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Panorama: Kampf dem Kampftrinken

England will die Öffnungszeiten für Pubs erweitern – und so gegen britische Trinkgewohnheiten angehen

"Cldnt gve a XXX 4 lst orders" textete Labour im Wahlkampf 2001 der britischen Jugend auf die Handys. Was so viel heissen sollte, wie „von Pub Schließungszeiten halten wir nichts“. XXX steht für „damn“ und erinnert an die Biermarke „Triple XXX“. Es sollte eines von Labours schönsten Wahlversprechen sein: Abschaffung von „closing time“ und „last orders“, der alten Sitte, nach der um Viertel vor Elf im Pub die Glocke klingelt und zum letzten Drink auffordert. Dann beginnen die Minuten plötzlich mit merkwürdiger Eile zu rasen und der Brite muss schnell noch ein Pint hinunterschütteen; oder auch zwei. Labour hat Wort gehalten, das Gesetz ist verabschiedet, die Königin hat unterschrieben. Ab 7. Februar dürfen Großbritanniens Kneipenwirte Lizenzen für neue Öffnungszeiten im 24-Stunden-Takt beantragen. Ab November soll dann mit zivilisierten Kneipenschließzeiten nach europäischem Vorbild Labours großes Projekt, die Modernisierung Großbritanniens, vorangetrieben werden.

Doch immer mehr halten das Gesetz für eine Torheit. Polizei, Ärzte und Gesundheitsverbände, die „Daily Mail“, die Opposition, selbst Labour-Hinterbänkler – alle wollen, dass es wieder in der Schublade verschwindet. Es passt nicht in die Landschaft, sagen sie. Denn die britische Tradition, Alkohol statt mäßig und regelmäßig im besinnungslosen Übermaß zu konsumieren, kostet schon jetzt pro Jahr mindestens 20 Milliarden Pfund an Sozialschäden. „Binge Drinking“, das Massentrinken bis zur Besinnungslosigkeit, ist zur Sozialkrankheit geworden. Die Hälfte aller Notaufnahmen in den Krankenhäusern werden von Alkoholmissbrauch verursacht. Labour rechnete nicht mit der Trinkfreude der Briten und nicht mit der zunehmend monopolisierten Pubindustrie. Wer einmal Freitag Abends in die Trinkerkampfzone einer britischen Stadt geraten ist, weiß auch ohne Statistik, dass Englands Teenager zu den härtesten Trinkergruppen Europas gehören.

Kulturministerin Tessa Jowell, federführend bei der Reform, hofft, dass die Liberalisierung der Schließzeiten nun eine feinsinnige „café society“ erblühen lässt. Doch in Irland führte die Abschaffung der Closing Time jüngst zu einem Drittel mehr an alkoholbedingter Gewalt. Zur Vorsicht will Jowell also die Gebühren für Publizenzen dramatisch erhöhen – damit sollen bis 40 Millionen Pfund Steuern in die Kasse fließen und die trunkenheitsbedingten Polizeikosten finanzieren helfen. Neue Maßnahmen sollen Wirte disziplinieren und zur Kasse bitten – bis zum Lizenzentzug für Alkoholverkauf an Minderjährige. Auf die Kernfrage, warum junge Briten ihr größtes Wochenendvergnügen in einem Dauerbesäufnis sehen, dass in einer anständigen Schlägerei endet, scheint aber niemand die Antwort zu wissen. Der „Daily Telegraph“ verglich die Briten mit den Italienern, bei denen ein zivilisierter Drink und ein Flirt mit einem Mädchen einen höheren Unterhaltungswert haben. „Vielleicht“, so das Blatt resigniert, „ist es einfach nur das feuchte Wetter“.

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