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© dpa

Italien: Ölpest: Im Wettlauf mit der Zeit

Ein Sabotageakt hat zu einer Ölpest auf Italiens großem Fluss Po geführt. Die Umweltschutzorganisation WWF rechnet mit verheerenden Auswirkungen.

Es müssen mindestens drei Täter gewesen sein, und sie müssen sich ausgekannt haben. Nur so, sagen Ermittler, war es möglich, dass am Dienstagmorgen gegen 4 Uhr auf dem Gelände einer früheren Raffinerie die Ventile von drei großen Lagertanks aufgingen und sich acht- bis zehntausend Kubikmeter Heizöl und Diesel in die Kanalisation ergossen.

Draußen fiel das erst bei Tagesanbruch auf, dreieinhalb Stunden später, und dann dauerte es noch einmal eine Weile, bis die widerstrebenden Angestellten der Raffinerie professionelle Helfer und Polizei aufs Gelände ließen.

Zu diesem Zeitpunkt war’s um den Fluss Lambro schon geschehen. Er fließt am östlichen Stadtrand von Mailand vorbei, durchquert Monza, also eines der am dichtesten besiedelten und industrialisierten Gebiete Italiens. Nach weiteren 45 Kilometern mündet der Lambro in Italiens großen Strom, den Po – und mit diesem bewegt sich ein kilometerlanger, bis zu 15 Zentimeter dicker Ölfilm derzeit in Richtung Adria.

Mit schwimmenden Barrieren konnten die Katastrophenschützer aufgrund der schieren Menge des Öls bisher wenig ausrichten; immerhin gelang es, ein Flusskraftwerk abzuschalten und einen Teil der stinkenden Brühe hinter den Stauwänden zurückzuhalten.

Doch selbst, wenn es gelingen sollte, das Öl noch vor dem ökologisch ebenso wertvollen wie hochsensiblen Po-Delta abzufangen, wäre der Schaden damit noch lange nicht behoben: Die klebrige Masse hat als Erstes das Zentralklärwerk von Monza lahmgelegt; es fällt für mindestens drei Wochen aus – so lange gelangen die Abwässer von 800 000 Menschen und einer Menge Industrie ungereinigt in den Po.

Der kleine Lambro, der nach einer langen Zeit als einer der dreckigsten Flüsse Italiens zuletzt auf merklichem Weg der Besserung war, gilt jetzt auf Jahre hinaus als tot.

Was hinter diesem Akt des Umweltfrevels steckt, ist noch offen. Lokalzeitungen weisen darauf hin, dass auf dem Gelände der nur noch als Lager genutzten Raffinerie derzeit eine „Öko-Stadt“ gebaut wird; sie soll etwa 170 000 Quadratmeter an Industrie-, Wohn- und Verwaltungsgebäuden umfassen.

Gerade dem geplanten Verwaltungszentrum aber standen die drei nun kriminell geleerten Tanks im Wege. Lokalpolitiker erwägen aus diesen Überlegungen heraus bereits ein komplettes Bauverbot für das fragliche Gelände, um den möglichen Urhebern der Katastrophe wenigstens die erwarteten Profite zu entziehen.

Andere sehen hinter der „Sabotage“ einen Racheakt früherer Raffinerie-Arbeiter, die bis auf fünf Ausnahmen entlassen oder auf „Kurzarbeit null“ gesetzt sind. Sogar eine Verwicklung der ’Ndrangheta gilt als denkbar: die kalabrische Mafia engagiert sich derzeit stark in der lukrativen Mailänder Bauwirtschaft. Die Betreiber der früheren Raffinerie hatten im vergangenen Jahr eine Lockerung der Sicherheitsbestimmungen verlangt – für „Risikofirmen“ in der Nähe der 1976 explodierten Dioxin-Firma von Seveso gelten besondere Normen –, und den Antrag damit begründet, dass sie „nur mehr 2500 Kubikmeter Ölprodukte“ in ihren Tanks hätten. Nach den Schätzungen von heute waren diese Erklärungen falsch.

Die Schäden in der Tierwelt halten sich derzeit offenbar noch in Grenzen. Das kann sich aber sehr schnell ändern. Die Landwirtschaft befürchtet, sie könnte auf Dauer beeinträchtigt sein. Aus dem Po wird – mit jährlich 16,5 Milliarden Kubikmetern – ein Gelände bewässert, das mehr als ein Drittel aller italienischen Agrarprodukte herstellt, darunter den sehr durstigen Reis. Da es in diesen Wochen sehr stark geregnet hat, bestehe im Augenblick keine Gefahr für die Produktion, sagen die Bauernverbände. Aber noch habe man die Bewässerungskanäle nicht auf Vergiftungen kontrolliert, und die Produktion fange auch gerade erst an.

In manchen Gegenden haben die Behörden die Bevölkerung aufgefordert, kein Leitungswasser zu trinken.

Die Ölmassen, die nicht vorher mit schwimmenden Barrieren abgefangen werden können, drohen an diesem Sonntag die Adria zu erreichen. Der italienische Zivilschutzchef Guido Bertolaso geht jedoch davon aus, dies mit seinen Helfern noch verhindern zu können. „Ich denke, das schaffen wir“, zeigte er sich zuversichtlich, dass Öl bis Ferrara, westlich des Deltas, stoppen zu können. „Die Lage hat sich sehr verbessert.“ Es fließe inzwischen kaum noch Öl aus dem schwer betroffenen Fluss Lambro in den Po. Sollten trotzdem größere Mengen der schwarzen und klebrigen Masse das Delta und dann die Adria erreichen, träfe das mehr die dort in dieser Jahreszeit versammelte Vogelwelt als Touristen. Denn zum Baden in der Nähe der beiden pittoresken Lagunen Valli di Comacchio und Valle Bertuzzi des „Parco del Delta del Po“ ist es zu früh im Jahr, und die bei Vogelfreunden beliebte Birdwatching Fair steigt immer erst spät im April. Und auf der Strecke, die das Öl bisher vom Lambro kommend in östlicher Richtung auf Ferrara zu geflossen ist, sind vor allem Landwirtschaft und Fischerei von der schwarzen Flut betroffen.

Sprecher der Landwirtschaft wiesen darauf hin, dass im Einzugsgebiet des Po, 16 Millionen Menschen leben und 40 Prozent des italienischen Inlandprodukts erzeugt würden.

Die Umweltschutzorganisation WWF rechnet mit verheerenden Auswirkungen auf das gesamte Po-Ökosystem und den nahegelegenen Naturpark Parco della Valle del Lambro. Nach Informationen des WWF-Projektbüros in Vanzago seien bereits zahlreiche verschmutzte Wildenten und Graureiher gesichtet worden. Einige Wasservogelarten hätten außerdem gerade mit dem Nestbau und der Brutphase begonnen. Neben dem Fluss könnten auch die Auen in Gefahr geraten, etwa wenn es wegen einsetzenden Tauwetters und Schneeschmelze zu Hochwasser und Überflutungen käme. Dann würde mit dem Wasser auch das gefährliche Öl in die Auen gelangen. mit dpa

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