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Kriminalität: Rocker erschießt Elitepolizisten

Ein mutmaßliches Mitglied der Hells Angels feuert bei einer Razzia in Rheinland-Pfalz auf das SEK und erschießt einen Polizisten. Nur wenige Stunden zuvor eskalierte der Rocker-Konflikt in Berlin: Auf das Clubhaus der Bandidos im Stadtteil Reinickendorf wurde am Mittwochmorgen ein Brandanschlag verübt.

Die Beamten wussten um die Gefahr. Womit die Polizisten vor ihrer Razzia im Rockermilieu offenbar nicht rechneten, war, dass sie sofort unter Beschuss geraten würden: Am Mittwoch ist in Anhausen bei Koblenz ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) erschossen worden. Der Elitepolizist soll von einem Rocker der Hells Angels getötet worden sein, als das SEK dessen Haus stürmte. Der Staatsanwaltschaft Koblenz zufolge öffnete der 42-jährige Polizist mit weiteren Beamten die Wohnung, als der 43-jährige Verdächtige ohne Vorwarnung zweimal durch die geschlossene Tür feuerte. Eine Kugel ging durch den Oberarm des Polizisten, der seitlich zur Tür stand, und konnte so trotz schusssicherer Weste in dessen Brust eindringen. Der Verdächtige und seine Lebensgefährtin wurden festgenommen.

Der Mitbegründer der deutschen Hells Angels, Rudolf „Django“ T., sagte dem Tagesspiegel kurz nach der Tat: „Wir haben von dem Vorfall gehört, bestätigen aber nicht, dass es sich bei dem mutmaßlichen Schützen um ein Mitglied unseres Clubs handelt.“ In Untersuchungshaft schweigen Rocker meist eisern.

Gegen den Festgenommenen und vier weitere Rocker wird wegen räuberischer Erpressung ermittelt: Sie sollen im Rotlichtmilieu aktiv sein und Prostituierte aus einem lukrativen Revier vertrieben haben. Rocker seien im Drogen- und Waffenhandel sowie als Schutzgeldeintreiber aktiv, sagen Ermittler. Die Männer kämpften um Türen von Lokalen, weil sie als Einlasser bestimmen, welche Geschäfte dahinter stattfinden. Erst vor drei Wochen wurden drei Berliner Hells Angels wegen möglicher Schutzgelderpressung verhaftet – darunter ein führendes Mitglied der MC Nomads, dem schlagenden Arm der Hells Angels. Vor „schwer bewaffneten Hochkriminellen“, warnt Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft. „Von einem Verbot halten wir aber nichts“, schränkt er ein. Es führe nur zur Abwanderung in die Illegalität und zu weniger Kontrolle. Besser seien mehr verdeckte Ermittler und Razzien. Mehr als den Staat bekämpfen die Rocker rivalisierende Banden – vor allem zwischen den Platzhirschen der Hells Angels und den Aufsteigern der Bandidos kommt es zu Kämpfen. Vergangenes Jahr gab es dabei bundesweit drei Tote und dutzende Schwerverletzte. Nur wenige Stunden vor dem SEK-Einsatz bei Koblenz eskalierte der Konflikt in Berlin: Auf das Clubhaus der Bandidos im Stadtteil Reinickendorf wurde am Mittwochmorgen ein Brandanschlag verübt. Unbekannte warfen einen Brandsatz gegen eine Scheibe. Nur weil dahinter eine Stahlplatte angebracht war, fing das Gebäude kein Feuer. Zeugen hatten zuvor Schüsse gehört.

Der Anschlag ist vermutlich eine Reaktion: Nachdem sich einige Berliner Bandidos im Januar überraschend den Hells Angels angeschlossen hatten, stellten die Ex-Kameraden aus Reinickendorf ein Foto der Überläufer ins Internet. Wenig später versuchten 30 Bandidos-Anhänger – durch das Vereinslogo auf ihren Lederkutten erkennbar – das Vereinsheim der Überläufer anzugreifen. Bestrafungen erledigen Rocker selbst, schon ihre Kluft sieht wie die einer Privatpolizei aus: Auf den Lederwesten sind das Charter oder Chapter, also die örtliche Dependance des Clubs, sowie die Stellung in der Hierarchie der Bruderschaft abzulesen.

Der Rockerkrieg begann in den USA. Vietnam-Veteranen gründeten 1966 in Texas die Bandidos. Zum Ärger der Hells Angels, die 1948 von Ex-US-Kampfpiloten gegründet worden waren. Beide Clubs haben hierzulande hunderte Vollmitglieder, bringen es aber mit Unterstützern auf je 1000 Männer.

Seit dem Übertritt der Ex-Bandidos befürchten Kenner eine „Eskalation des Rockerkrieges“, bundesweit observieren Polizisten die Vereinshäuser. Die Seiten zu wechseln, ist in diesem Milieu Hochverrat. Auf einen Hells Angel, der das offenbar vorhatte, wurde erst vergangenen August auf einer Berliner Straße geschossen. Der 33-jährige Michael B. schleppte sich noch 200 Meter weit, dann starb der Schwergewichts-Kampfsportler.

Rocker seien aber nicht die Mafia, sagt ein Szenekenner. Der Mafia gehe es um Geld, den Rockern auch um Lebensgefühl, um „so was Altmodisches wie Ehre“. Wie sehr, zeigt eine Tat im Oktober 2009 in Duisburg. Ein Mann, der von seiner Freundin verlassen worden war, erschoss aus Eifersucht den neuen Freund, einen Bandido. Dass der Täter den Hells Angels nahe steht, macht aus der Tat gleich in doppelter Hinsicht einen Ehrenmord.

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