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Panorama: Kinder kriegen, super – aber in New York?

Junge Berufstätige in Manhattan und Brooklyn lieben die Herausforderung – die größte ist die Gründung einer bürgerlichen Familie

New York ist keine Stadt für Kinder, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Die Häuserschluchten Manhattans dominieren die Erwachsenen, die geschäftig ihrem Leben und ihrem Glück hinterherjagen. Die Schulen, die kaum auffallen zwischen den Büro- und Wohntürmen, sind hermetisch abgeriegelt, bewacht von Sicherheitsleuten und Metalldetektoren. Die Kinder werden in Bussen herangeschafft, von den Eltern abgesetzt oder kommen in schwarzen Limousinen mit Chauffeur. Im Central Park kann man im Sommer die hispanischen Kindermädchen tagsüber die Sprösslinge reicher Park AvenueBewohner durch die Gegend schieben sehen. Doch wer Kinder freilaufend auf der Straße und den Plätzen der Stadt erleben möchte, der muss jenseits der ausgetretenen Pfade suchen.

In Harlem zum Beispiel oder in den vier anderen Stadtteilen jenseits der so sehr aufs Business konzentrierten Insel Manhattan. Zum Beispiel der Carroll Park in Brooklyn. Wo vor 15 Jahren noch die bisweilen bitter umkämpfte Grenze verlief zwischen dem von italienischen Einwanderern (und der Mafia) beherrschten Teil Carroll Gardens und dem östlichen Gebiet, das fest in der Hand der in den Sozialbauten lebenden Schwarzen ist, bietet sich in diesen freundlichen Sommertagen ein Bild nicht unähnlich dem Prenzlauer Berg. Wie am Kollwitzplatz geben auch hier junge Väter ihren Söhnen Schwung auf der Schaukel, spielen sie mit ihren Töchtern im Sand. Junge Mütter plauschen auf der Parkbank, ihren Nachwuchs stets im Augenwinkel behaltend.

Die Kinderdichte ist zweifellos nicht so extrem wie im Prenzlauer Berg, doch der Zuzug einer Mischung aus finanzkräftiger weißer Mittelklasse und hippen Leuten, die ihr Leben in allerlei kreativen Branchen verdienen, hat das Straßenbild auch um Kinderwagen bereichert. Und um Leute wie Martha Lazar, die mit ihrer Tochter Lindsey, 2, an der Hand regelmäßig den Spielplatz im Carroll Park ansteuert. „New York ist eine großartige Stadt, um Kinder aufzuziehen“, sagt sie – um dann mit einem schelmischen Lachen hinzuzufügen: „Wenn man es sich leisten kann.“ Gerade vor ein paar Tagen hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Neil Beckerman Kassensturz gemacht. Sie wollen sich mit ihrem Finanzberater treffen und die Frage klären, warum sie immer noch nicht genug zusammenhaben, um sich endlich ein Haus zu kaufen.

Es sieht nicht besonders gut aus, so viel steht schon jetzt fest. Dabei ist Martha eine erfolgreiche Produzentin für namhafte Fotografen und Werbeagenturen, ihr Mann als kommerzieller Fotograf gut im Geschäft. Doch ein Doppeleinkommen und eine bescheidene Lebensführung reichen in New York noch lange nicht, um finanziell große Sprünge zu machen. Wie teuer alleine die Betreuung und Ausbildung von Lindsey wird, hatten sich die Lazar-Beckermans so vorher auch nicht ausgemalt.

Damit Martha arbeiten kann, geht ihre Tochter für zwei Tage in der Woche von neun bis fünf Uhr in eine Kindertagesstätte. Macht 693 Dollar im Monat oder rund zehn Dollar pro Stunde. Das ist immer noch billiger als eine Nanny, eine Tagesmutter, die in New York wenigstens zwölf Dollar pro Stunde verlangt. Im Herbst wollen die Lazar-Beckermans ihre Tochter auf eine Pre-School schicken, eine Vorstufe zum Kindergarten. Vom Staat oder von der Stadt werden solche Einrichtungen nicht angeboten, private Pre-Schools gibt es reichlich. Eine in ihrer Nähe gefiel den Lazar-Beckermans besonders gut, weil sie schöne Räumlichkeiten hat, nette Lehrer und ein viel versprechendes Unterrichtsprogramm. Aber als sie die Kosten sahen, fielen sie beinahe vom Hocker: 17 500 Dollar im Jahr. Oder besser gesagt: Für neun Monate, denn in den Schulferien schließt auch die Pre-School und berufstätige Eltern müssen sich nach (kostspieligen) Sommer-Camps und Kinderfrauen umschauen. Also soll es jetzt eine Pre-School für 8000 Dollar im Jahr tun. „Die ist zwar nicht ganz so schön, aber was sollen wir machen?“, sagt Martha, „außerdem sind wir nicht so hyperehrgeizig wie viele andere.“ Die wollen nämlich ihren noch so jungen Nachwuchs so perfekt wie möglich auf das Leben und die Konkurrenz um Jobs und Geld vorbereiten. Deshalb besuchen Lindseys Freundinnen nicht nur wie sie einen Musikkurs pro Woche (25 Dollar pro Stunde), sondern werden eingetaktet in ein enges Programm mit Aktivitäten. Letzter Schrei derzeit: Die Kleinen Mandarin-Chinesisch lernen zu lassen, denn das Reich der Mitte ist schließlich der große Markt der Zukunft.

In Manhattan kann eine Pre-School auch gerne mal 20 000 Dollar im Jahr kosten. „Ich habe keine Ahnung, wie die Leute das finanzieren“, sagt Martha. Das Durchschnittseinkommen in New York liegt laut offizieller Statistik bei knapp 41 000 Dollar im Jahr. Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Die Unterschiede zwischen den Wall-Street-Brokern, die mit Sonderausschüttungen in guten Jahren über eine Million nach Hause bringen und im Zweifelsfall in den Vororten wohnen, und den McDonald’s-Angestellten, die sich mit dem Mindestlohn von 6,75 Dollar über Wasser halten, sind riesig. Die Lazar-Beckermans liegen irgendwo dazwischen, mit vielleicht 90 000 Dollar im Jahr als Doppelverdiener sind sie eine ganz normale Mittelklasse-Familie.

So wie die Freunde von ihnen, die zwei schulpflichtige Töchter haben. Weil die meisten öffentlichen Schulen in New York so schlecht und bisweilen auch gefährlich sind, dass niemand seine Kinder dorthin schicken mag, wenn er nicht unbedingt muss, zahlen auch sie für eine Privatschule – macht 50 000 Dollar im Jahr. Große Wohnungen sind in New York praktisch unbezahlbar, vier Zimmer in Battery Park City, einer netten Gegend in Lower Manhattan zum Beispiel, kosten 6500 Dollar im Monat. Krankenversicherung für Kinder ab dem ersten Lebenstag schlägt mit 200 bis 300 Dollar pro Monat zu Buche, wenn man nicht bei einer Firma angestellt ist, die einen kinderfreundlichen Plan anbietet.

Manche ziehen an den Stadtrand, aber da steigen die Steuern, und die Schulen sind kaum billiger oder besser. Außerdem gehen Experten davon aus, dass Eltern wie die Lazar-Beckermans bis zu einer Viertelmillion Dollar investieren müssen, wollen sie ihre Tochter auf ein gutes College schicken. „Im Augenblick zahle ich pro Monat 150 Dollar in Lindseys College-Sparplan“, sagt Martha, „das reicht nie, aber mehr können wir uns nicht leisten.“ Die Ersparnisse für die Hochschulausbildung lassen sich von der Steuer absetzen, aber sonst ist der Staat ziemlich knauserig, wenn es um die finanzielle Unterstützung von Familien geht. Kinder- oder Erziehungsgeld etwa gibt es nicht.

Jeder muss sehen, wie er selber klarkommt. Deshalb sind Freunde der Lazar- Beckermans gerade dabei, ihre Sachen zu packen. Sie ziehen in den USBundesstaat Minnesota, ein drittes Kind, das sie bald erwarten, hätten sie in New York unmöglich durchbringen können. Martha, Neil und Lindsey aber wollen in Carroll Park bleiben, dem angesagten Platz für Leute wie sie. „Hier gibt es so viele Spielplätze, Kaffees, Mutter-Gruppen und was man sich sonst noch wünschen kann“, sagt Martha, „das hilft Mama, nicht verrückt zu werden.“ Zu oft hat sie gesehen, wie Paare der Kinder wegen in Vororte zogen und dann die jungen Mütter wegen sozialer Isolation depressiv und unglücklich wurden. Da beißen die Lazar-Beckermans lieber in den sauren Apfel und lassen 100 Dollar für einen Baby-Sitter springen, wenn sie ins Kino wollen. Oder sie alarmieren ihren Freundes- und Familienkreis, der gerne hilft – schließlich weiß man nie, wann es einen selbst trifft. Und dann hat man schon mal ein hübsches Baby-Sitter-Guthabenkonto.

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