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Panorama: Kreuzzug über Afrika

Eine christliche Bewegung mobilisiert in Kenia die Massen – und spielt Politikern in die Hände. Starprediger ist ein Deutscher.

Wer zum Kreuzzug erscheint, hat seine besten Kleider angelegt. Nairobis Stadtpark ist bunt wie selten. Aus allen Richtungen strömen Menschen, unter ihnen auffällig viele junge. Frauen in aufwendigen Kleidern und Männer in Hemd und Stoffhose lassen sich auf den grasbewachsenen Hügeln nieder. Dem Augenschein zum Trotz gehören längst nicht alle zur kenianischen Mittel- oder Oberschicht. Viele kommen aus den Armenvierteln. Manche haben einen weiten Weg hinter sich. Auch im benachbarten Tansania haben sich Menschen mit Bussen auf die Reise gemacht, um den charismatischen Deutschen zu sehen, den hier jeder kennt. Reinhard Bonnke ist auf Kreuzzug. „Crusade“ nennt er seine meist fünftägigen Großveranstaltungen, auf denen er vor einem Massenpublikum das Wort Gottes predigt, zuletzt in Elfenbeinküste und Benin, jetzt in Kenia.

Annah Anyango und ihre zwei Kinder sitzen schon seit den Mittagsstunden direkt vor der Absperrung zur Bühne, obwohl Bonnke und sein US-amerikanischer Zögling Daniel Kolenda erst kurz vor Einbruch der Dämmerung kommen werden. „Wir sind vier Stunden gelaufen, um hierherzukommen“, erzählt sie. „Wir sind hier, weil wir Wunder erwarten, etwas Großes, das unser Leben verändert.“

Wenn der kleine 72-Jährige mit der rauen, vibrierenden Stimme die Bühne betritt, hat er selten weniger als 10 000 Menschen um sich. In Nigeria kamen bei seinen „Kreuzzügen“ schon über eine Million Menschen zusammen. Und alle setzen sie große Hoffnungen in ihn und die Kraft des Gebets. Ihres gemeinsamen Gebets. Am Ende dieses Abends werden Dutzende zur hell erleuchteten Bühne nach vorne kommen und berichten, wie sie den Heiligen Geist verspürten. Einer wird erzählen, dass er lahme Beine hatte und nun wieder laufen kann. Ein anderer, dass er an Geschwüren litt, die nun verschwunden sind. Und im Laufe der Nacht werden Tausende in dem weißen Zelt neben der Bühne ihre Adresse auf Karten eintragen und sich zu „Wiedergeborenen“ erklären. Ein Netz von Pastoren wird sich in den kommenden Tagen der neuen Mitglieder annehmen, sie aufsuchen, sie beraten und ihnen den Eintritt in die Kirche ebnen.

Bonnke ist bereits seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem afrikanischen Kontinent unterwegs. Dabei ist er mit seinem Kreuzzugskonzept bei Weitem nicht der Einzige. Auch andere Evangelisten wie die Amerikaner Morris Cerullo und Benny Hinn sind in weiten Teilen des christlich geprägten Afrikas religiöse Superstars und Hoffnungsträger. Die neue Pfingstbewegung ist eine der am schnellsten wachsenden religiösen Gemeinschaften weltweit. Eines ihrer Kennzeichen ist der Glaube an die direkte Erfahrbarkeit des Heiligen Geistes. Ein anderes ist die Überzeugung, dass ein starker Glaube unmittelbare Folgen für das persönliche Leben hat, dass er Krankheiten heilt und ökonomischen Wohlstand hervorbringt. Das soll ebenso für die Gesellschaft gelten: Der Glaube bringt Frieden, Unruhen und Krieg sind Zeichen eines sündigen Volkes.

Für die Eliten des Landes hat eine solche Interpretation den Vorteil, dass sie ihren Reichtum mit gut-christlichem Lebensstil rechtfertigen können. Und auch afrikanische Politiker haben seit langem die Religiosität ihrer Bevölkerung für sich genutzt. Kenias früherer Präsident Daniel arap Moi erklärte die schlechte Wirtschaftslage des Landes unter seiner Präsidentschaft durch die Vielzahl individueller Sünden im Land, die es Satan erlaubt hätten, in den Staat einzudringen. Statt seine eigene Politik infrage zu stellen, setzte er eine Kommission zur Untersuchung der Teufelsanbetung in Kenia ein. Gregory Deacon, Afrikanist von der Universität Oxford, sieht darin eine verbreitete Strategie der politischen Elite: „Moi versuchte, die Religion zur Legitimierung seiner Macht und seines Regimes einzusetzen.“ Das Ausmaß habe sich verändert, aber auch die aktuelle Regierung appelliere gezielt an die Religiosität der Kenianer, um ihre Macht abzusichern. „Kurz vor den Wahlen in diesem März ist im ganzen Land immer wieder der Paulusbrief zitiert worden: ‚Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt'“. Nach dem knappen Wahlausgang habe die Regierung dies genutzt, um eine Anfechtung des Ergebnisses abzuwehren. „In seiner Antrittsrede erklärte Vizepräsident William Ruto: ‚Der Wille des Volkes ist der Wille Gottes. Also ist unsere Wahl der Wille Gottes'. Das war ein effektiver Weg, Kritik zu unterbinden. Wer sich kritisch äußerte, galt als Unruhestifter und als ein schlechter Christ“, sagt Deacon.

Am letzten Abend von Bonnkes Kreuzzug sitzen sie im Publikum: Kenias neuer Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vize William Ruto. Beide sind vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt, weil sie nach den Wahlen vor fünf Jahren zu Gewalt aufgerufen haben sollen. Gewählt wurden sie im März, weil die Kenianer ihnen mehr als allen anderen einen Wandel zutrauen. An diesem Abend stellt sich Kenyatta ans Mikrofon und erklärt, er bitte alle, denen er Unrecht getan habe, um Vergebung, und er selbst vergebe all jenen, die ihm Unrecht zugefügt hätten.

Samuel Ochieng ist Pastor der Pfingstbewegung. Er predigt in Nairobi auf Englisch, Swahili und Luo und beschäftigt sich mit den Sorgen der armen Stadtbevölkerung. „Ich glaube, viele fühlen sich gerade deshalb von der Pfingstkirche angesprochen, weil es so eine starke, kraftvolle Bewegung ist. Wir wären doch alle gerne da, wo die Europäer schon längst sind, bei Frieden und ökonomischem Wohlstand. Stattdessen sind Armut, Krankheiten, Analphabetismus und politische Gewalt noch immer Teil des Alltags der meisten Menschen. Wenn dann ein Mann wie Bonnke kommt, haben sie das Gefühl, der Fluch kann gebrochen werden.“

Was Pastor Ochieng Sorge bereitet, sind die „falschen Prediger“, die den Armen sofortige Heilung oder Wohlstand versprechen, wenn sie nur bestimmte Rituale vollziehen. Deacon nennt sie „Drive-Through-Churches“ – Erlösung zum Mitnehmen. „Wir Afrikaner sind in weiten Teilen abergläubisch. Wir lieben das charismatische Christentum und wir glauben an Wunder. Leider gibt es Menschen, die daraus ein Geschäft machen.“

Prediger Bonnke gehört in den Augen vieler Afrikaner nicht dazu. „Dass ein Mann wie er gerade im 50. Jahr unserer Unabhängigkeit zu uns kommt, könnte ein gutes Zeichen sein“, so lautet die Meinung dreier junger Studentinnen. Sie sind zum ersten Mal zu seiner Veranstaltung gekommen. „Was wir mehr als alles andere brauchen, ist ein friedliches Zusammenleben aller Kenianer“, sagen sie. „Vielleicht bricht diese friedlichere Zeit nun an.“

Nadja Leoni Nolting[Nairobi]

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