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Panorama: Jugend 2001: Zu schlank macht krank

Werner Köpp ist Oberarzt am Klinikum Benjamin Franklin und Leiter der Ess-Störungs-Ambulanz, in die 80 bis 100 Betroffene jährlich kommen. Herr Köpp, schlank zu sein ist nach wie vor in.

Werner Köpp ist Oberarzt am Klinikum Benjamin Franklin und Leiter der Ess-Störungs-Ambulanz, in die 80 bis 100 Betroffene jährlich kommen.

Herr Köpp, schlank zu sein ist nach wie vor in. Wie wirkt sich das aus Ihrer Erfahrung auf das Ess-Verhalten aus?

Oft in Form von Ess-Störungen. An Magersucht zum Beispiel leiden etwa ein Prozent der Frauen zwischen 15 und 35 Jahren ...

die dann zu Ihnen kommen?

Obwohl 95 Prozent der Essgestörten Frauen sind, kommen manchmal auch junge Männer zu uns. Es sind aber in der Mehrzahl Frauen und Mädchen mit Ess-Störungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht und Ess-Sucht, die von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zu uns überwiesen wurden. Wir führen hier die medizinische und therapeutische Diagnostik durch, untersuchen die Betroffenen und machen Behandlungsvorschläge. Im Durchschnitt kommen pro Jahr 80 bis 100 Betroffene zu uns.

Wann spricht man von Magersucht?

Eine Magersucht oder Anorexie nervosa liegt vor, wenn die oder der Betroffene circa 15 Prozent Untergewicht hat, das selber herbeigeführt wurde. Außerdem denken die Betroffenen, immer noch zu dick zu sein und fühlen sich in ihrem Körper nicht zuhause. Das nennen wir "Körperbildstörung". Die Angst vor der Gewichtszunahme ist so groß, dass sie mit Fasten, Abführmitteln oder exzessivem Sport verhindert wird. Bei den Mädchen bleibt die Menstruation aus. Die Betroffenen entwickeln eine schleichende Abneigung gegen Essen. Sie glauben, dass Nahrung schädlich ist und versuchen, möglichst wenig zu essen. Die typische Magersüchtige fühlt sich nicht krank. Sie verleugnet häufig ihre Magersucht und ist deshalb nur schwer für den therapeutischen Prozess zu gewinnen. Meist sind es Eltern oder Freunde, die die Betroffenen dazu bringen.

Was sind die Ursachen von Magersucht?

Die Pubertät ist eine schwierige Zeit, in der sich vieles für die Jugendlichen verändert. Magersüchtige wenden sich asketisch gegen alles Triebhafte. Deshalb haben sie Angst vor Regungen wie Hunger oder Sexualität. Häufig ist auch die Ablösung von der Familie schwierig, und gleichzeitig besteht eine Angst vor dem Erwachsenwerden. Meist führt ein ganzes Bündel an Ursachen dazu, magersüchtig zu werden.

Fühlen sich Magersüchtige durch das ständige Hungern nicht geschwächt?

Magersüchtige Mädchen sind starke Persönlichkeiten mit viel Power. Die typische Magersüchtige ist ehrgeizig, überdurchschnittlich intelligent und eher "kopfig". Das Hungern gibt ihr ein Gefühl der Stärke: "Ich bin unabhängig. Ich muss nicht essen wie die anderen." Das Eingeständnis ihrer Krankheit fällt den Mädchen schwer, denn es macht den Erfolg und die Anerkennung ihres Schlankseins in ihren Augen zunichte. Das werten sie als Schwäche.

Viele Models, Stars und sogar Sportlerinnen sind magersüchtig. Fällt es da nicht schwer, Magersucht als Krankheit anzusehen?

Von allen psychosomatischen und psychiatrischen Krankheiten hat die Magersucht die höchste Mortalitätsrate. 15 Prozent der Betroffenen sterben trotz Therapie an den Folgen der Magersucht. Frühe medizinische Folgen sind zum Beispiel Osteoporose, Muskelschwund, niedriger Blutdruck und Herzrhythmusstörungen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten sind Ihrer Meinung nach erfolgreich?

Jede psychosomatische Behandlung hat das Ziel, den Betroffenen zu helfen, andere beziehungsweise triebfreundlichere Möglichkeiten für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu finden als das Hungern. Ess-Störungen zu bewältigen, ist immer ein langer, oft sogar lebenslanger Prozess. Die Gefahr, dass Magersucht chronisch wird, ist groß. Wer sich frühzeitig in Behandlung begibt, hat bessere Heilungschancen. Zuerst müssen die Betroffenen körperlich stabilisiert werden, um das Therapieangebot wahrnehmen zu können. Wir setzen heute auf eine mehrdimensionale Behandlung mit verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologischen Einzelgesprächen, Gruppen-, Mal- und Körperpsychotherapie, zum Beispiel Tanztherapie.

Wie können denn Eltern, Lehrer oder Freunde helfen?

Die Hilfe hat Grenzen, das muss man ganz klar sagen. Eltern fühlen sich oft verantwortlich und haben Schuldgefühle. Professionelle Beratungsstellen, wie zum Beispiel "Dick und Dünn" bieten Angehörigensprechstunden an. Das ist sehr wichtig und hilfreich. Drängen und gute Ratschläge lassen zwar das familiäre Konfliktfeld deutlich werden, führen aber praktisch nie zur Lösung des Problems. Freunde und Lehrer können den Betroffenen ihre Wahrnehmung mitteilen und ein vertrauliches Gespräch anbieten.

Herr Köpp[schlank zu sein ist nach wie vor i]

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