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© dpa

Kinderstudie: ''Ich wär' gern schlauer''

Die Mehrheit der Kinder in Deutschland zeigt sich mit ihrem Leben recht zufrieden. Kinder aus sozial schwachen Familien fühlen sich allerdings schon früh für die Zukunft benachteiligt.

Deutschlands Kinder lieben ihre Eltern, heißer und inniger als jede Generation vor ihnen. Das klingt nach einem beruhigenden Ergebnis der ersten umfassenden Kinderstudie, die das christliche Hilfswerk World Vision in Auftrag gegeben hat. Doch genau dieses Ergebnis, die starke Fixierung der Kinder auf ihre Eltern, macht Sozialwissenschaftlern auch Sorgen. Denn sie eröffnet nur dem Nachwuchs aus gebildeten und wohlsituierten Familien gute Chancen für sein späteres Leben. Sie wirft dagegen jenes Viertel von Kindern weit zurück, das in einem ideenlosen Elternhaus ohne Bücher, Blockflöte und Aufmerksamkeit aufwächst. Für all diese Kinder fordern die Forscher mehr Anregungen von außen: von Politik und Gesellschaft.

Die detaillierte Kinderstudie, die heute in Berlin vorgestellt wurde, kommt spät. Schon seit Jahren werden Jugendliche regelmäßig zu ihren Einstellungen, Wünschen und Bedürfnissen interviewt. In die Kinderzimmer haben sich Sozialforscher bisher noch nicht so weit vorgewagt, dass daraus repräsentative Trends abzulesen waren. Die World Vision-Untersuchung, die nach dem Muster der anerkannten Shell-Jugendstudien vom Bielefelder Sozialforscher Klaus Hurrelmann geleitet wurde, will diese Lücke schließen. Rund 1600 Kinder zwischen acht und elf Jahren wurden in Ruhe zu Hause interviewt, die Forscher befragten die Eltern zusätzlich zur Lage der Familie. In der 440 Seiten starken Studie gibt es auch zwölf große Kinder-Porträts.

Ein Viertel aller Kinder sind "Verlierer"

Die Ergebnisse vertiefen die bekannte Problematik aus Pisa-Schulstudien, Ernährungs- oder Gesundheitsuntersuchungen: Die wenigen Kinder in Deutschland - ohnehin nur noch zehn Prozent der Gesamtgesellschaft - teilt eine tiefe Kluft. Es gibt mehr als zwei Drittel Gewinner, die sich in Sportvereinen tummeln, Freunde treffen, lesen, musizieren, malen, tanzen und ab und zu fernsehen. Und es gibt Verlierer, laut Studie immerhin ein Viertel aller Kinder, die vor allem vor der Glotze sitzen. Sie kommen aus der Unterschicht, häufig sind es Jungen. Sie ahnen, dass ihr Lebensweg nicht sehr chancenreich sein wird. "Ich wäre gern schlauer", sagt Dennis (10) in einem Interview.

"Die Kinder haben noch kein Bewusstsein für oben oder unten, aber sie merken, dass sie nichts weiterbringt", sagt Hurrelmann. Viele merken auch, dass ihre Eltern einen großen Anteil am Stillstand haben: Vor allem die Kinder von Arbeitslosen beschweren sich über einen Mangel an Anregung, Zuwendung und festen Tagesstrukturen. Für sie plädieren die Forscher zum Beispiel für Ganztagsschulen, die Defizite und Überforderung im Elternhaus auffangen sollen.

Kinder loben vor allem ihre Mütter

Dagegen sind Kinder mit berufstätigen Eltern, die sich gezielt Zeit für den Nachwuchs nehmen und zusätzlich Freizeitmöglichkeiten organisieren, sehr zufrieden mit ihrem Leben. Die große Mehrheit der Kinder stellt vor allem ihren Müttern ein gutes Zeugnis aus. Ihre Väter sehen sie kritischer und wünschen sich mehr Zeit mit ihnen. Nur sechs Prozent der Kinder aber berichten über Dauerstreit in der Familie, 14 Prozent erzählen von Schlägen - weit weniger als in früheren Einzeluntersuchungen.

Die Studie zeigt auch: Kinder in Deutschland bemerken sehr viel. Mehr, als Lehrer oder Politiker wahrnähmen - sagen die Forscher. Fast allen befragten Kindern fällt auf, dass es auch in Deutschland Armut gibt. Sie haben Angst vor der Arbeitslosigkeit der Eltern oder vor der Umweltzerstörung. Nur die Hälfte glaubt, dass Ausländer in Deutschland gerecht behandelt werden. In Ostdeutschland haben Kinder darüber hinaus das Gefühl, in einem Landstrich zu leben, der es schwerer hat. Für all ihre Sorgen kennen sie aber nur eine Adresse: Mama oder Papa.

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