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Die belastende Aussage der Frau reicht nicht. Jörg Kachelmann und sein hochfahrender Verteidiger Johann Schwenn.

© dapd

Kachelmann-Prozess: Gleichstand zur Halbzeit

Der Kachelmann-Prozess ist das Justizereignis des Jahres, sein Ausgang ist offen. Fest steht: Richter, die freisprechen, haben es leichter.

Johann Schwenn bleibt dabei, er sieht zwar „Pluspunkte“ für seinen Mandanten, aber „keinen Anlass, irgendwelche Prognosen zu wagen, dass es hier zu einem Freispruch kommen muss“. Das sagte er zumindest den Journalisten nach dem letzten Verhandlungstag, bevor der Vergewaltigungsprozess gegen Jörg Kachelmann bis zum 19. Januar unterbrochen wurde.

Was aber sagt der Verteidiger seinem Mandanten? Immerhin müsste der frühere Wettermoderator, sollte er im Sinne der Anklage schuldig gesprochen werden, für mindestens fünf Jahre in Haft, wahrscheinlicher sind sechs bis sieben. Es wäre ein Gewaltdelikt, bei dem die Rechtsordnung kein Pardon kennt. Wäre sich der Angeklagte seiner sicher und würde fest mit einem Freispruch rechnen, hätte er nicht seinen Anwalt Reinhard Birkenstock vor die Tür gesetzt und den für seine hochfahrenden Auftritte bekannten Hamburger Verteidiger Johann Schwenn engagiert. Der wird ihm vermutlich sagen: „Stellen Sie sich darauf ein, in den Knast zu müssen. Und ich hole Sie dann wieder raus.“ Denn so war seine Strategie der letzten Tage, er redete viel von Revision und Bundesgerichtshof und wenig davon, wie klar die Unschuld seines Mandanten schon vor dem Mannheimer Landgericht zutage trete.

Eine Halbzeitbilanz, so man das hier nennen darf, fällt gemischt aus, im Sport würde man sagen: Gleichstand. Nach Aktenlage hielt das Gericht eine Verurteilung für wahrscheinlich, sonst hätte es das Verfahren nicht eröffnen dürfen. Doch so weit ist es auch „common sense“ unter Staatsanwälten und Richtern, bei Konstellationen „Aussage gegen Aussage“ in Vergewaltigungsdelikten sucht man nach der Wahrheit in der Hauptverhandlung. Gleichwohl hatten Gericht und Staatsanwälte in verschiedenen Beschlüssen und Mitteilungen durchklingen lassen, worauf sie ihre Vermutungen neben DNA-Spuren an der vermeintlichen Tatwaffe, einem Tomatenmesser, und den Aussagen des Opfers noch maßgeblich stützen: auf die „Persönlichkeit“ des profilierten Fernsehmannes.

Das Gericht gibt sich sehr viel Mühe, diese Persönlichkeit zu erforschen; weil Kachelmann sich gutachterlicher Exploration verweigert, sitzt ein Sachverständiger im Saal und versucht, die Gerichtsakten, die Regungen des Angeklagten und die Aussagen der Partner-Zeuginnen nach dem Stand seiner Wissenschaft zu lesen. Dass dabei nicht viel herauskommen wird, außer, dass der prominente Angeklagte multilaterale Frauenbeziehungen unterhielt, in ihnen zuweilen Gewalt- und Unterwerfungsfantasien auslebte und in seinen E-Mails zu gedrechselten, mitunter zynischen Wortwitzeleien neigt, darf vermutet werden.

Umso wichtiger sind die Frauen für das Gericht, die stetig in den Gerichtssaal kommen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit von ihrem Sexualleben mit diesem Mann Zeugnis ablegen sollen. Immer mehr davon tauchen auf, und der anschwellende Aussagenstrom ist mit ein Grund dafür, weshalb das Gericht den Prozess bis in den März terminiert hat. Ursprünglich sollte vor Weihnachten Schluss sein. Aber an den Geschichten, die die Frauen erzählen, scheinen die Richter besonders interessiert.

Ob und wie sich daraus Belastungsmomente ergeben, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Zum Kerngeschehen der vermeintlichen Tatnacht beitragen können die Damen nichts, aber wenn Verteidiger Schwenn daraus den Schluss zieht, ihre Einvernahme sei deshalb überflüssig, so geht auch das fehl. Die Strafkammer muss den Vorgang von Amts wegen aufklären, und da kann es sogar sein, dass demnächst eine Reise der Richter in die Schweiz ansteht. Eine dort ansässige Fotografin hatte ihre angeblich leidvollen Intimerfahrungen mit Kachelmann dem „Focus“ anvertraut, will aber nun in Mannheim keine Aussage machen. Selbst Schwenn, der einem entsprechenden Rechtshilfeersuchen entgegengetreten war, hält die Auslandsvernehmung nach seinen Worten, als er darauf verzichtete, einen neuen Befangenheitsantrag zu stellen, für „wahrscheinlich“.

Gleichwohl: Ein Schuldspruch wegen der „Persönlichkeit“ trägt nicht und es wird ihn auch nicht geben. Aber die Kammer hat, sollte sie verurteilen wollen, das Problem einer Hauptzeugin, die in Teilen ihrer Aussage erwiesenermaßen gelogen hat. Ein Urteil darf dann nicht mehr nur auf die belastende Aussage gestützt werden, man muss nach mehr suchen.

Dass die objektiven Spuren wirklich Aufschluss geben, wird nach Aussagen von Gutachtern in den Dezember-Prozesstagen unwahrscheinlicher. Der Münsteraner Rechtsmediziner Bernd Brinkmann trug vor, die Blutergüsse an den Oberschenkeln des angeblichen Opfers sähen so aus, als stammten sie von Faustschlägen – und nicht etwa, wie es die Nebenklägerin geschildert hatte, von den Knien des Angeklagten. Allerdings trat Brinkmann nur als Zeuge auf, als Gutachter hatten die Richter ihn für befangen erklärt. Auch die DNA-Spuren am Messer ließen sich nach den Worten eines Experten nicht klar zuordnen. Kachelmann könnte das Messer in der Hand gehalten haben – oder seine Geliebte hatte erst ihn angefasst, dann das Messer. Zudem waren die Anhaftungen minimal.

Verteidiger Schwenn hat sich in den letzten Prozesstagen bemüht, einen Nebenschauplatz ins Zentrum des Geschehens zu rücken und Front gegen den Burda-Verlag gemacht, dessen Blätter „Bunte“ und „Focus“ frühere Kachelmann-Geliebte umfänglich zu Wort kommen ließen. Richter Michael Seidling ließ durchblicken, dass er Schwenns Verschwörungstheorie für eine ebensolche hielt, machte aber auch deutlich, dass die Frauen der gerichtlichen Wahrheitsfindung damit keinen Gefallen taten. Für eine Durchsuchung der Redaktionsräume freilich reichten die Mutmaßungen Schwenns nicht aus. Der will das alles nun bei der Vernehmung der Schweizer Zeugin thematisieren, dann habe „die Kammer Gelegenheit, ihren Standpunkt zur Rolle der Verlagsgruppe Burda in diesem Verfahren zu überprüfen“. Und dabei könne auch Bedeutung erlangen, dass die beiden Staatsanwälte im Verfahren, Lars-Torben Oltrogge und Oskar Gattner, „persönliche Kontakte mit Medienvertretern eingeräumt haben“.

In den Aussagen vieler Beobachter und Medien war herauszuhören, Kachelmann sei so gut wie verurteilt, er könne nur auf die Revision hoffen. Dann, in den letzten Tagen, war wieder von „Hoffnungsschimmer“ und „Lichtblick“ die Rede, nach Aussagen, die für die Unschuld des Angeklagten sprächen. Wie das Urteil voraussichtlich im März lautet, wissen noch nicht einmal die Richter, jedenfalls dann nicht, wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen. Allerdings ist jetzt schon sicher, das außergewöhnliche Justizereignis Kachelmann wird einer der besser untersuchten Vergewaltigungsfälle sein. Und sicher ist auch, dass ein freisprechendes Urteil in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ grundsätzlich leichter zu begründen ist als eines, das einen Angeklagten hinter Gitter schickt. Eine Frage der Denklogik: Man hat ungleich einfacher Zweifel, als dass man sie ausräumen könnte – und Schuld muss vor Gericht zweifelsfrei erwiesen sein. Die Akribie der Richter sollte also bei Kachelmann durchaus Grund für Unbehagen sein. Denn auch wenn sie freisprechen: Sie würden ihm dann wohl jedes einzelne Indiz vorhalten, dass er doch auch der Täter gewesen sein könnte.

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