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Panorama: Justiz zögerte – Sextäter kommt frei

Die Untersuchungshaft dauert viel zu lang, sagt das Bundesverfassungsgericht

Karlsruhe/Bamberg - Ein mutmaßlicher Sexualstraftäter aus Bayern, der außergewöhnlich lange in Untersuchungshaft saß, darf auf seine Entlassung hoffen. Seine Beschwerde wegen zu langer U-Haft war vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich. In einem am Freitag in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss entschieden die höchsten deutschen Richter, dass der Mann durch das lange Verfahren in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt ist. Sie wiesen die Sache an das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg zurück. Der Mann ist mit einer halbjährigen Unterbrechung seit Juni 2006 in Haft, weil er zwei Jahre zuvor seine damals neunjährige Tochter und deren achtjährige Freundin missbraucht haben soll.

Er war im September 2007 vom Amtsgericht Würzburg zu einer Strafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Hauptverhandlung hatte erst zwei Monate zuvor begonnen. Gegen das Urteil legten sowohl der Mann als auch die Staatsanwaltschaft Berufung zum Landgericht Würzburg ein, über die im Juni verhandelt werden soll.

Der Mann, der ein weiteres Gutachten zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der missbrauchten Freundin verlangt hatte, war zwischenzeitlich auf freiem Fuß. Ein Zeuge, der Anzeige erstattet hatte, wurde von ihm bedroht. Das OLG hatte auch deshalb den Haftprüfungsantrag des Mannes zurückgewiesen.

Seine Beschwerde dagegen hatte jedoch Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vermisste die gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch. Eine mehr als einjährige Untersuchungshaft sei nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen. Zwar sei durch das noch nicht rechtskräftige Urteil schon ein Schuldnachweis gelungen. Dies rechtfertige es aber grundsätzlich nicht, einen Verurteilten bis zur vollen Verbüßung seiner Strafe in Untersuchungshaft zu halten. Wenn eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung der U-Haft zum großen Teil oder ganz verbüßt werde, könnten Maßnahmen zur Resozialisierung nicht oder nicht mehr richtig wirken. Das OLG müsse daher in seine Abwägung den noch konkret erwarteten Strafrest einbeziehen. (AZ: 2 BvR 806/08 – Beschluss vom 11. Juni 2008) dpa

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