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Marnix Krop.

© Mike Wolff

Interview mit Botschafter Krop: Ausnahme Deutschland

Marnix Krop ist seit 2009 niederländischer Botschafter in Berlin. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht er über die Beziehungen.

Herr Botschafter, am Dienstag kommt Königin Beatrix nach 1982 zu ihrem zweiten Staatsbesuch nach Deutschland - ein Ausdruck besonderer Beziehungen zwischen beiden Ländern?

Ja, gewiss, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Es gibt nur wenige Länder auf der Welt, die so miteinander verflochten sind wie unsere beiden Länder. Das gilt für die Wirtschaft, die Kultur, den Tourismus und natürlich für die Politik. Ein paar Zahlen: Frankreich ist der erste Partner für den deutschen Export, die Niederlande stehen an dritter Stelle. Aber wir stehen beim Import in Deutschland an zweiter Stelle, China hat uns gerade eingeholt. Zählt man das Handelsvolumen beider Länder zusammen, dann kommen wir gleich nach Frankreich-Deutschland. Weltweit ist das fast einzigartig. Für ein Land unserer Größe ist das enorm. Wir sind der größte Investor in Deutschland, Deutschland ist auch ein großer Investor in den Niederlanden mit mehr als 2000 Firmen, rund 3000 niederländische Betriebe sind in Deutschland aktiv. Rotterdam ist Deutschlands größter Hafen. In den letzten Jahren hat unsere Präsenz in Ost- und Süddeutschland sehr zugenommen. Wir sind der erste ausländische Investor in Baden-Württemberg. Ministerpräsident Mappus war darüber sehr erstaunt, als ich ihm das erzählte: "Was, nicht Frankreich?", sagte er.

Man hätte denken können, nach der deutschen Einheit orientiert sich Deutschland breiter und nicht mehr nur westeuropäisch. Das stimmt auch so, aber nichtsdestoweniger ist die enorme Verflechtung stärker geworden. Wir stellen mit Abstand die meisten ausländischen Touristen in Deutschland, und umgekehrt sind die Deutschen traditionell eine sehr starke Besuchergruppe. In der Kultur verzeichnen wir pro Jahr rund 2000 niederländische Aktivitäten in Deutschland, das ist 25 Prozent unseres ganzen Exports, und da sind noch nicht einmal die ganzen Rock'n'Roll-Bands aus Enschede mitgezählt, die mal eben in Münster ein Konzert geben.

Zum zweiten: Die Königin hat ein Faible für Deutschland. Die Dynastie stammt von hier, unsere Nationalhymne beginnt mit "Wilhelmus van Nassouwe, ben ik van duytschem bloed", ihr Mann und ihr Vater waren Deutsche. Die Regel sagt, dass sie während ihrer Regierung nur einmal einen Staatsbesuch in einem Land absolvieren kann. Deutschland ist eine Ausnahme. 1991 war es ein offizieller, sehr ausgedehnter Besuch, der fast an den Staatsbesuch heranreichte. Diese Ausnahmen zeigen, wie wichtig dieser Besuch für uns und die Regierung ist.

Welche Bedeutung hat Berlin in den deutsch-niederländischen Beziehungen?

Ja, das kann man unterschiedlich beantworten. Ich denke zurück an den Kalten Krieg. Meine erste Erfahrung mit Berlin war 1977, als ich die große Ausstellung "Tendenzen der Zwanziger Jahre" in der Neuen Nationalgalerie besuchte. Ich schlief in einem Zelt bei Bethanien in Kreuzberg. Berlin war natürlich ein Symbol, aber gleichzeitig auch eine unbekannte Stadt. Nur wenige Niederländer kamen hierher. Wir hatten natürlich eine Botschaft in Ost-Berlin seit 1973 und wir hatten auch aus der Vorkriegszeit noch eine Botschaft in Tiergarten. Das Grundstück haben wir bis 1983 behalten - inzwischen stand natürlich unsere Botschaft in Bonn - und dann haben wir es verkauft in dem Glauben, dass es mit der deutschen Einheit doch nichts mehr werden würde. Sechs Jahre später fiel die Mauer. Ich kann Ihnen sagen, dass in meiner Erinnerung nur sehr wenige Dinge solch einen Enthusiasmus in den Niederlanden ausgelöst haben wie der Fall der Mauer. Das war wirklich etwas, was in der Breite der Bevölkerung enorme Emotionen ausgelöst hat. Viele Niederländer sind damals nach Berlin gefahren, um das mitzuerleben und mit einem Stückchen Mauer zurück zu kommen. Ich selbst habe die ganze Nacht vor dem Fernseher gesessen. Eineinhalb Tage später - ich wohnte damals in Amsterdam West - ging ich früh zum Bäcker und da fuhr ein ostdeutscher Trabbi vorbei, der auf dem Weg nach England war.

Und heute?

Für uns ist Berlin das neue Deutschland. Auch ein bisschen seltsam, denn es ist weit weg, Bonn war natürlich viel vertrauter, aber wir haben sehr viel investiert. Diese Botschaft ist daher auch der Beweis dafür, dass wir zu dem neuen Berlin und dem neuen Deutschland unseren Beitrag leisten wollen.

Auf dem Besuchsprogramm in Berlin steht Neukölln - warum diese Wahl?

Vielleicht erst noch zum Besuchsprogramm. Die Königin ist sehr an Inhalten interessiert. Sie kommt, um Deutschland besser kennenzulernen und um ihren Sohn und ihre Schwiegertochter weiter hier einzuführen. Das Hauptthema des Besuchs ist das neue Deutschland zwanzig Jahre nach der Einheit, Ost-West, Berlin, aber auch die neuen Deutschen, die wirtschaftliche Entwicklung. Das Programm entspricht dem. Neukölln ist ein Beispiel eines Viertels, wie es einige in Deutschland gibt und die wir auch kennen. Ein Bezirk mit großen sozialen Schwierigkeiten, Armut, Arbeitslosigkeit, Integrationsproblemen, aber gleichzeitig ein Bezirk mit Dynamik und Chancen und einem Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der einige Initiativen ergriffen hat und nicht nur Probleme benennt, sondern auch Lösungen findet - etwa die Rütli-Schule und die Stadtteilmütter. Es bestehen auch enge Kontakte nach Rotterdam, Bürgermeister Ahmed Aboutaleb war im vergangenen Jahr hier und Buschkowsky hat Rotterdam besucht und Ideen mitgebracht. Die Königin besucht den "Mitmachzirkus" - wieder so eine Initiative von Buschkowsky. Echte Zirkusleute geben den Kindern eine Woche Unterricht. Sie bekommen dadurch mehr Selbstbewusstsein und Vertrauen. Das ist auf eine sehr kreative und intelligente Weise, ein Beitrag zu Bekämpfung von Integrationsproblemen.

Es fällt auf, dass das Programm viele Begegnungen mit jungen Leuten enthält.

Wenn man das neue Deutschland kennenlernen will, dann spricht man nicht nur mit alten Deutschen. Die Königin trifft in Berlin die Generation 90 zu einem gemeinsamen Mittagessen, in Sachsen besucht sie die Palucca Tanzschule und in Herzogenrath lesen deutsche Schulkinder auf Niederländisch aus den Büchern ihrer niederländischen Lieblingsautoren vor.

Die Niederlande sind als Gasexporteur bekannt, aber in Dresden besucht die Königin eine deutsch-niederländische Konferenz zur Solarenergie.

Sie besucht auch einen Betrieb, Solarwatt. Hier lernt sie das neue Deutschland in der ehemaligen DDR kennen und welchen Beitrag die neuen Länder für das vereinte Deutschland leisten. In den Fraunhofer Instituten dort wird die Erfahrung aus der DDR weiter genutzt. Der Gründer der Firma ist übrigens auch ein Sachse. Deutschland und die Niederlande haben auf dem Gebiet sehr viel gemeinsam. Beide sind sehr sensibel für die Klimaproblematik, wir sind sehr sensibel für die Notwendigkeit der Entwicklung erneuerbarer Energien, Deutschland hat hier einen Vorsprung. Die Niederlande forschen vor allem auf dem Gebiet der Speichermedien, um kostengünstig die erneuerbaren Energien zu nutzen. Und unser Energiezentrum Niederlande (ECN) ist sehr weit fortgeschritten in der umweltfreundlichen Produktion von Solarzellen. Auf dem Gebiet besteht eine große Zusammenarbeit zwischen Dresden und Eindhoven, und zwar zwischen Wissenschaftlern und Unternehmen.

Wo sehen Sie für beide Länder Chancen einer gemeinsamen Zusammenarbeit auf internationaler Ebene?

Europa steht an erster Stelle. Da sind wir Schicksalsgenossen. Wir sind beide Mitbegründer der europäischen Integration, und manchmal bedarf es wohl einer Krise um sich wieder zu finden. Und jedes Mal zeigt es sich, dass wir miteinander in Europa intensiver voranschreiten müssen. Da zeigt sich, dass im allgemeinen Deutschland und die Niederlande sehr eng miteinander arbeiten und vergleichbare Weltanschauungen haben. Wir sind beide für eine europäische Währung, um zusammen europäisch stark zu sein. Deutschland führt 60 Prozent seines Exports in die EU aus, wir etwa 80 Prozent. Wir wollen aber auch in der Welt stark sein, und darum muss die Union weiter wirtschaftlich entwickelt werden. Die Liberalisierung der Dienstleistungen muss ebenso vorangetrieben werden wie eine gemeinsame Energiepolitik. Wir sind für eine starke europäische Außenpolitik, das ist nicht immer einfach, siehe Libyen. Aber auch dort sieht man, dass wir doch eine gemeinsame Position einnehmen und uns ergänzen. Unsere Streitkräfte kooperieren sehr gut, das Deutsch-Niederländische Korps in Münster gehört zu den besten "Joint Corps". Wir müssen alle sparen und das führt wieder zu mehr Zusammenarbeit. In Afghanistan haben wir im vergangenen Jahr unsere Mission in Uruzgan beendet und sind nun dabei, eine Polizeimission zu starten, die die zivile afghanische Polizei vor allem in dem Gebiet ausbildet, in dem Deutschland die "Lead Nation" ist. Wir konzentrieren uns auf zivile Aufträge, und die Deutschen werden uns schützen. Wir bringen natürlich unsere eigenen F16 mit, aber wir werden dort gut zusammenarbeiten. Beide Missionen sind vergleichbar, wir wollen dort nicht ewig bleiben. 2014 werden wir abziehen, wenn eine verantwortete Übergabe möglich ist.

In Europa wird viel über die deutsch-französische Zusammenarbeit gesprochen. Ist es gewagt zu sagen, dass die deutsch-niederländische Zusammenarbeit mindestens so eng ist, nur nicht so im öffentlichen Bewusstsein verankert ist?

Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist sehr wichtig und natürlich voller Symbolik. Für einen Außenstehenden ist sie sicher symbolreicher als die deutsch-niederländische, auch wenn das Niederländer und Deutsche vielleicht anders sehen. Ohne den Schuman-Plan hätte es kein Europa gegeben. Ich habe sowohl in Frankreich als auch in Polen gedient und ich verstehe es sehr gut, dass es historisch für Deutschland absolut notwendig ist, in die Beziehungen mit solchen ehemaligen Feinden zu investieren. Ohne diese Zusammenarbeit wäre die Kooperation in Europa viel schwieriger. Ich bin auch ein großer Anhänger des "Weimarer Dreiecks". Gleichzeitig heißt das nicht, dass Deutschland und Frankreich und Deutschland und Polen ganz einfach zusammenarbeiten, manchmal braucht man eine intensivierte Zusammenarbeit, um die Unterschiede zu überbrücken. In vielerlei Hinsicht arbeitet Deutschland mit den Niederlanden meiner Ansicht nach viel einfacher zusammen. Wir gleichen uns kulturell mehr, unsere Interessen verlaufen parallel. Das ist aber auch die Gefahr. Man denkt leicht, dass diese Beziehungen ein Selbstläufer sind, auf beiden Seiten. Bei allen Ähnlichkeiten gibt es aber doch kulturelle Unterschiede, und beide Länder müssen daher weiterhin in diese Beziehungen investieren, um diese Zusammenarbeit am Leben zu halten. Wir sehen in den deutsch-französischen Beziehungen keine Konkurrenz. Wir sind nicht immer zufrieden mit den Ergebnissen der deutsch-französischen Zusammenarbeit oder der Form, die nicht immer optimal ist - Schlüsselwort "Deauville". Aber das können wir dann auch in aller Freundschaft besprechen, Ministerpräsident Rutte war im November in Berlin und er hatte en passant ein gutes Gespräch mit Frau Merkel, bei dem man zu dem Entschluss gekommen ist, dass sich derartiges nicht wiederholen dürfe. Das ist dann auch nicht mehr geschehen. Wir haben auch schon eine Rolle zwischen Frankreich und Deutschland gespielt, als es um die Türkei und Europa ging. Das sind anders geartete Beziehungen. Das ist das Schöne an Europa, das gibt Europa eine besondere Stärke.

Das Gespräch führte Rolf Brockschmidt

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