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Panorama: Jagdszenen

Tony Blair lässt aus Kalkül die Fuchsjagd verbieten – und provoziert schwere Krawalle

„Täuscht euch nicht“, warnten die Demonstranten. Brian Hill rief vor dem Parlament: „Dies ist nicht das Ende, dies ist erst der Anfang! Die Jagd ist ein Stück britischer Kultur, das werden wir nicht sterben lassen.“ Begleitet von heftigen Protesten hat das britische Unterhaus am Mittwochabend ein endgültiges Verbot der traditionellen Fuchsjagd beschlossen. Die Entscheidung fiel mit einer deutlichen Mehrheit von 356 zu 166 Stimmen. Befürworter der Fuchsjagd hatten sich zuvor vor dem britischen Parlament in London blutige Scharmützel mit der Polizei geliefert. Einige Demonstranten wurden Blut überströmt weggetragen. Fünf Störer sind während der Fuchsjagd-Debatte in den Sitzungssaal des britischen Unterhauses eingedrungen und haben dort Abgeordnete bedroht. Der beispiellose Vorfall ereignete sich nur zwei Tage, nachdem es einem als Batman verkleideten Demonstranten gelungen war, auf den Buckingham-Palast zu klettern.

Die schreienden und wild gestikulierenden Eindringlinge wurden im Parlament schnell überwältigt. Die Debatte musste für eine halbe Stunde unterbrochen werden. Abgeordnete sagten, so etwas habe es in der langen britischen Parlamentsgeschichte noch nie gegeben.

Laut Polizei demonstrierten 10000 Menschen, nach Darstellung der Veranstalter waren es 20000. Ein Teil der Demonstranten bewarf die Polizei mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Stöcken, die Polizei prügelte mit Gummiknüppeln auf die vorstürmende Menge ein.

Die Vorgänge zeigen, wie ernst es vielen Briten ist. Das Verbot der Fuchsjagd widerspricht dem grundlegenden britischen Toleranzdenken, nach dem der Staat Minderheiten nicht in ihre Lebensführung eingreift, auch wenn diese von einem Großteil der Gesellschaft für anachronistisch gehalten wird.

Das erste Gesetz gegen das „Jagen mit Hunden“ wurde 1949 von Jagdgegnern der Labour-Partei eingebracht – ohne Erfolg. Seither müssen, wann immer über die britische Klassengesellschaft diskutiert wird, die rotbefrackten Jäger, die „Toffs“ oder „feinen Pinsel auf Pferden“ als Paradebeispiel herhalten. Als Tony Blair Parteivorsitzender wurde, versprach er den über seine konservativen Reformen entsetzten Freunden als Trostpflaster das Jagdverbot. Sieben Jahre später musste es nun schnell über die Bühne gebracht werden. Denn übernächste Woche beginnt der Parteitag in Brighton und die Mitglieder sind wieder einmal schlecht auf Blair zu sprechen.

Jahrelang ist das Verbot nicht gelungen. Alle Versuche, nach alter britischer Art einen fairen Kompromiss zu finden, scheiterten. Das Jagen per Lizenz wurde von den Abgeordneten ebenso abgelehnt wie der Plan, mit regionalen Volksabstimmungen zu entscheiden. Eine Expertenkommission unter Lord Burns untersuchte die Leiden eines Fuchses („vertretbar im Vergleich zu Verletzungen durch Fallenstellen oder Schusswunden“) und die wirtschaftlichen Folgen des Verbots („Verlust von 8000 Arbeitsplätzen“).

Die „Country Alliance“ brachte 2002 die bis dahin größte Demonstration der britischen Geschichte auf die Beine – und wetterte gegen die moralische Überheblichkeit der Städter. Überboten wurde ihr Rekord nur durch die Irakdemo im vergangenen Jahr. „Hunt-Saboteure“ und Jagdgesellschaften lieferten sich Prügeleien. Unterhaus und Oberhaus gerieten in ein verfassungsrechtlich bedenkliches Patt, weil das Oberhaus das Totalverbot des Unterhauses zweimal ablehnte. Wie es nun weitergeht, ist unklar. „Haben wir Pläne für zivilen Ungehorsam? Worauf warten wir eigentlich?“, fragten Jagdlobbyisten den Chef der Country Alliance, Simon Hart, während ihrer Proteste. Blair will, dass das Verbot erst nach der nächsten Unterhauswahl in Kraft tritt – damit sich die Aufregung legt und spektakuläre Zusammenstöße zwischen Jagdgegnern und Polizisten vermieden werden. Als nackte Jagd-Fans bei Cherie Blairs 50. Geburtstag Partygästen die Zufahrt zu seinem Landsitz versperrten, bekam er einen Vorgeschmack. Landbesitzer wollen der Armee nun die Benutzung ihres Grunds für Manöver verbieten. Andere wollen die Regierung mit Entschädigungsansprüchen überziehen. Besonders gewitzt ist Vic Gardner, Herausgeber der „Country Weekly“. Er hat die „Freie Country-Kirche“ gegründet und die Fuchsjagd zur Religion erklärt – „Muslime und Juden haben ja auch ihre Ausnahmegenehmigungen für das rituelle Schlachten von Tieren“. Nach der Abstimmung im Unterhaus werden die Lords noch einmal debattieren. Dann will Blair den Beschluss mit dem seit 1949 erst dreimal angewandten „Parliament Act“ erzwingen, mit dem Einwände des Oberhauses überstimmt werden können. Die Jagdlobby will dagegen vor Gericht ziehen – und könnte eine Verfassungskrise auslösen.

Matthias Thibaut

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