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Panorama: Kühl bleiben

Kann die Natur Treibhausgas nicht mehr aufnehmen, wird es gefährlich – aber Experten beruhigen

Von Julia Thurau Von extremen Kohlenstoffdioxidwerten war die Rede, von Anzeichen einer Hitzespirale und von globaler Erwärmung im Eiltempo. Die Meldungen über rasant steigende Werte des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) überschlugen sich am Wochenende geradezu. Allen voran britische Medien wie „Independent“ und „Guardian“, in Deutschland griff „Spiegelonline“ das Thema auf: 2002 und 2003, hieß es, seien am Observatorium auf Mauna Loa auf Hawai stark erhöhte Werte des Treibhausgases CO2 gemessen worden. Zitiert wird der US-Wissenschaftler Charles D. Keeling vom Scripps Institut für Ozeanografie der kalifornischen Universität in San Diego. Keeling sei besorgt über die extreme Zunahme des Gases in nur zwei Jahren, hieß es. Er könne sich vorstellen, dass Vegetation und Ozeane das Gas eines Tages nicht mehr aufnähmen, also voll liefen.

Diese Theorie der Hitzespirale besagt: Bisher haben Wälder, Pflanzen und Meere den Anstieg des Treibhausgases verlangsamt. Irgendwann ist die Aufnahmefähigkeit der Natur erschöpft, anschließend steigen die CO2-Werte drastisch an, der Treibhauseffekt beschleunigt sich schlagartig. Es fragt sich: Ist der stärkere Anstieg der letzten beiden Jahre ein Zeichen dafür, dass der Zeitpunkt der Beschleunigung eingetreten ist?

Der Tagesspiegel erreichte Charles D. Keeling in seinem Haus in Montana. Seine Antwort: Ja und Nein. Überrascht von der Aufmerksamkeit, die seine nur zur Information von Kollegen im Internet veröffentlichte Studie erregt hat, übt er sich in Schadensbegrenzung.

Eine Erhöhung des Kohlenstoffdioxidgehalts in der Luft sei zwar Tatsache und Grund genug, besorgt zu sein. Von extremen Werten oder gar einem Vollaufen der natürlichen Senken habe er aber nie gesprochen. „Ein britischer Journalist hat mich vor einiger Zeit interviewt und offenbar gründlich missverstanden“, sagt Keeling. „Er schrieb nicht, was ich sagte.“ Jetzt würden diese Missverständnisse als Fakten weltweit zitiert. Leider, sagt der Wissenschaftler. Denn der Anstieg des atmosphärischen Kohlenstoffdioxids sei durchaus eine ernste Sache und auch ohne Panikmache einen Bericht wert.

Der emeritierte Professor gilt unter Fachleuten als Vater der CO2-Messungen. Bereits 1958 maß er auf Hawai erstmalig den Gehalt des Treibhausgases in der Atmosphäre. Inzwischen sind seine Methoden so ausgefeilt, dass der Wissenschaftler selbst kleinste Veränderungen des Gashaushaltes der Atmosphäre über dem Mauna Loa verfolgen kann.

Betrachtet man seine langjährige Kurve, dann stellt man fest, dass sie langsam aber konstant ansteigt. Jedes Jahr ist gekennzeichnet durch Hochs und Tiefs. „Das ist das Atmen des Landes“, erklärt Keeling, „ein natürlicher Prozess, der mit dem Wachstum der Pflanzen erklärt werden kann. Je nach Jahreszeit“. Allerdings: Jedes Jahr liegen diese Hochs und Tiefs ein klein wenig höher als im Vorjahr. Der CO2-Gehalt in der Luft steigt. Keine Frage. Und die zitierten Jahre 2002 und 2003? Tatsächlich stieg der Gehalt an CO2 in diesen beiden Jahren schneller an als sonst üblich. Dass die Messgerade allerdings steil nach oben abknickt, wie „Spiegel-online“ schreibt, ist nicht zu erkennen. Ähnliche Schwankungen finden sich zudem auch in den Jahren 1973 und 1989. Einen Trend kann Charles Keeling darin nicht erkennen. Das bestätigen auch deutsche Experten. „Kurzfristige Veränderungen sind auch Ausdruck der natürlichen Klimavariabilität“, sagt etwa der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. „Man kann aus Keelings Studie nicht auf eine langfristige Anomalie schließen.“ Er bestätigt: Die Keeling-Kurve zeigt in jedem Jahr natürliche Aufs und Abs. „Die ganze Aufregung ist eigentlich umsonst“, sagt auch Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe. Für den Klimatologen vom Potsdamer Institut für Klimafolgen-Forschung fallen die CO2-Werte der Jahre 2002 und 2003 gar nicht so sehr ins Gewicht. „Viel schlimmer ist, dass der Kohlenstoffdioxidgehalt in der Atmosphäre überhaupt kontinuierlich zunimmt.“

Etwa die Hälfte des freigesetzten Kohlenstoffdioxids kann Experten zufolge von natürlichen Senken wie Ozeanen oder Landpflanzen aufgenommen werden. „Senke“ ist der Gegenbegriff zu „Quelle“. Zu Senken gehört alles, was das Gas aufnimmt. Die nicht aufgenommene Hälfte gelangt in die Atmosphäre und kann zu Klimaveränderungen führen. Wann und ob die Senken jemals gesättigt sein werden, darüber streiten die Wissenschaftler. Martin Heimann, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena hält es nach Angaben von „Spiegelonline“ für möglich, dass die Vegetation und die Meere in 20 oder 30 Jahren an ihre Grenzen stoßen könnten. Englische Wissenschaftler sprechen von etwa 50 Jahren, die die Senken noch aufnahmefähig seien. Sollten sie Recht behalten, befürchten Wissenschaftler tatsächlich eine schnelle Erwärmung. Dann nämlich, wenn es zu so genannten positiven Rückkopplungen kommt. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe nennt ein Beispiel: Taut durch die Erderwärmung der dauerhaft gefrorene Permafrost-Boden eines Tages verstärkt auf, würde Methan frei werden. Ein Gas, dessen Potenzial als Treibhausgas noch 30-mal höher einzuschätzen ist als das von CO2.

Nach Keelings Ansicht können die natürlichen Senken das Kohlenstoffdioxid noch viele hundert Jahre aufnehmen.

Im Hinblick auf den Klimaschutz allerdings sind sich in puncto Senken alle Wissenschaftler einig: Die Senkendiskussion lenkt von den notwendigen Maßnahmen ab. Es wäre besser, darüber nachzudenken, wie man die Ursachen bekämpft als darüber, wie man das CO2 verschwinden lassen könne, so die einhellige Meinung. Denn ob die Medien aus Keelings Studie voreilige Schlüsse gezogen haben oder nicht: Der Kohlenstoffdioxidgehalt steigt unaufhörlich. Daran haben die Bemühungen des internationalen Klimaschutzes bislang nichts ändern können. Macht der Mensch so weiter, wird sich die Erde nach und nach erwärmen. Und zwar schneller als es ihr Recht sein kann.

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