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Panorama: Kein Wässerchen trüben

Polen pocht auf eine traditionelle Rezeptur für Wodka – und legt sich mit anderen Abfüllern in Europa an

Ein hochprozentiger Duft durchzieht das blank gewienerte Kesselhaus. Zufrieden lässt Tadeusz Dorda seinen Blick über die kupferne Säule des mächtigen Destillationskolbens schweifen. Wodka sei „nicht einfach Wodka“, doziert der Chef des Spirituosenherstellers Polmos- Siedlce in seiner Brennerei im ostpolnischen Weiler Krzesk. Zwar lasse sich der glasklare Trunk „aus jedem Dreck“ brennen, doch wahrer Wodka werde traditionell nur aus Getreide oder Kartoffeln destilliert. In der EU sei Polens Nationalgetränk jedoch leider „falsch definiert“, bedauert der Unternehmer: „Wenn wir den Sektor nicht säubern, kann jeder Produzent seinen Alkohol Wodka nennen.“

Farb-, geruch- und meist geschmacklos ist das hochprozentige „Wässerchen“, das sich Polen und Russen schon im 14. Jahrhundert hinter die Binde zu kippen pflegten: Bis heute streiten sich die beiden Nachbarvölker in trauter Zecherzwietracht, wer die Welt als Erster mit dem Gaumenbrenner beglückte.

Doch seit der EU-Erweiterung von 2004 wogt in Europas Wohlstandsbündnis ein ganz neuer Wodkakrieg. Traditionelle Herstellerstaaten wie Polen, die baltischen und skandinavischen Länder drängen auf eine Neudefinition, aus welchen Rohstoffen der populäre Trunk gebrannt werden darf. Denn nach den bisherigen EU-Richtlinien kann Wodka aus jedem beliebigen Agrarprodukt gewonnen werden. Rum könne man sich schließlich auch nicht aus Kartoffeln zusammenpanschen, ärgert sich Dorda: „Wenn jedes Destillat Wodka genannt werden darf, dürfte es sehr schwierig werden zu erklären, was denn nun die spezifischen Eigenschaften von Cognac oder Whiskey sind.“

Doch Spirituosenkonzerne in West- und Südeuropa verscherbeln auch Trauben-, Zuckerrüben- und Zitrusfrüchteschnaps als Wodka – und haben an einem neuen Reinheitsgebot keinerlei Interesse. „Protektionismus“ werfen sie den „Traditionalisten“ im Osten und Norden des Kontinents vor: Die dortigen Hersteller wollten in erster Linie ihre eigenen Produkte vor der lästigen Konkurrenz schützen.

Eine „scheinheilige Doppelmoral“ machen wiederum Polens Wodkalobbyisten bei ihren Widersachern aus den alten EU-Staaten aus. Denn die hätten ihre eigenen Traditionsgetränke schon seit langem mit einem komplexen Regelwerk vor Nachahmern und Namensraubrittern geschützt. Mit dem EU-Beitritt traditioneller Herstellerländer sei es „höchste Zeit“, die Zusammensetzung von Wodka klar zu definieren, fordert Dorda. Natürlich ließen sich auch aus Trauben qualitativ hochwertige Spirituosen brennen: „Aber das ist einfach kein Wodka.“ Die Herstellung von Wodka sei traditionell ein Teil des Lebens der Region, weist er auf die hinter der Mühle liegenden Kartoffelfelder: „Alle Rohstoffe für unseren Wodka werden hier angebaut: Wir wissen genau, was wir produzieren.“

In Gramm statt in Litern wird der Wodka in seiner ursprünglichen Heimat gemessen, dennoch in stattlichen Mengen getrunken. Ob bei rauschenden Festgelagen, noblen Empfängen oder dem Stelldichein von Arbeits- oder Obdachlosen in tristen Bahnhofspassagen: Im Osten des Kontinents bleibt Wodka trotz des Vormarschs leichterer Alkoholika quer durch alle Bevölkerungsschichten das populärste Kultgetränk. Das Image des Wodkas müsse verbessert, er weniger getrunken, aber genossen werden, plädiert Dorda für die Aufpolierung des lange zweifelhaften Rufes: „Wodka ist ein Getränk mit Charakter – und Geschmack.“

Mit Nobelmarken wie „Chopin“ oder „Belvedere“ ist es Polens Herstellern zumindest auf den Exportmärkten geglückt, heimischen Wodka auch als Luxusgetränk zu lancieren. Kistenweise orderte kürzlich der englische Fußballstar David Beckham polnischen Edel-Wodka für seine Geburtstagsparty. In den USA toure er mit seinem Sortiment derzeit von Probe zu Probe, berichtet Dorda, während er das klare Nass in die Gläser seiner Gäste perlen lässt. Die Verbraucher hätten den Wodka „neu entdeckt“ – und würden ihn „bewusster trinken“, erklärt er die Tatsache, dass immer mehr Reisebusse mit neugierigen Wodkaliebhabern auf das Gelände seines schmucken Traditionsbetriebes rollen: „Früher sagten die Leute, Wodka ist Wodka. Heute wollen sie wissen, was sie trinken.“

Thomas Roser[Krzesk]

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