zum Hauptinhalt
Und die Erde bebt weiter: Blick in einen Straßenzug in Concordia sulla Secchia in der Provinz Modena. Foto: Lorenzo Moscia/dapd

© dapd

Panorama: Italiens Stolz in Trümmern

Nach den Erdbeben im Norden sind 20 000 ohne Job und fürchten um die Existenz ihrer Firmen. Der modernste Teil des Landes ist auch sein verletzlichster.

„Wir öffnen morgen wieder. Wenn’s die Erdbeben erlauben.“ So steht es an einer Textilfirma in Carpi. Seit Tagen schon. Im norditalienischen Erdbebengebiet zwischen Modena und Ferrara wackelt der Boden unaufhörlich weiter, die Schuttberge wachsen, und bei den Menschen – mehr als 15 000 sind inzwischen obdachlos – mischen sich Sarkasmus und Verzweiflung in den Drang zum Neubeginn. Die Stimmung ist deutlich gedrückter als in der Woche zuvor. „Das zweite Beben, vom Dienstag dieser Woche, hat unseren Optimismus untergraben“, sagt Giuliano Pini, Chef einer großen Fliesenfabrik.

Die nun doppelt erschütterte Tiefebene nördlich von Bologna war gleichermaßen eine Kernregion der italienischen Landwirtschaft wie der Industrie. Hoch profitabel beides, mit Zuwachs auch in der Krise. Heute meldet die Region einen Schaden von mindestens drei Milliarden Euro. Noch schlimmer: Es geht Angst um. Sie hat denselben Grund wie bisher der Erfolg: Modernität.

Die 8000 Betriebe der Metall-, der Keramik- und der Textilindustrie im Erdbebengebiet waren mit bis zu 90 Prozent Exportanteil weit stärker in globale Wirtschaftsstrukturen eingebunden als der Rest des Landes. Das hat sie vor der italienischen Krise bewahrt, sie aber gleichzeitig den rauen Winden des internationalen Wettbewerbs ausgesetzt. Nun fürchten viele Firmenchefs zum Beispiel im Hightech-Maschinenbau, sie könnten aus diesem Spiel hinausfliegen. Gleiches gilt für die Textil- und die Modebranche, die es bis heute geschafft haben, der fernöstlichen Konkurrenz standzuhalten. „Wenn wir mit unseren Lieferungen jetzt für Wochen oder Monate ausfallen, dann kaufen unsere Kunden kurzerhand woanders ein“, sagt ein Manager.

Ihr industrielles Herzstück, auf das alle in der Region stolz sind, ist der Distrikt für Medizintechnik beim Städtchen Mirandola, mit 100 Firmen und 1,2 Milliarden Euro Jahresumsatz der stärkste seiner Art in Europa, entstanden im Lauf der vergangenen 15 Jahre. Jetzt verzeichnet – neben der Landwirtschaft – genau diese Branche die höchsten Schäden; Betriebsgebäude sind eingestürzt, so gut wie keine Produktionsstätte ist benutzbar.

5000 Beschäftigte allein dieser Branche stehen auf der Straße. Sie fürchten nun dauerhaft um ihre Jobs. Denn viele der Firmen, die vom Infusionsschlauch über Dialysegeräte bis zum künstlichen Herzen alles herstellten, was Kliniken und Chirurgen brauchen, gehören internationalen Multis oder Finanzfonds. Und die, so argwöhnen Beschäftigte und Filialleiter, „haben andere Interessen, als uns zu helfen. Sie ziehen die Produktion dann eben an einen anderen Standort ab.“

Gleichzeitig gibt es den Verdacht, die Naturkatastrophe könnte durch Menschenhand verschlimmert worden sein: 24 Menschen starben bei den Beben, immerhin 13 von ihnen sind in der Provinz Modena in einstürzenden Fabrikhallen zu Tode gekommen. Der Generalstaatsanwalt von Modena, Vito Zincani, hat Ermittlungen wegen Pfuschs am Bau eingeleitet. Stöße zwischen vier und sechs auf der Richterskala, sagt Zincani, hätten die Hallen eigentlich nicht zerstören dürfen.

Insgesamt können an die 20 000 Beschäftigte in der Katastrophenzone derzeit nicht arbeiten; ganze Industriegebiete sind aus Sicherheitsgründen zur „roten Zone“ erklärt. Selbst Firmen, deren Produktionshallen sicher und deren Maschinen einsetzbar wären, stehen still, weil sie – wie in einer eng zusammenarbeitenden Gegend üblich – in Netze eingebunden sind, die das Erdbeben an einer anderen Stelle zerrissen hat. Es gibt zwei Zahlen, die viel aussagen über die Metall- und Hightech-Branche in der Provinz Modena: In den 4900 Firmen arbeiten 46 000 Personen, im Durchschnitt also knapp zehn pro Betrieb.

„Schnelle Hilfe“ verspricht die Politik. Die Regierung von Mario Monti hat noch einmal zwei Cent pro Liter auf die ohnehin exorbitanten italienischen Benzinpreise draufgeschlagen, um 2,5 Milliarden Euro Soforthilfe bereitstellen zu können. Steuern, die landesweit im Juni fällig wären, werden im Bebengebiet zunächst einmal auf September verschoben. Die große römische Militärparade zum Nationalfeiertag an diesem Samstag, die immer ein wenig alt-sowjetisch aussieht, sollte diesmal „nüchtern“ verlaufen.

Zuerst aber geht’s ans Aufräumen. Auf den Schutthalden der Firmengebäude ebenso wie innerhalb der intakten Strukturen: An die 900 000 durcheinandergestürzte Käselaibe – Parmesan und Grana Padano – müssen daraufhin untersucht werden, ob sie in Teilen womöglich noch verkaufbar sind. Und neben den gewöhnlichen „Schakalen“ – das italienische Wort für Plünderer –, die die Gelegenheit für Raubzüge in Häusern und Supermärkten nutzen, hoffen einige im Käsegeschäft bereits auf richtig große Krisengewinne: Der Landwirtschaftsverband fürchtet Ramschaufkäufe der weltberühmten Käsesorten. Auf 200 Millionen Euro soll sich der Schaden der Käsehersteller schon jetzt belaufen, nun versuchten Zwischenhändler, die Vorräte an Grana und Parmiggiano Reggiano zu Schleuderpreisen aufzukaufen.

In einer Keramikfabrik sind 300 000 Quadratmeter versandfähiger Fliesen aus den Regalen gefallen und sollen jetzt einzeln auf Weiterverwendbarkeit geprüft werden. Im selben Betrieb steht eine noch größere Aufgabe an: Das Beben hat den 120 Meter langen Brennofen verschoben. Der erste Stoß um 25, der zweite um fünf Zentimeter. „Bis wir allein die Öfen wieder anheizen können“, klagt ein Techniker, „werden Monate vergehen.“

„Schakale“ sehen unterdessen nicht nur die Parmesan-Erzeuger gegen sich am Werk, sondern auch die örtliche Tourismusindustrie. Angeblich versuchen andere Urlaubsgegenden bereits, den Strom ausländischer Gäste wegzulocken, die Angst vor weiteren Beben und unbefahrbaren Straßen haben. Maurizio Melucci, Tourismusminister der Region, bastelt mit der italienischen Tourismusbehörde und den Küstenstädten gerade an einer Aufklärungskampagne, um den Auftakt der Hauptsaison zu retten: In den Gegenden am Meer, versichert Melucci, „funktioniert alles mehr als gut“.

Norditaliens Rechtspopulisten von der Lega Nord dagegen, selbst gerade von den Schockwellen des Korruptionsskandals um ihren Gründer Bossi gebeutelt, vergessen auch angesichts der Katastrophe nicht, was sie einst groß gemacht hat: Die Hetze gegen die „extracomunitari“, nichteuropäische Ausländer, viele ohne Papiere, deren billige Arbeitskraft in Kleinbetrieben des Nordens gleichwohl dringend benötigt wird. In einem Brief an die Polizeibehörden des Erdbebengebiets fordert Fabio Rainieri, der frisch gewählte Regionalchef der Lega und Abgeordneter für Parma im Parlament in Rom, die Behelfsunterkünfte nach „extracomunitari“ abzusuchen. Man müsse „sicherstellen, dass die dort Anwesenden ausschließlich solche sind, die in der Gegend arbeiten und schon vor dem Erdbeben in den betroffenen Orten lebten“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false