zum Hauptinhalt
Elena Senft

© Mike Wolff

Kolumne: ELENA SENFT schaltet nie ab: Wo Boris Becker dümmlich lacht

Ich besitze drei Geschenkgutscheine eines großen Elektromarkts.

Ich besitze drei Geschenkgutscheine eines großen Elektromarkts. Über Monate angesammelt von verlegenen Menschen, die nicht wussten, was mir gefallen könnte. Sie wussten ja nicht, dass jegliche Geschenke, an deren Rückseite eine Schnur und ein Stecker baumeln, bei mir immer willkommen sind.

Einen Nachteil hat die große gehortete Summe, die ich mittlerweile im Elektromarkt ausgeben darf: Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Seit Monaten verbringe ich jeden Samstagvormittag in einer großen beheizten Shoppingmall, in der immer „Because I love you“ von Stevie B. läuft. Dort marodiere ich wie ein schulschwänzender Teenager durch die Reihen des Elektromarkts und probiere zum Beispiel Spielkonsolen und Shiatsu-Massagestühle aus, um dann doch wieder mit leeren Händen nach Hause zu fahren.

Bei meinem letzten Elektromarktgang wurden auf einem grabbeltischartigen Stapel für einen Spottpreis Anrufbeantworter verkauft. Ein heute fast vollständig verdrängtes Gerät.

Am Verschwinden des Anrufbeantworters aus unserer Gesellschaft hängt ein Rattenschwanz, dessen Ausmaß noch unüberschaubar ist. Allein der Film- und Fernsehindustrie bricht mit seinem Weggang ein beliebter dramaturgischer Handgriff weg: der Kniff der zufällig unverschuldet mithörenden Person, die eine nicht an sie gerichtete Nachricht mithört, weil jemand anruft, zufällig aber der „AB“ anstatt eines Menschen drangeht und der Anrufer die schlimme Nachricht laut in den Raum posaunt. „Die Nacht mit dir war wunderschön.“ „Tut mir leid, dass Papa tot ist.“ „Hast du endlich die Scheidung veranlasst?“

In diesen Fällen war der zufällig Zuhörende immer unschuldig. Er konnte ja nichts dafür, dass er die Nachricht gehört hat. Er wollte es ja nicht. Er saß ja nur zufällig da.

Heutzutage müsste die dritte Person schon heimlich Kurzmitteilungen lesen oder die Mailbox des fremden Handys abhören, was dem Neugierigen immer auch eine Teilschuld einräumt, weil er sich aktiven Zugang zu einer Nachricht verschafft hat, die nicht an ihn gerichtet war.

Wir hatten früher zu Hause leider keinen Anrufbeantworter. Meine beste Freundin allerdings schon. Einen eigenen, für den sie eine zu dieser Zeit moderne Anrufbeantwortersprüche-Kassette gekauft hat. Wenn man sie anrief, erzählte Boris Becker, dass gerade niemand ans Telefon gehen könne. Er verabschiedete sich dümmlich lachend und mit den Worten „I love you all“. Mittlerweile haben meine Eltern einen Anrufbeantworter. Einen, der kein eigenes, blinkendes Gerät mehr sein darf, sondern der in ein schnurloses Festnetztelefon integriert ist. Ich spreche ihnen öfter aufs Band, weil ich weiß, dass die Mobiltelefone meiner Eltern meist ausgeschaltet nebeneinander auf dem Küchentisch liegen, unabhängig davon, wo die Eltern sich aufhalten.

Ich habe das Gefühl, dass der Anrufbeantworter meiner Eltern noch nie abgehört wurde. Alles, was man daraufspricht, landet im Orbit. Wahrscheinlich sprechen aber auch nicht viele Leute auf den AB meiner Eltern, weil auf ihm nur eine weibliche, monotone, abgehackte Computerstimme zu hören ist, die so unglaublich langsam die Rufnummer meiner Eltern inklusive Vorwahl wiederholt, dass man ihr nicht bis zum Ende zuhören kann.

Als ich vor kurzem allerdings anrief, sagte die Computerstimme keine Nummer mehr, sondern einfach nur den vollständigen Namen meiner Mutter. Blechern, laut, falsch betont und wirklich gruselig.

Erst dachte ich, der AB würde nun endlich Verwendung finden. Am Ende stellte sich allerdings heraus, dass Papa ihn bloß deswegen neu programmiert hatte, weil er Mama erschrecken wollte.

Hier schreiben abwechselnd:

Elena Senft, Christine Lemke-Matwey, Jens Mühling und Moritz Rinke.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false