat, wird ab Samstag gezeigt: – ein Gemälde, das man in Rom nicht gerne sieht.

Ich schau dir in die Augen, mein Sohn. Diesem Blick ist schlecht auszuweichen. Aber den Lippen, die fest aneinander kleben, entweicht kein Wort.

Auf den meisten jener sieben Vorarbeiten, die nach Michael Triegels Begegnung mit Papst Benedikt XVI. im März 2010 entstanden waren, suchen Joseph Ratzingers große Augen das Gegenüber. Manchmal schauen sie durch den Betrachter hindurch, mal ins Weite. Die Fältchen treten mehr oder minder hervor; einige Versionen zeigen den Mann rüstig und smart, andere krumm, mit fleischigen Händen, bleicher Haut. Manchmal sieht man sein dickes Goldkreuz an der Kette. Ein expliziter Fingerzeig auf das katholische Schock-Thema vom Frühjahr 2010, die Missbrauchsskandale, findet sich in keiner der Studien. Keine von all diesen Annäherungen schien ihrem Schöpfer geeignet als gültige Vorlage für das Porträt des Pontifex.

Sein definitiver Benedikt, wie er ihn zuletzt malen wird, unterscheidet sich, so sagen manche, von den Vorstudien unvorteilhaft.

Am heutigen Samstag wird das Porträt, von dem der Dresdner Bischof Reinelt sagt, jeder Bischofskollege solle sich einmal diesem Ratzinger-Blick stellen, im Rahmen der Leipziger Ausstellung „Verwandlung der Götter“ offiziell präsentiert.

Angefangen hatte Michael Triegels Abenteuer mit der Papst-Malerei vor zwei Jahren im Würzburger Diözesanmuseum. „Sprache der Dinge“ hieß seine Ausstellung dort; der ungetaufte Künstler, 1968 geboren in Thüringen, erklärte Kindern seine Werke, war begeistert von ihren Fragen, stellte beeindruckt fest, dass gerade jene Hardcore-Sujets, bei denen Blut, Tod und Verletzungen sich zu surrealistischen Tableaus zusammenfügen, ihre Teilnahme erregten. Beeindruckt von seiner Didaktik wiederum zeigten sich zwei Museumsleute, die dem Rundgang folgten. Den einen überzeugte das Porträt einer uralten Äbtissin, sodass spontan die Frage aufkam, ob Michael Triegel nicht den Papst für das Regensburger „Institut Papst Benedikt XVI.“ malen wollte?

Dass Ratzinger einen konservativen Kunstgeschmack habe, sei ihm damals klar gewesen, sagt Hermann Reidel, Leiter des Regensburger Diözesanmuseums. Mit einem schreienden Mund, wie Francis Bacon das berüchtigtste Papst-Gemälde des 20. Jahrhunderts angelegt habe, könne man dem Oberbayern kaum kommen! Deshalb stellte sich für einen Probelauf der Regensburger Bischof Gerhard Müller zur Verfügung, den man sowieso gerade in Öl benötigte für die lokale Bischofsgalerie. Müller saß dem Maler mehrmals Modell, verstand sich gut mit ihm, lobte das Ergebnis – und gab den „Ring frei für Rom“.

Dort war der Tourist Triegel bereits 20 Jahre zuvor – bei seinem ersten Aufenthalt, bald nach der Wende – zu seiner Welt, wie er sie heute sieht, inspiriert worden. Im Anschluss an den NVA-Dienst war er für einen knappen Monat mit 1000 D-Mark von Onkel und Tante nach Italien aufgebrochen. Das waren 35 Mark pro Tag: 14 davon für den Zeltplatz, 12 für Ausstellungstickets. Das „Heidenkind“ (Triegel über Triegel) wurde überwältigt: von den Vatikan-Museen, von Caravaggio-Offenbarungen, von barocker Inszenierung in der Jesuiten-Kirche „Il Gesu“. Dabei wurde es ihm leicht, die NVA-Perspektive hinter sich zu lassen.

Bis kurz vor seiner südlichen Erleuchtung hatte Triegel im thüringischen Bad Frankenhausen, wo er stationiert war, als Mitglied eines NVA-„Zeichenzirkels“, der nur aus ihm bestand, die Überlebensnische zwischen Wahrheitssuche und Versteckspiel finden müssen. Fluchten aus der Indoktrination marxistisch-leninistischer Staatsbürgerkunde hatte der geborene Erfurter schon als Schüler gesucht, als Ersatz fürs „pubertäre Aufbäumen“ lockten das exotisch Katholische und die Weimarer Klassik. Ab Klasse 9 war der Begabte gefördert worden, mit monatlichen Ausflügen auf Goethes und Schillers Spuren und Zeichentagen im Landschaftspark Tiefurt. Nun, in Bad Frankenhausen, entwarf Genosse Triegel in seinem Kulturhaus-Atelier Bühnenbilder für die Jägerfeste der Offiziere. Außerdem gab es am Ort Werner Tübkes monumentales Bauernkriegsfresko. Rückblickend mag Triegel dieses 123-Meter-Panorama nicht zur systemkonformen Auftragskunst herabwürdigen: Tübke habe damit vielmehr den Hofmaler-Auftrag unterlaufen – nicht den Sieg der Revolution, sondern die Wiederkehr von Aufstand und Repression dargestellt.

Seine letzte Auftragsarbeit, für eine fränkische Kirche, hatte der erkrankte Tübke anno 2004 nicht mehr angenommen, aber dafür Triegel empfohlen, der so an sein erstes Altarbild kam. Wird er nun päpstlicher Hofmaler?

„Hofmaler? Da denke ich an große Kollegen wie Goya!“ Dann sei das Etikett doch nicht mehr ehrenrührig, sagt Michael Triegel in seinem Loft in der Leipziger Spinnerei, einem Kulturgewerbepark aus alten Backsteinbauten. Vorm Fenster ein hochragender Schornstein, ein neuromanischer Kirchturm am Horizont. Im Raum volle Regale, Getränke- und Plastikmüllkisten, leere Rahmen, Holzböcke. Eine Gipsskulptur, vor einem der insgesamt vier vorhandenen Papstbilder eine hölzerne Gliederpuppe, ein Tierschädel. Farbdosen. Staffelei. Aus Triegels Werk springt dem Besucher das Panoptikum verwirrender Zeichen entgegen: ein blutgefleckter Märtyrer, umsorgt von einer gesichtslosen Nonne. Kadaver. Brennende Herzen. Ein Nackter mit Papiertüte überm Kopf.

Er ist Raucher, in Pulli und Jeans, klein, etwas bärtig. Ein quirliger, assoziationsreicher Gesprächspartner. Es gehe um die Reibung zwischen dem Auftrag und dem Eigenen, sagt er. „Wie geht man mit der Ambivalenz um? Die Leute sagen, man kann heute keine Auftragskunst mehr machen, Kunst sei Freiheit. Aber wenn das mit mir was zu tun hat, kann das kein Widerspruch sein – das Sakrale und das Eigene.“ Es gehe ihm, Triegel, nicht darum, den religiösen Auftrag zu bedienen, sondern darum, ihn infrage zu stellen. „Natürlich bekommt man Beifall von der falschen Ecke. Endlich einer, der noch schön malen kann, sagen die – dabei haben meine Bilder den doppelten Boden.“ Der Vorwurf, er sei naiv, verletzt ihn nicht. Wenn aber jemand sagt: So kann man heute nicht mehr malen, der übernimmt nur – das kränkt ihn. „Man macht sich nackt, wenn man malt“, behauptet er.

Tatsächlich verwandeln sich auf den Bildern dieses unberechenbaren Papstmalers die bekannten Erzählungen. Schon sein Abendmahl geriet zur Solo-Performance eines gesichtslosen Jesus mit Ei und Kirsche statt Wein und Brot, andere Christus-Bildnisse tragen oft Triegels Gesicht, seine Madonnen traktieren ihren Gottessohn wie die Mördermutter Medea. Diese Malerei des „virtuosen Anachronismus“ scheine „erzkonservativ“, travestiere das Neue als das Alte, wolle nach Art der Romantik die Religion durch Kunst retten, schreibt, durchaus wohlwollend, der Kunstkritiker Eduard Beaucamp. Sie schramme mit ihrer Belebung alter Techniken für diese Themen „mindestens knapp am Kitsch vorbei“, befindet der Soziologe Reimut Reiche.

Jürgen Lenssen, der 2002 als Leiter der Kunstsammlung im Bistum Würzburg mit dem Kirschen-Abendmahl seine seitdem um sieben weitere Werke gewachsene Triegel-Kollektion begonnen hat, entdeckt in den Bildern „mystische Kraft“: Die komme der aktuellen diffusen Religiosität und Esoterik entgegen. Seit den 70er Jahren hätten viele von der Ideologie frustrierte DDR-Künstler mit alter Symbolik andere Utopien gesucht. Er kenne keinen, der ikonographisch so bewandert sei wie dieser junge Maler.

Nach dem Regensburger „Ring frei“ hatten die Verhandlungen mit dem Vatikan noch ein gutes Jahr gedauert. Die vorgeschlagene Herstellung eines Öl-Schinkens anhand von PR-Fotos, wie es zuletzt eine weißrussische Porträtistin des Wojtila-Papstes gemacht hatte, kam für Triegel nicht infrage. Dann wurde Zustimmung signalisiert, mit der Einschränkung: kein Modellsitzen, nur zwei Minuten Gespräch am Rande der Generalaudienz. Am 3. März 2010 sitzt er dann, die „kleine Ostmaus aus der Provinz“ (Triegel über Triegel), im Betonbunker Sala Nervi, umringt von Nonnen, die seine Skizzen samt Kamera misstrauisch mustern. Kein Damaskus-Erlebnis. „Wieder war ich draußen. Man will doch mal das Gefühl haben, dazuzugehören“, erinnert sich der Enttäuschte.

Dann die Begegnung. Triegel spürt die Hände, die Haut des 82-Jährigen. „Ach, Sie sind mein Raffael“, grüßt ihn Ratzinger ironisch. Raffael hatte zwei Päpste, den ausgebrannten Greis Julius II. (1511) und den agilen Machtpokerer Leo X. (1519) verewigt. Triegel bezieht sich aber stärker auf Velazquez, dessen betagt-energischer Innozenz X. (1650), ein Oktavheft beiläufig in der Hand, uns anblickt. Triegels Papst hält Din-A-4-Blätter in seiner Linken, löst sich vom Text, fixiert uns.

Das Sesselmuster zeigt sein Wappen und den Granatapfel, das blutige Christus- und Paradiessymbol. Am pontifikalen Mundwinkel hängt die Lippe schief, ein Zähnchen blitzt. Dass er sich ausgerechnet für diese unangenehme Mundpartie entschieden hat, begründet der Maler mit seinem Wahrheitsanspruch. In Rom hätte man Zahn, schlechte Haut und etwas Soutaneschmuddel gern weggezaubert gesehen. Der Wunsch drang aus dem Stab des Papstes bis nach Leipzig; Triegel bleibt stur. Er male, was er sehe; wäre Zensur eine Auflage gewesen, „hätte ich das gar nicht machen können“. Ist Wahrheit also unsympathisch? An der realistischen Körperlichkeit dieses Heiligen Vaters mit Zähnchen werden Vergänglichkeit und Präsenz des Todes nicht retuschiert.

Was für Triegel persönlich an dieser Arbeit gewesen sein könnte, verrät der sonst Redselige nicht direkt. Nach eigener Auskunft treibt ihn „Sehnsucht nach dem Wunderbaren“ um, auch nach „Heimat, Erlösung, einem Vater“. Ihn interessiert auch der Schmerz. Heutzutage sollen die Dinge meistens zu lösen sein; anders als in der griechischen Tragödie, die das Menschliche zeige als etwas, das auszuhalten ist. Man könne jedoch Schmerz in Utopie, in Schönheit verwandeln.

Wenn der Mann, den die Italiener Papa nennen, 2011 nach Erfurt kommt, wird sein Porträtmaler vielleicht dabei sein, Fähnchen schwenken. „Vielleicht wird auch das wieder eine Enttäuschung – nur eine tolle Show?“ An seinem Modell Ratzinger habe ihn die Reibung zwischen Glaube und Vernunft interessiert, das zweitausendjährige Amt. Eine Autorität, die man annehmen kann, weil mit Inhalt gefüllt. Er habe keinen alten Mann als Objekt zeigen wollen, sagt Triegel, nein, „der Betrachter soll betrachtet werden“. Und doch bestimmen wir Betrachter, wer dort thront: der Vampir, der Missbrauchs-Pate oder der Gottesmann, den wir sehen wollen. Schau mir in die Augen, Papa.

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