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Panorama: In die ewigen Jagdgründe

Die Robbenfänger auf Grönland werden immer weniger – die Jugend zieht es an die Universität

Neulich ließ das Deutsche Tierhilfswerk einen Brief verbreiten. „Möchten Sie mal so richtig abgefahrene Dinge tun?“, schrieben die Tierschützer – und fragten sarkastisch: „Möchten Sie nicht mal eine Felltrophäe mit nach Hause bringen?“ Dann, so die Münchner, ab in den Norden! In Norwegen etwa dürften Touristen für läppische 165 Euro Robben schlachten, so das Tierhilfswerk. „Und Grönland steht dem Ideenreichtum, um die Wirtschaft anzukurbeln, in nichts nach.“ Dort dürfe bald jeder einen Eisbären schießen!

Die Robbenjagd ist in diesen Wochen ein heikles Thema, auch bei den Einwohnern Grönlands. Dort allerdings aus einem anderen Grund. Denn mittlerweile sind die Jäger der Insel vom Aussterben bedroht. Eine aktuelle Studie der dänischen Roskilde-Universität ergab, dass die traditionelle Jagd auf Grönland bald zum Erliegen kommen wird. Gab es 1993 noch knapp 6600 Robbenfänger, waren es zehn Jahre später nur noch 2700. Die Wissenschaftler schreiben in ihrer Begründung: Die Jäger würden zunehmend älter, es fehle der Nachwuchs. Denn viele der jungen Männer wollen sich nicht mehr dem Walfang oder dem Fischen widmen, sondern lieber zum Studium nach Kopenhagen ziehen.

Was Tierfreunde erfreut, ist für die grönländische Wirtschaft und die nationale Identität eine Katastrophe. Die Entwicklung, so die Studie, sei jedoch nicht auf das Engagement der Tierschützer zurückzuführen, sondern auf die harten sozialen Bedingungen, denen viele Grönländer ausgesetzt sind. Immer häufiger warnen Jäger und Fischer selbst ihre Kinder, nicht in ihre Fußstapfen zu treten. „Die wollen ihren Kindern einfach nicht mehr empfehlen, das Gleiche zu machen“, sagt der Leiter der Studie, Rasmus Rasmussen. „Die Arbeit ist unheimlich hart. Und die Erträge fallen erstaunlich niedrig aus.“ Außerdem vermindern sich Wild- und Fischbestände zunehmend. Die meisten Jäger- und Fischerfamilien müssen ihr Einkommen heute durch Nebenjobs finanzieren, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Ein großer Teil von ihnen lebt unterhalb der internationalen Armutsgrenze.

Laut Studie ist nun der wichtigste inländische Wirtschaftssektor gefährdet, sowie die Identität der 45000 Menschen, die zur Urbevölkerung Inuit zählen. Deren Lebensstil war immer von Jagd auf Robben und Fischfang geprägt. „Ich bin sehr erstaunt über das Ergebnis. Der gesamte Sektor wird innerhalb von zehn Jahren ganz verschwinden, wenn sich nichts ändert“, sagt Rasmussen.

Grönländische Politiker warnen deshalb bereits, dass ein Untergang des traditionellen Geschäfts auch die Chancen der Bevölkerung stark vermindert, endlich den Dänen die Unabhängigkeit erklären zu können. Denn Kopenhagen entscheidet nicht nur über Außen- und Verteidigungspolitik des Landes, sondern stellt auch Zweidrittel des grönländischen Haushaltsbudgets. Nur das restliche Drittel wird auf der Insel noch selbst erwirtschaftet, und zwar zu großen Teilen durch die Fisch- und Jagdwirtschaft.

Viele der insgesamt 56 000 Grönländer wollen einen eigenen Staat. Zwar hat Grönland seit 1979 ein eigenes Parlament in der Hauptstadt Nuuk und gewisse Autonomieabkommen mit Dänemark, dennoch gilt die größte Insel der Welt formal als dänische Provinz. Es sind schwierige Zeiten, vor denen Grönland steht.Viele bekämpfen ihre Arbeitslosigkeit mit Alkohol.

André Anwar[Stockholm]

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